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Der Weltstaat als Irrtum und Häresie

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Wider die falschen Visionen von Weltkultur, Weltethos und Weltstaat


"Es ist auch heute das Christus-Bekenntnis, das eine unüberbrückbare Kluft aufreißt zwischen dem Christlichen einerseits, dem Nicht- oder Widerchristlichen andererseits. Die vielfach vorgetragenen, manchmal pathetischen, moralisierenden, dann wieder alle Register der Kant'schen bloßen Vernunft ziehenden Appelle, das Trennende zugunsten der einen Weltkultur und des einen Weltethos zu überwinden oder wenigstens hintanzustellen, verdienen von daher Skepsis. Selbstverständlich ist es großartig, wenn Gläubige unterschiedlichster Religionen gemeinsam für den Weltfrieden eintreten, ... Die ewige Frage Jesu, „Für wen aber haltet ihr mich?“, steht weiter zwischen ihnen. Dieser Graben ist nicht durch Dialogrituale oder denkerische Anstrengung, sondern nur durch Bekehrung überbrückbar."


Die Tagespost Nr.46 vom 18.04.03 Von Stephan Baier

Wladimir Solowjew, der große russische Dichter, beschrieb den Anti-Christ als Verfasser eines Buches mit dem gewinnenden Titel: „Der offene Weg zu Frieden und Wohlfahrt der Welt“. Mehr noch, er schreibt, dass die Besucher und Diener „des großen Menschen“ erstaunt gewesen wären, „wenn sie hätten sehen können, mit welcher übernatürlichen Schnelligkeit und Leichtigkeit er, eingeschlossen in sein Arbeitszimmer, sein berühmtes Werk schrieb“. Dieses Buch, so fährt der Dichter fort, werde ihn „im Besitz einer bis dahin unerhörten Kraft der Genialität zeigen. Das wird etwas Allumfassendes sein, wo alle Widersprüche versöhnt sind.“ Durch sein Buch wird der „Mensch der Zukunft“ schließlich zum „populärsten aller Menschen“. Er wird zum „Präsidenten der Vereinigten Staaten von Europa“ gewählt und schließlich Oberhaupt einer „Weltmonarchie“.

Gefährlich, wenn das Böse im Schein des Gutseins kommt

Doch an der Spitze des Weltstaates zu stehen, genügt Solowjews Anti-Christ nicht: Er wendet sich der religiösen Frage zu, obwohl das Christentum bereits beträchtlich geschwächt, und der Papst in Petersburg im Exil ist. Der Weltherrscher beruft ein Konzil aller Christen unter seinem Vorsitz nach Jerusalem ein. Mit geschickten Reden umgarnt er die Christen, gewinnt mit gezielten Zugeständnissen die Mehrheiten aller Konfessionen. Bis schließlich der Starez Johannes aufsteht und sagt: „Großer Herrscher! Das Teuerste am Christentum ist für uns Christus selbst... Bekenne jetzt hier vor uns Jesus Christus, den Sohn Gottes, erschienen im Fleische, auferstanden und wiederkommend – bekenne Ihn, und voller Liebe werden wir dich aufnehmen als den wahren Vorläufer Seiner Wiederkunft in Herrlichkeit.“ – In diesem Moment entpuppt sich der Herr dieser Welt als der Anti-Christ: „Er verlor vollkommen sein inneres Gleichgewicht und musste seine ganze Geisteskraft zusammennehmen, um nicht auch äußerlich die Selbstbeherrschung zu verlieren und sich vor der Zeit zu verraten.“

Die Gefährlichkeit, so will der russische Dichter uns wohl sagen, liegt darin, dass der Böse im Schein des Gutseins kommt. Wer kann schon Anstoß nehmen an seinem genialen Werk, mit dem er den „offenen Weg zu Frieden und Wohlfahrt der Welt“ verkündet? Wer sollte gegen Offenheit, Frieden und Wohlfahrt sein? Wer sollte gegen die Einheit der Völker sein, die eine friedliche, neue Weltordnung möglich macht, und damit Jahrhunderte blutiger Kriege ablöst? Wer schließlich sollte gegen die Einheit der Konfessionen und Religionen auftreten? Folgt nicht (so argumentierte jüngst der Rechtsphilosoph Peter Strasser) aus der Einheit der Menschheit auch die unbedingte Forderung nach dem „religiösen Universalismus“? Leben wir nicht in einer Zeit globaler Probleme, die nach globalen Lösungen rufen? Ist nicht ein alle Nationen, Kulturen und Religionen umspannendes und von allen akzeptierbares „Weltethos“ (wie es Hans Küng bewirbt) die logische Konsequenz der Globalisierung? Herrscht nicht zwischenstaatliche Anarchie, solange wir nicht eine weltumspannende Rechtsordnung – ein Recht und gemeinsame Gerichte – haben?

Doch Solowjew, dieser Spielverderber, stellt uns den einen Genialen, der all dies nicht nur will, sondern zu verwirklichen imstande ist, als den Anti-Christ vor. Ausgerechnet beim Christus-Bekenntnis des Starez Johannes platzt diesem der Kragen, fällt aller schöner Schein von ihm ab, zeigt er sein wahres Gesicht. Und viele, die vom schönen Schein geblendet waren, sehen plötzlich mit Schrecken, dass sie einem Irrlicht folgten. Erschreckend, nicht wahr? Der Anti-Christ war bereit, sich mit den Religionen und Konfessionen zu arrangieren, ihnen irgendeine Theologie, eine Hierarchie, einen Ritus zu lassen. Doch das Christus-Bekenntnis des Johannes hat die Nebelschwaden ästhetischer Rhetorik fortgeblasen und den Inhalt freigelegt, hat bewiesen, dass die Christen sich mit dem Anti-Christ tausendmal in theologischen oder frommen Worten, niemals aber im Glaubensinhalt finden können.

Es ist auch heute das Christus-Bekenntnis, das eine unüberbrückbare Kluft aufreißt zwischen dem Christlichen einerseits, dem Nicht- oder Widerchristlichen andererseits. Die vielfach vorgetragenen, manchmal pathetischen, moralisierenden, dann wieder alle Register der Kant'schen bloßen Vernunft ziehenden Appelle, das Trennende zugunsten der einen Weltkultur und des einen Weltethos zu überwinden oder wenigstens hintanzustellen, verdienen von daher Skepsis. Selbstverständlich ist es großartig, wenn Gläubige unterschiedlichster Religionen gemeinsam für den Weltfrieden eintreten, wenn die getrennten Kinder Abrahams immer mehr erkennen, dass sie den gleichen Allbarmherzigen, Allgütigen, Schöpfer und Richter des Menschen anbeten, wenn Gottgläubige gemeinsam gegen die Profanisierung des Heiligen und die Zerschlagung der Menschenwürde antreten. Die ewige Frage Jesu, „Für wen aber haltet ihr mich?“, steht weiter zwischen ihnen. Dieser Graben ist nicht durch Dialogrituale oder denkerische Anstrengung, sondern nur durch Bekehrung überbrückbar.

Eine Weltkultur und ein Weltethos des kleinsten gemeinsamen Nenners reicht kaum bis zur „city of men“, niemals bis zur „civitas Dei“. Die Vereinten Nationen waren ein solcher Versuch, Gott konsequent ignorierend eine Stadt des Menschen aufzubauen. Doch die große Mehrheit der UNO-Mitgliedsstaaten ist bis heute Lichtjahre von einer freiheitlichen Rechtsstaatlichkeit entfernt; die Kriege und Bürgerkriege seit Gründung der Vereinten Nationen sind Legion. „Der offene Weg zu Frieden und Wohlfahrt der Welt“, wie Solowjew den Bestseller des Anti-Christ nennt, ist also eine Illusion, ein Blendwerk. Um nicht falsch verstanden zu werden: Weder die UNO noch die Propheten und Apologeten von Weltethos und Weltkultur sollen hier mit dem Anti-Christ verglichen werden – weder mit dem biblischen, noch mit jenem des russischen Dichters.

Trügerische Abstraktion von Werten, Kultur und Identität

Das schillernde, faszinierende und doch trügerische Irrlicht ist vielmehr die Abstraktion der Werte, der Kultur, der Identität. In der Theorie kann der Mensch seine Werte, seine Kultur, seine Identität so sehr abstrahieren, dass am Ende nur mehr die eine Menschheit, die Menschheits-Kultur, die Menschheits-Identität, die Menschheits-Religion bleibt. Dass solcherlei Versuche den konkreten Menschenrechten bisher nicht dienlich waren, ist eine ernüchternde Erkenntnis, wenn wir den Blick auf das Konkrete zurückgewonnen haben. Die Wahrung der Menschenrechte setzt nämlich voraus, dass es nicht um die Rechte der Menschheit, sondern um die Rechte jedes einzelnen Menschen geht. Menschheitsbeglücker aller Zeiten waren Weltmeister in der Missachtung der Rechte ganz konkreter Menschen.

Gott schuf laut Bibel konkrete Menschen, strafte konkrete Menschen für konkrete Vergehen, schloss mit konkreten Menschen seinen Bund. Nicht eine abstrakte Verschmelzung von Menschlichem und Göttlichen, sondern die ganz konkrete Menschwerdung Gottes in Jesus von Nazareth, an einem bestimmten Ort, zu einer bestimmten Zeit, geboren von einer bestimmten und namentlich bekannten Frau, brachte die Erlösung. Und diese Erlösung geschah nicht durch ein abstraktes Prinzip der Selbsthingabe für die Menschheit, sondern durch den sehr konkreten Tod am Kreuz. Hier sind wir wieder bei Solowjews kleiner Geschichte, denn sein Anti-Christ konnte sich mit dem Christentum und der Christenheit wohl arrangieren, aber der eine konkrete Christ Johannes, der den ganz konkreten Christus bezeugte, brachte ihn aus der Facon.

Vielleicht hätte der Herr dieser Welt Christus sogar gerne in das Pantheon der zu verehrenden Götter, Götzen, Religionsstifter und Propheten eingereiht, so wie es die Heiden in Antike und Gegenwart den Christen mitunter großzügig anbieten. Allein, das reicht dem Christen nicht. Hier ist die Parallele zu heutigen Theorien von globaler Kultur, globalem Ethos: Wer dem Christentum durch Abstraktion die konkrete Gestalt Christi raubt, vernichtet es, statt es der Menschheit zu schenken. Wieder gilt es, einem Missverständnis vorzubeugen: Sehr wohl ist die Botschaft Christi an alle Menschen gerichtet, aber die „Universalität“ des Christentums geht den mühsamen Weg über Mission und Bekehrung. Nicht durch Verwässerung, Reduktion, Uminterpretation, Abstraktion, sondern durch die Bekehrung ganz konkreter Menschen in ganz konkreten Situationen wird das Christentum universal.

Und auf diesem Weg kann es die konkreten Menschen nicht von ihrem ethischen, ethnischen und kulturellen Kontext abstrahieren. Wieder gibt es keinen „offenen Weg zu Frieden und Wohlfahrt“, sondern nur den konkreten Lebensweg mit seinen Weggabelungen, seinen Irrwegen, Umwegen, Abwegen. Weniger als das zu wollen, wäre weltlich gesprochen naiv, christlich gesprochen eine Häresie. Wären nämlich christliches Gottesbild, christliches Ethos, christliche Kultur beliebig und ohne Schaden für den Menschen durch ein anderes Gottesbild, ein anderes Ethos, eine andere Kultur austauschbar, dann wäre Gottes Heilshandeln absurd: Inkarnation, Predigt, Tod und Auferstehung Christi verlören ihren Sinn.

Wenn es aber wahr ist, dass Christus dem Menschen etwas gebracht hat, was dieser nicht aus sich selbst produzieren oder projektieren kann, und wenn es weiter wahr ist, dass diese Selbstoffenbarung Gottes nicht in eine Schublade unseres Lebens gehört, sondern alle Lebenswirklichkeit durchdringen und formen soll, dann hat das weit reichende Konsequenzen. Dann ist eine christlich geformte Kultur, Philosophie und Ethik jeder nicht-christlichen Kultur, Philosophie und Ethik wesenhaft überlegen. Dann kann in den so genannten post-christlichen Gesellschaften Europas das Programm tatsächlich nur „Neu-Evangelisierung“ lauten. Dann können alle Defensiv-Gefechte, die Christen heute in Europa schlagen, eigentlich nur die Atempause zur nächsten Attacke sein, zum Sturm auf die Bastionen einer säkularen Ordnung.

Bedrohliches Weltchaos und neue Welt-Unordnung

Mit dem Weltstaat hat das insofern zu tun, als Solowjew uns ja anschaulich gemacht hat, dass er eine Häresie ist. Der geographisch schrankenlose Staat durchbricht auch seine Zuständigkeitsgrenzen: für die ganze Menschheit geschaffen, will er auch das „totum“ aller Menschen sein, und wird deshalb „totalitär“. Solowjews Anti-Christ genügt es nicht, der Weltenherrscher zu sein, wenn er sich nicht auch noch die kleine Bastion geistiger Freiheit, die Kirche, unterwerfen kann. Der Staat, aus dem man nicht mehr auswandern kann (weil er die ganze Welt umfasst), will auch noch die innere Emigration verhindern. Der kommunistische Ostblock wollte mit seinen abgeriegelten Grenzen eine solche geschlossene Welt sein, die auch das Denken und Fühlen, die Religion, die Kultur und die Ethik ihrer Bürger bestimmen wollte. Im Weltstaat wird alle Politik zur Innenpolitik, denn dieser Staat kennt kein Außen mehr. Wo aber auf der horizontalen Ebene kein Anderer mehr als solcher anerkannt und respektiert wird, dort droht dies auch auf der Vertikalen zu geschehen.

Nicht einen hybriden Turmbau zu Babel, einen planetaren Staat, eine globale Ideologie brauchen die Menschen, sondern konkrete Lösungen der anstehenden lokalen, regionalen, nationalen, kontinentalen und dann auch der globalen Fragen und Probleme. Erst durch diese subsidiäre Ordnung des Fragens und Handelns werden persönliche Freiheit – im Staat und vom Staat – und kompetente Problemlösung überhaupt möglich. Eine Weltinstanz, die in das tatsächlich bedrohliche Weltchaos eine neue Weltordnung bringen will, wird entweder zur Welt-Unordnung (wie etwa die UN-Weltordnung) oder sie wird totalitär. Sollte ein Weltstaat tatsächlich global wirksam eingreifen können, wäre er bereits totalitär – und damit selbst das größte aller zu lösenden politischen Probleme.


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