aus: contrapunkt 3/1981
Rede
geringschätzig von deiner Kirche, ihren Geistlichen und Gemeindegliedern!
Wenn von der römischen Kirche die Rede ist, so sprich mit
Respekt von ihrer Organisationsmacht und starken Bindung! Wenn es sich aber um
deine eigene Kirche handelt, dann wehre dich gegen jede Bindung, die sie von dir
fordert!
Schwärme von Autorität, soweit sie dich nichts angeht!
Laß dir von allen religiösen Erscheinungen dieser Welt
imponieren, studiere alle Religionen, besonders dann, wenn sie weit weg sind!
Aber die Grundlagen deines eigenen Glaubens brauchst du nicht zu kennen!
Laß es die Kirche spüren, wenn du mit einem ihrer Glieder
unzufrieden bist!
Hüte dich, irgendeine Pflicht oder Arbeit in der Kirche zu übernehmen!
Das bringt nichts ein, und man kann dann nicht mehr ungeniert kritisieren!
Schwänze die Kirche und alle ihre Veranstaltungen und klage
darüber, daß nichts geschieht. Kannst du aber einer Versammlung nicht entgehen,
so schimpfe über die Viergeschäftigkeit der Kirche!
Zähle die Schwächen des kirchlichen Lebens und breite sie
besonders vor ihren Gegnern aus! So kommst du in den Ruf eines vorurteilsfreien
Mannes.
Drohe stets mit deiner Opposition! Dann muß man nämlich mit
dir rechnen, und du verpflichtest dich zu nichts!
Verlange, daß die Kirche alle Bewegungen deines Zeitbarometers
mitmacht! Will sie das nicht, so hat sie versagt!
Nenne dein augenblickliches Belieben dein "evangelisches
Gewissen" und fordere, daß alle kirchlichen Ordnungen sich danach richten!
Tun sie das nicht, dann klage über Tyrannei und finsteres Mittelalter!
Ruhe nicht eher, als bis alles, was vom Geheimnis und Unfaßbaren
in der Glaubenslehre der Kirche enthalten ist, daraus entfernt ist! Ist es dann
so weit, daß nur noch Menschendienst statt Gottesdienst in der Kirche vorhanden
ist, so beschwere dich über die Langeweile in der Kirche und suche dir einen
gediegenen Aberglauben.
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