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Wider die falschen Visionen von
Weltkultur, Weltethos und Weltstaat
"Es
ist auch heute das Christus-Bekenntnis, das eine unüberbrückbare Kluft aufreißt
zwischen dem Christlichen einerseits, dem Nicht- oder Widerchristlichen
andererseits. Die vielfach vorgetragenen, manchmal pathetischen,
moralisierenden, dann wieder alle Register der Kant'schen bloßen Vernunft
ziehenden Appelle, das Trennende zugunsten der einen Weltkultur und des einen
Weltethos zu überwinden oder wenigstens hintanzustellen, verdienen von daher
Skepsis. Selbstverständlich ist es großartig, wenn Gläubige
unterschiedlichster Religionen gemeinsam für den Weltfrieden eintreten, ... Die
ewige Frage Jesu, „Für wen aber haltet ihr mich?“, steht weiter zwischen
ihnen. Dieser Graben ist nicht durch Dialogrituale oder denkerische Anstrengung,
sondern nur durch Bekehrung überbrückbar."
Wladimir Solowjew, der große russische Dichter, beschrieb den Anti-Christ
als Verfasser eines Buches mit dem gewinnenden Titel: „Der offene Weg zu
Frieden und Wohlfahrt der Welt“. Mehr noch, er schreibt, dass die Besucher und
Diener „des großen Menschen“ erstaunt gewesen wären, „wenn sie hätten
sehen können, mit welcher übernatürlichen Schnelligkeit und Leichtigkeit er,
eingeschlossen in sein Arbeitszimmer, sein berühmtes Werk schrieb“. Dieses
Buch, so fährt der Dichter fort, werde ihn „im Besitz einer bis dahin unerhörten
Kraft der Genialität zeigen. Das wird etwas Allumfassendes sein, wo alle
Widersprüche versöhnt sind.“ Durch sein Buch wird der „Mensch der
Zukunft“ schließlich zum „populärsten aller Menschen“. Er wird zum „Präsidenten
der Vereinigten Staaten von Europa“ gewählt und schließlich Oberhaupt einer
„Weltmonarchie“.
Gefährlich, wenn das Böse im Schein des
Gutseins kommt
Doch an der Spitze des Weltstaates zu stehen, genügt Solowjews Anti-Christ
nicht: Er wendet sich der religiösen Frage zu, obwohl das Christentum bereits
beträchtlich geschwächt, und der Papst in Petersburg im Exil ist. Der
Weltherrscher beruft ein Konzil aller Christen unter seinem Vorsitz nach
Jerusalem ein. Mit geschickten Reden umgarnt er die Christen, gewinnt mit
gezielten Zugeständnissen die Mehrheiten aller Konfessionen. Bis schließlich
der Starez Johannes aufsteht und sagt: „Großer Herrscher! Das Teuerste am
Christentum ist für uns Christus selbst... Bekenne jetzt hier vor uns Jesus
Christus, den Sohn Gottes, erschienen im Fleische, auferstanden und
wiederkommend – bekenne Ihn, und voller Liebe werden wir dich aufnehmen als
den wahren Vorläufer Seiner Wiederkunft in Herrlichkeit.“ – In diesem
Moment entpuppt sich der Herr dieser Welt als der Anti-Christ: „Er verlor
vollkommen sein inneres Gleichgewicht und musste seine ganze Geisteskraft
zusammennehmen, um nicht auch äußerlich die Selbstbeherrschung zu verlieren
und sich vor der Zeit zu verraten.“
Die Gefährlichkeit, so will der russische Dichter uns wohl sagen, liegt
darin, dass der Böse im Schein des Gutseins kommt. Wer kann schon Anstoß
nehmen an seinem genialen Werk, mit dem er den „offenen Weg zu Frieden und
Wohlfahrt der Welt“ verkündet? Wer sollte gegen Offenheit, Frieden und
Wohlfahrt sein? Wer sollte gegen die Einheit der Völker sein, die eine
friedliche, neue Weltordnung möglich macht, und damit Jahrhunderte blutiger
Kriege ablöst? Wer schließlich sollte gegen die Einheit der Konfessionen und
Religionen auftreten? Folgt nicht (so argumentierte jüngst der Rechtsphilosoph
Peter Strasser) aus der Einheit der Menschheit auch die unbedingte Forderung
nach dem „religiösen Universalismus“? Leben wir nicht in einer Zeit
globaler Probleme, die nach globalen Lösungen rufen? Ist nicht ein alle
Nationen, Kulturen und Religionen umspannendes und von allen akzeptierbares
„Weltethos“ (wie es Hans Küng bewirbt) die logische Konsequenz der
Globalisierung? Herrscht nicht zwischenstaatliche Anarchie, solange wir nicht
eine weltumspannende Rechtsordnung – ein Recht und gemeinsame Gerichte –
haben?
Doch Solowjew, dieser Spielverderber, stellt uns den einen Genialen, der all
dies nicht nur will, sondern zu verwirklichen imstande ist, als den Anti-Christ
vor. Ausgerechnet beim Christus-Bekenntnis des Starez Johannes platzt diesem der
Kragen, fällt aller schöner Schein von ihm ab, zeigt er sein wahres Gesicht.
Und viele, die vom schönen Schein geblendet waren, sehen plötzlich mit
Schrecken, dass sie einem Irrlicht folgten. Erschreckend, nicht wahr? Der
Anti-Christ war bereit, sich mit den Religionen und Konfessionen zu arrangieren,
ihnen irgendeine Theologie, eine Hierarchie, einen Ritus zu lassen. Doch das
Christus-Bekenntnis des Johannes hat die Nebelschwaden ästhetischer Rhetorik
fortgeblasen und den Inhalt freigelegt, hat bewiesen, dass die Christen sich mit
dem Anti-Christ tausendmal in theologischen oder frommen Worten, niemals aber im
Glaubensinhalt finden können.
Es ist auch heute das Christus-Bekenntnis, das eine unüberbrückbare Kluft
aufreißt zwischen dem Christlichen einerseits, dem Nicht- oder
Widerchristlichen andererseits. Die vielfach vorgetragenen, manchmal
pathetischen, moralisierenden, dann wieder alle Register der Kant'schen bloßen
Vernunft ziehenden Appelle, das Trennende zugunsten der einen Weltkultur und des
einen Weltethos zu überwinden oder wenigstens hintanzustellen, verdienen von
daher Skepsis. Selbstverständlich ist es großartig, wenn Gläubige
unterschiedlichster Religionen gemeinsam für den Weltfrieden eintreten, wenn
die getrennten Kinder Abrahams immer mehr erkennen, dass sie den gleichen
Allbarmherzigen, Allgütigen, Schöpfer und Richter des Menschen anbeten, wenn
Gottgläubige gemeinsam gegen die Profanisierung des Heiligen und die
Zerschlagung der Menschenwürde antreten. Die ewige Frage Jesu, „Für wen aber
haltet ihr mich?“, steht weiter zwischen ihnen. Dieser Graben ist nicht durch
Dialogrituale oder denkerische Anstrengung, sondern nur durch Bekehrung überbrückbar.
Eine Weltkultur und ein Weltethos des kleinsten gemeinsamen Nenners reicht
kaum bis zur „city of men“, niemals bis zur „civitas Dei“. Die Vereinten
Nationen waren ein solcher Versuch, Gott konsequent ignorierend eine Stadt des
Menschen aufzubauen. Doch die große Mehrheit der UNO-Mitgliedsstaaten ist bis
heute Lichtjahre von einer freiheitlichen Rechtsstaatlichkeit entfernt; die
Kriege und Bürgerkriege seit Gründung der Vereinten Nationen sind Legion.
„Der offene Weg zu Frieden und Wohlfahrt der Welt“, wie Solowjew den
Bestseller des Anti-Christ nennt, ist also eine Illusion, ein Blendwerk. Um
nicht falsch verstanden zu werden: Weder die UNO noch die Propheten und
Apologeten von Weltethos und Weltkultur sollen hier mit dem Anti-Christ
verglichen werden – weder mit dem biblischen, noch mit jenem des russischen
Dichters.
Trügerische Abstraktion von Werten, Kultur
und Identität
Das schillernde, faszinierende und doch trügerische Irrlicht ist vielmehr
die Abstraktion der Werte, der Kultur, der Identität. In der Theorie kann der
Mensch seine Werte, seine Kultur, seine Identität so sehr abstrahieren, dass am
Ende nur mehr die eine Menschheit, die Menschheits-Kultur, die
Menschheits-Identität, die Menschheits-Religion bleibt. Dass solcherlei
Versuche den konkreten Menschenrechten bisher nicht dienlich waren, ist eine ernüchternde
Erkenntnis, wenn wir den Blick auf das Konkrete zurückgewonnen haben. Die
Wahrung der Menschenrechte setzt nämlich voraus, dass es nicht um die Rechte
der Menschheit, sondern um die Rechte jedes einzelnen Menschen geht.
Menschheitsbeglücker aller Zeiten waren Weltmeister in der Missachtung der
Rechte ganz konkreter Menschen.
Gott schuf laut Bibel konkrete Menschen, strafte konkrete Menschen für
konkrete Vergehen, schloss mit konkreten Menschen seinen Bund. Nicht eine
abstrakte Verschmelzung von Menschlichem und Göttlichen, sondern die ganz
konkrete Menschwerdung Gottes in Jesus von Nazareth, an einem bestimmten Ort, zu
einer bestimmten Zeit, geboren von einer bestimmten und namentlich bekannten
Frau, brachte die Erlösung. Und diese Erlösung geschah nicht durch ein
abstraktes Prinzip der Selbsthingabe für die Menschheit, sondern durch den sehr
konkreten Tod am Kreuz. Hier sind wir wieder bei Solowjews kleiner Geschichte,
denn sein Anti-Christ konnte sich mit dem Christentum und der Christenheit wohl
arrangieren, aber der eine konkrete Christ Johannes, der den ganz konkreten
Christus bezeugte, brachte ihn aus der Facon.
Vielleicht hätte der Herr dieser Welt Christus sogar gerne in das Pantheon
der zu verehrenden Götter, Götzen, Religionsstifter und Propheten eingereiht,
so wie es die Heiden in Antike und Gegenwart den Christen mitunter großzügig
anbieten. Allein, das reicht dem Christen nicht. Hier ist die Parallele zu
heutigen Theorien von globaler Kultur, globalem Ethos: Wer dem Christentum durch
Abstraktion die konkrete Gestalt Christi raubt, vernichtet es, statt es der
Menschheit zu schenken. Wieder gilt es, einem Missverständnis vorzubeugen: Sehr
wohl ist die Botschaft Christi an alle Menschen gerichtet, aber die
„Universalität“ des Christentums geht den mühsamen Weg über Mission und
Bekehrung. Nicht durch Verwässerung, Reduktion, Uminterpretation, Abstraktion,
sondern durch die Bekehrung ganz konkreter Menschen in ganz konkreten
Situationen wird das Christentum universal.
Und auf diesem Weg kann es die konkreten Menschen nicht von ihrem ethischen,
ethnischen und kulturellen Kontext abstrahieren. Wieder gibt es keinen
„offenen Weg zu Frieden und Wohlfahrt“, sondern nur den konkreten Lebensweg
mit seinen Weggabelungen, seinen Irrwegen, Umwegen, Abwegen. Weniger als das zu
wollen, wäre weltlich gesprochen naiv, christlich gesprochen eine Häresie. Wären
nämlich christliches Gottesbild, christliches Ethos, christliche Kultur
beliebig und ohne Schaden für den Menschen durch ein anderes Gottesbild, ein
anderes Ethos, eine andere Kultur austauschbar, dann wäre Gottes Heilshandeln
absurd: Inkarnation, Predigt, Tod und Auferstehung Christi verlören ihren Sinn.
Wenn es aber wahr ist, dass Christus dem Menschen etwas gebracht hat, was
dieser nicht aus sich selbst produzieren oder projektieren kann, und wenn es
weiter wahr ist, dass diese Selbstoffenbarung Gottes nicht in eine Schublade
unseres Lebens gehört, sondern alle Lebenswirklichkeit durchdringen und formen
soll, dann hat das weit reichende Konsequenzen. Dann ist eine christlich
geformte Kultur, Philosophie und Ethik jeder nicht-christlichen Kultur,
Philosophie und Ethik wesenhaft überlegen. Dann kann in den so genannten
post-christlichen Gesellschaften Europas das Programm tatsächlich nur
„Neu-Evangelisierung“ lauten. Dann können alle Defensiv-Gefechte, die
Christen heute in Europa schlagen, eigentlich nur die Atempause zur nächsten
Attacke sein, zum Sturm auf die Bastionen einer säkularen Ordnung.
Bedrohliches Weltchaos und neue
Welt-Unordnung
Mit dem Weltstaat hat das insofern zu tun, als Solowjew uns ja anschaulich
gemacht hat, dass er eine Häresie ist. Der geographisch schrankenlose Staat
durchbricht auch seine Zuständigkeitsgrenzen: für die ganze Menschheit
geschaffen, will er auch das „totum“ aller Menschen sein, und wird deshalb
„totalitär“. Solowjews Anti-Christ genügt es nicht, der Weltenherrscher zu
sein, wenn er sich nicht auch noch die kleine Bastion geistiger Freiheit, die
Kirche, unterwerfen kann. Der Staat, aus dem man nicht mehr auswandern kann
(weil er die ganze Welt umfasst), will auch noch die innere Emigration
verhindern. Der kommunistische Ostblock wollte mit seinen abgeriegelten Grenzen
eine solche geschlossene Welt sein, die auch das Denken und Fühlen, die
Religion, die Kultur und die Ethik ihrer Bürger bestimmen wollte. Im Weltstaat
wird alle Politik zur Innenpolitik, denn dieser Staat kennt kein Außen mehr. Wo
aber auf der horizontalen Ebene kein Anderer mehr als solcher anerkannt und
respektiert wird, dort droht dies auch auf der Vertikalen zu geschehen.
Nicht einen hybriden Turmbau zu Babel, einen planetaren Staat, eine globale
Ideologie brauchen die Menschen, sondern konkrete Lösungen der anstehenden
lokalen, regionalen, nationalen, kontinentalen und dann auch der globalen Fragen
und Probleme. Erst durch diese subsidiäre Ordnung des Fragens und Handelns
werden persönliche Freiheit – im Staat und vom Staat – und kompetente
Problemlösung überhaupt möglich. Eine Weltinstanz, die in das tatsächlich
bedrohliche Weltchaos eine neue Weltordnung bringen will, wird entweder zur
Welt-Unordnung (wie etwa die UN-Weltordnung) oder sie wird totalitär. Sollte
ein Weltstaat tatsächlich global wirksam eingreifen können, wäre er bereits
totalitär – und damit selbst das größte aller zu lösenden politischen
Probleme.
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