|
... Appolds Sprache ist gezeichnet von einer Geschichtsaxiomatik,
wie es für weite Bereiche der heutigen protestantischen Theologie typisch ist.
Widerstand gegen die Frauenordination ergeht "immer noch"; der Weg zum ersehnten
Ziel ist "in manchen Fällen" "noch nicht" abgeschlossen, In einigen wird er
sogar "zurückgegangen". Solche Ausdrucksweise offenbart ein soteriologisch
aufgeladenes prozessuales Geschichtsbild, das aber eigenartiger Weise geraden
den von Appold an den Pranger gestellten rückfällig gewordenen oder
rückständig gebliebenen Kirchen nicht mehr plausibel zu machen ist. Das
hängt damit zusammen, daß die Auseinandersetzung der Frauenordination auch ganz
anders wahrgenommen werden kann, nämlich nicht als Fortschritt in eine heile
Zukunft, sondern als paradigmatischer Dogmenkonflikt, in dem zentrale Aspekte
von Kirche und Theologie berührt sind,
worauf vor Jahren schon der bayerische Bischof Dietzfelbinger hingewiesen hat.
... Die Rechtfertigung der Frauenordination hat in weiten
Bereichen lutherischer Theologie zu tiefgreifenden Modifikationen in der Lehre
geführt, die vom Amtsverständnis über die Schöpfungstheologie bis zum Gottesbild
reichen. Damit soll nicht gesagt sein, daß alle Befürworter der Frauenordination
alle Paradigmenwechsel auf diesen Gebieten mittragen. Die Ablehnung der Frauenordination gründet hingegen zumindest bei ihren lutherischen Vertretern in der Wahrnehmung der Einsetzung des kirchlichen Amtes durch Christus selbst, wie es im lutherischen Bekenntnis bezeugt wird und in der Wahrnehmung der biblischen aussagen zur Schöpfung des Menschen als Mann und Frau in der Gleichheit der Rechte bei Unterschiedenheit der Gaben und Berufungen. Ein entscheidender Gesichtspunkt dabei ist der trinitätstheologisch-heilsgeschichtlich verankerte Aspekt der repraesentatio, der anthropologische Implikationen in sich trägt. So wird die Einheit von Schöpfung und Erlösung bzw. Schöpfungsordnung und Erlösungsordnung ebenso betont wie der Zusammenhang von Gottesbild (Gott als Vater; Sendung des Sohnes) und Hirtenamt (Sendung der Apostel durch den Sohn; Weitergabe des Amtes an männliche Bischöfe bzw. Presbyter). ... die apostolischen Weisungen fürs Amt (lassen sich) gleichsam als Ergebnis der göttlichen Heilsökonomie verstehen, weshalb sie keineswegs als zeitbedingt qualifiziert werden können, sondern die Kirche bleibend verpflichten. ...
Der nicht nur bei Appold zu hörende geschichtstheologisch begründete Vorwurf an die Frauenordinationsgegner, "zurückgeblieben" zu sein wiederholt sich in fundamentaltheologischer Hinsicht sowohl in der Auseinandersetzung um den rechten Schriftgebrauch als auch im Streit um die Frage nach de Katholizität, der Traditions- oder Bekenntnisgemäßheit der Frauenordination. So wird den Gegnern der Frauenordination vorgeworfen, sie befleißigten sich eines fundamentalistischen Schriftverständnisses[1] bzw. sie argumentierten nach der barocken "dicta probantia"-Methode[2] , was heute, im Zeitalter der Historisch-Kritischen Methode, nicht mehr als angemessener Schriftumgang angesehen werden könnte. Gegen dogmatische Festlegungen wird auf die grundlegende Vielfalt der biblischen „Traditionen“ verwiesen, „die gerade in ihrer Verschiedenartigkeit und Zeitverflochtenheit gelesen sein wollen“. ... Läßt man sich vom Fundamentalismusvorwurf nicht abschrecken von einem eigenständigen Blick in die schrifttheologischen Ausarbeitungen der lutherischen Theologen, die die Frauenordination ablehnen, so stellt man fest, daß von einem undifferenzierten Gebrauch vom Kontext isolierter „dicta probantia“ nicht die Rede sein kann. ... Betrachtet man dagegen den Schriftgebrauch der
Frauenordinationsbefürworter, so findet man zwar auch hier Beteuerungen, die
Schrift als Gotteswort anzusehen. Daß dies jedoch ganz anders verstanden wird
als in der lutherischen Tradition, wird daran deutlich, daß beim faktischen
Schriftgebrauch immer wieder ein charakteristischer „Subjektwechsel" festzustellen ist. Die Rede ist nicht
von göttlichen Setzungen, sondern von jeweils zeitbedingten
„Ordnungsstrukturen“. Das Hirtenamt gilt nicht als Stiftung Christi, die seine
Apostel für die nachapostolische Zeit gleichsam an die Bischöfe und Presbyter
„tradieren“, sondern die Rede ist von Konzeptualisierungen kirchlicher Ämter. An
die Stelle des Gegenübers von Herr und Kirche, von Haupt und Leib, von Gebot und
Gehorsam tritt somit das Konzept der traditionsgeschichtlichen Entwicklung, das
die neutestamentlich erreichten Entwicklungsstufen als zeitbedingte Varianten,
keineswegs aber die weitere Christenheit verpflichtende Wegmarken ansehen kann.
Der Dissens in der Bewertung der Schrift- und
Traditionsgemäßheit der Frauenordination offenbart zwei gegensätzliche
Herangehensweisen an Schrift und Tradition. Er liegt mithin auf dem Gebiet der
Hermeneutik. Auf der einen Seite haben wir das Konzept eines
traditionsgeschichtlichen Prozesses, der in seiner Verbindlichkeit mit Abschluß
des Kanons keineswegs an sein Ende gekommen ist, sondern zumindest in dieser
Frage erst mit Einführung der Frauenordination an sein Ende – seinen autoritären
und nicht revidierbaren Abschluß – kommen kann. Die Schrift bietet jenseits der
„Mitte des Evangeliums“ eine Vielzahl zeitbedingter Traditionsbildungen. Diese
Sichtweise führt zu dem beobachteten fortwährenden Subjektwechsel bei der
Wahrnehmung der biblischen Inhalte. Die Herausbildung des Amtes ist eine
menschliche Konzeptualisierung, nicht Gebot und Wirkung Christi oder seines
Geistes. Die „Mitte des Evangeliums“ versetzt die heutige Kirche wiederum in die
Freiheit, selber zu zeitgenössischen Lösungen der kirchlichen Lebensfragen zu
finden. Es geht dabei keineswegs um sachliche („dogmatische“)
Wiedererkennbarkeit oder gar Identität mit früheren Stadien des Prozesses.
Vielmehr reicht es, die eigenen Transformationen als Wirkungen des Evangeliums plausibel zu machen. Diese Wirkung besteht in erster Linie darin, die äußeren
Formen und Lebensäußerungen der Kirche der heutigen Zeit anzupassen. [1] Es ist interessant, wie sich dieses Argument auf die sogenannte Diskussions- oder Streitkultur auswirkt. Denn auf ernsthafte Sachargumente von Theologen, von denen man sowieso schon weiß, daß sie Fundamentalisten oder verbohrte Dogmatiker sind, braucht man gar nicht einzugehen. [2] dicta probantia = biblische Beweisstellen, auf die sich ein Glaubenssatz gründet, oder aus denen er hergeleitet wird
|