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LUTHER, ZWINGLI UND CALVIN -
Eine Predigt über den lutherischen Gottesdienst
Am 2. Juli 1502 ist der Jurastudent Martin Luther auf dem
Fußmarsch. Er wandert zurück von seinem Elternhaus, wo er einige Tage Urlaub
gemacht hatte, zur Universität in Erfurt. Da gerät er 11 km vor Erfurt mit
seinem Freund Alexis in ein schweres Gewitter. Sein Freund wird vom Blitz
erschlagen, und Luther gelobt in höchster Todesangst, er wolle ein Mönch
werden.
Luther wollte im Kloster ein frommes Leben führen und
sich durch viele Gebete den Himmel verdienen. Als er aber im Kloster war,
stellte er fest: Ich bin jetzt zwar ein Mönch, aber damit nicht automatisch
auch ein frommer Christ. Wenn ich die langen Psalmgebete sprechen soll, spüre
ich einen Widerwillen. Wenn ich mir Mühe gebe, Gott zu lieben und ihn
anzubeten, spüre ich einen heimlichen Groll auf Gott, daß er so viele Gebete
von mir fordert.
Luther kam in die allerhöchste Verzweiflung: Ich soll Gott lieben, aber ich bin
ihm böse, ja ich hasse Gott. Also werde ich am Jüngsten Tag von Gott zu Recht
verdammt werden. Luther, der gehofft hatte, im Kloster ein frommes Leben führen
zu können, erkennt im Kloster, daß er ein gescheiterter Christ ist, ein Christ
ohne wirkliche Liebe zu Gott.
Tiefe Höllenängste ergreifen ihn, bis er seinen Trost in der Bibel findet:
Gott liebt den Sünder - jedenfalls den gutwilligen; der nicht über seinen
Schatten springen kann, der es aber gerne möchte. Gott liebt den Sünder, der
nur ein kurzes Bußgebet hervorbringt wie der Zöllner im Gleichnis und der Schächer
am Kreuz. Gott liebt den Sünder, der wenigstens zum Abendmahl kommt.
*
Martin Luther wurde getröstet durch das Wort der Heiligen Schrift. Das war der
Anfang der Reformation, die aus kleinen Anfängen zu einer großen Lawine
heranwuchs.
Mit der Zeit mischten sich immer neue Fragen ein:
Wie war das Papsttum zu bewerten, das sich der Reformation
mit aller Kraft entgegenstemmte?
Wie war die Messe zu bewerten, in der damals in aller Regel nur der Priester
das heilige Brot und den heiligen Kelch empfing, und bei der in aller Regel
die Gemeinde leer ausging - falls Gemeindeglieder überhaupt anwesend waren?
Wie war das Bischofsamt zu bewerten, das damals nur von Fürstensöhnen
ausgeübt werden konnte, denen es vor allem um die bischöflichen Einkünfte
ging und nicht um den Gottesdienst und die Predigt; die oftmals nicht
geweiht waren, sondern ohne geistliche Aufgaben alle Tage herrlich und in
Freuden lebten?
In dieser Zeit kommt alles auf den Prüfstand, auch der Gottesdienst. Luther
entscheidet sich für milde Reformen. Der Gottesdienst wird gestrafft, aber er
bleibt im Wesentlichen unverändert. So behält Luther auch alles bei, was die
Feierlichkeit des Gottesdienstes unterstreicht: die Kerzen auf dem Altar, die
bunten Meßgewänder, den feierlichen Gesang der Gebete.
Ja, er verbringt mit einem bekannten Kirchenmusiker viele Wochen, um ein Modell
zu finden, mit dem man die Evangelien singen kann. Die bisherigen katholischen
Evangelientöne, so findet Luther, passen gut zum bisherigen Kirchenlatein, aber
nicht zur deutschen Sprache. Luther entwickelt also einen neuen
Evangelienton,
der auch in unseren heutigen Gottesdiensten in St.Johannes-Sodenmatt in Bremen
gesungen wird, wenn ich Euch das Evangelium vortrage. Der Gottesdienst soll schön
und feierlich sein, es geht ja um Gottes Ehre!
*
Zur gleichen Zeit geschieht aber in der Schweiz und in Süddeutschland das
genaue Gegenteil. In der Schweiz tritt Huldreich Zwingli auf. Er hat gemerkt, daß
die katholische Kirche im ersten Schock hilflos reagiert und sich nicht gegen
die Reformation durchsetzen kann. Und so beginnt auch Zwingli mit seinen
Reformen. Es sind aber ganz andere Reformen, und Zwingli hat auch ein anderes
Leben hinter sich als Luther.
Er ist ein Vierteljahr jünger als Luther. Er wird Priester - also Pastor -
ohne sich um ein frommes Leben zu bemühen. Er kann den Zölibat nicht einhalten
und hat Umgang mit den Huren. Können wir uns vorstellen, was das bedeutet? Wie
er mit schlechtem Gewissen vor dem Altar steht und dort die allerheiligste
Handlung vollziehen muß? Wie ihn der Schrecken vor dem Heiligen überfällt,
das tägliche Grauen vor dem heiligen Abendmahl? Dementsprechend fallen die
Reformen in der Schweiz ganz anders aus: Das Heilige muß abgeschafft werden!
Zwingli ruft dazu auf, alle Altäre zu zerstören. Die Gemeinde gehorcht seiner
fanatischen Predigt und zerstört in der Hauptkirche in Zürich alle Altäre.
Das sonntägliche Abendmahl wird abgeschafft. Zwingli selber will überhaupt
kein Abendmahl mehr feiern, er will nur noch predigen. Ein anderer Pastor darf
das Abendmahl einsetzen - aber nur noch alle viertel Jahre einmal. Für diese
Abendmahlsfeiern, so ordnet Zwingli an, wird jedes Mal ein normaler Tisch in die
Kirche getragen - es gibt ja keine Altäre mehr! Alles soll möglichst
“schlicht“ sein, nichts soll daran erinnern, daß das Abendmahl heilig ist.
Das silberne Abendmahlsgeschirr wird abgeschafft. Das Brot wird in einem
geflochtenen Holzkorb herumgereicht. Der Wein wird aus einem hölzernen Becher
getrunken - könnt ihr euch vorstellen, wie Wein aus einem Holzbecher schmeckt?
Es soll jede Feierlichkeit fehlen:
Musik ist in der Kirche verboten! Keine Orgel! Keine gesungene Liturgie! Kein Gemeindegesang!
Es soll alles ganz schlicht sein, es soll nichts mehr an die Heiligkeit Gottes
erinnern.
*
Nach einigen Jahren fällt Zwingli in einem Krieg, indem es um die gewaltsame
Ausbreitung der Schweizer Reformation ging. Sein Erbe tritt Johannes Calvin an.
Manches mildert Calvin ab, so darf zumindest die Gemeinde im Gottesdienst wieder
singen.
Manches verschärft Calvin allerdings auch: Das Kreuzschlagen, die Gewänder und
vieles andere mehr werden nicht mehr nur fallengelassen wie bei Zwingli, sondern
sogar zur Sünde erklärt. Alle heiligen Handlungen werden als Aberglaube oder
sogar als Magie diffamiert. Der von jeder rituellen Handlung und von jeder
Feierlichkeit gereinigte Gottesdienst verläuft nun in der allergrößten
Schlichtheit.
So kommt es also, daß es bis heute zwei verschiedene Richtungen in der
evangelischen Kirche gibt, die zumindest in der Gottesdienstfrage in erbittertem
Kampf gegeneinander liegen. Das lutherische Erbe möchte den Gottesdienst schön
und feierlich gestalten. Das zwinglianische und kalvinistische Erbe will möglichst
schlichte Gottesdienste:
Abendmahl höchstens einmal im Monat, keine heiligen Zeremonien, kein Niederknien beim Abendmahl, keine farbigen Gewänder, keine gesungenen Gebete!
Welche Richtung hat Recht? Schon die verschiedenen Lebenswege von Luther und
Zwingli - wie auch übrigens von Calvin! - geben uns einen Hinweis. Außerdem:
Schon im Alten Testament hat Gott angeordnet, daß alle Gottesdienste mit der größten
Feierlichkeit begangen werden, mit geweihten Altären, mit farbigen Gewändern
und goldenen und silbernen Geräten. Im Neuen Testament zeigt uns die
Offenbarung, daß auch der Gottesdienst im Himmel feierlich und prächtig abläuft;
und im Hebräerbrief wird uns gesagt, daß unser irdischer Gottesdienst parallel
zur himmlischen Anbetung Gottes verläuft und daß sich beide unsichtbar zu
einem einzigen heiligen Gottesdienst vereinigen. Altes und Neues Testament
stimmen also überein: Gott will feierliche Gottesdienste - im Himmel und auf
Erden! Luther ist im Recht! Zwingli und Calvin haben Unrecht.
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Ja, aber warum sind bis heute so viele Christen den beiden Schweizer
Reformatoren in diesem Punkt gefolgt? Dies ist in der Tat das eigentliche und
große Rätsel in der Gottesdienstfrage. Wenn man die Anhänger Zwinglis und
Calvins fragt, warum sie so vehement für schlichte Gottesdienste eintreten und
warum so viele von ihnen den evangelisch-lutherischen Gottesdienst so heftig
ablehnen, dann bekommt man zur Antwort: Die äußeren Zeremonien und die äußerliche
Feierlichkeit lenken ab von dem eigentlichen Sinn des Gottesdienstes, vom Hören
auf das Wort Gottes und von der eigentlichen Anbetung Gottes.
Diese Antwort kann allerdings nicht stimmen. Lenkt das weiße Kleid der Braut ab
vom eigentlichen Zweck der Hochzeit? Ganz gewiß nicht! Das Brautkleid
unterstreicht doch nur besonders deutlich die Besonderheit und den Ernst und die
Einmaligkeit dieses Tages. Von Ablenkung kann wirklich keine Rede sein!
Oder lenkt es ab, wenn die Musiker eines Philharmonieorchesters alle im
schwarzen Frack spielen? Gewiß nicht! Die schöne Musik wird doch durch das würdige
Auftreten der Musiker zu einem um so größeren Ereignis. Und es stimmt auch für
den Gottesdienst nicht, daß äußerliche Riten und feierliche Gestaltung in
jedem Fall nur ablenken. Es muß für die kalvinistische Ablehnung des
feierlichen Gottesdienstes einen anderen, verborgenen Grund geben.
*
Ich glaube: Zwingli und Calvin und ihre heutigen Anhänger verhalten sich wie
die Kinder, die ihre liebe Mutter gern einmal mit Füßen treten. Die Kinder
lieben ihre Mutter wirklich! Aber es macht ihnen trotzdem Freude, die Mutter zu
treten - falls sie sich das gefallen läßt.
Genauso die Anhänger von Zwingli und Calvin: Sie glauben an Gott! - das kann
man nicht bestreiten. Sie lieben Gott! - das muß man vielen unter ihnen
zugestehen. Aber es macht ihnen auch heimliche Freude, Gott unter ihre Füße zu
treten, Gott zu demütigen, indem sie ihm die Ehre verweigern.
Tatsache ist: Den Kampf gegen die lutherisch-feierlichen Gottesdienste hat der
Kalvinismus zwar nicht ganz, aber doch ungefähr zu Dreivierteln gewonnen.
Wirklich lutherische Gottesdienste gibt es in Deutschland nur sehr wenige.
Was Gott dazu am Jüngsten Tag sagen wird, werden wir sehen. Wir aber wollen
verstehen: Es ist für uns selber besser, wenn wir Gott die rechte Ehre geben,
mit schönen Gottesdiensten, mit gesungener Liturgie, mit gesungenem Evangelium,
mit sonntäglichem Abendmahl und mit einem kräftigen Gemeindegesang.
Pastor K. Bürgener
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