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Oft ist zu hören und zu lesen,
die (katholische) Kirche habe im Mittelalter Millionen von Frauen in Europa als
Hexen verbrannt, bevor die Aufklärung kam und dem Spuk ein Ende bereitete. In
dieser Aussage stecken fünf Fehler
Von Josef Bordat
Berlin (kath.net/ Jobo72´s
Weblog) Geschichtsbilder werden gemacht. Anders geht es ja auch gar nicht,
schließlich kann Niemand die Zeit zurückdrehen, um sich persönlich von
historischen Gegebenheiten ein eigenes Bild zu machen. Rekonstruktionen (vor
allem räumliche) prägen also unser Bild vom Vergangenen. Wenn diese falsch sind,
weil sie auf fehlerhaften Annahmen basieren, ist das Bild, das wir haben, ein
falsches. Besonders bei Themen, die bis heute emotional aufgeladen sind, setzen
sich die Bilder durch, die das Befinden der Mehrheit bedienen. Ob sie wahr sind,
ist zweitrangig.
Die fehlerhaften Darstellungen in populärwissenschaftlichen Medienberichten und
die daraus folgenden Fehlurteile basieren dabei zum Teil auf waschechten
Fälschungen. Ein gutes Beispiel dafür ist das Thema „Hexen“. Oft ist zu hören
und zu lesen, die (katholische) Kirche habe im Mittelalter Millionen von Frauen
in Europa als Hexen verbrannt, bevor die Aufklärung kam und dem Spuk ein Ende
bereitete. In dieser Aussage stecken fünf Fehler.
Erster Fehler: Die
Zeit.
Die meisten Hexenverbrennungen gab es in Europa nicht im Mittelalter, sondern in
der Frühen Neuzeit; die letzte Hexe wurde in Deutschland 1775 verbrannt – die
Aufklärung war da schon ein Jahrhundert lang der Hauptstrom europäischer
Geistesgeschichte.
Zweiter Fehler: Die
Opfer.
Es waren nicht „8 oder 9 Millionen Opfer“, wie die NS-Propaganda vermutete,
sondern – nach derzeitigem Forschungsstand – etwa 50.000. In 350 Jahren
europäischer Hexenverfolgung (1430-1780). Die Christenverfolgung führt übrigens
jedes Jahr zu mehr als doppelt so vielen Opfern. Es wundert daher schon, dass
man als katholischer Christ wesentlich häufiger auf die Hexenverfolgung
angesprochen wird, die seit einem Vierteljahrtausend der Vergangenheit angehört
(jedenfalls soweit es eine europäische, „christlich“ motivierte war), als auf
die Christenverfolgung, die jetzt stattfindet. Die Opfer waren darüber hinaus
nur in Deutschland mehrheitlich Frauen, sonst war das Geschlechterverhältnis
zahlenmäßig mindestens ausgeglichen, z. T. waren die Männer in der Mehrzahl; in
Island waren 90 Prozent, in Estland 60 Prozent der Opfer Männer.
Dritter Fehler: Die
Täter.
Rund die Hälfte der 50.000 Opfer lebte auf dem Gebiet des Heiligen Römischen
Reiches Deutscher Nation. Wenn man davon ausgeht (und davon darf man aufgrund
der Quellenlage wohl ausgehen), dass die Opfer zahlenmäßig zwischen
protestantischen und katholischen Gebieten des Reichs ungleich verteilt waren –
zu Lasten der protestantischen Gebiete –, dann hat die Katholische Kirche die
Verantwortung für etwa 10.000 Todesopfer.
Interessant ist auch der Zusammenhang von Inquisition und Hexenverbrennungen:
Nur an einigen hundert der über drei Millionen Hexenprozesse (Schuldspruchquote:
1,5 Prozent) war die Inquisition beteiligt. Die Hexenprozesse fanden in der Tat
vor weltlichen Gerichten statt. Die Inquisition interessierte sich nämlich
hauptsächlich für Ketzer, nicht für Hexen. Im katholischen Spanien hat es keine
Hexenverfolgung gegeben – wegen der Inquisition. Auch in Italien sorgte die
Inquisition dafür, dass so gut wie keine Hexe verbrannt wurde. In Rom – dem
vermeintlichen Zentrum des Grauens – wurde nie eine Hexe oder ein Zauberer
verbrannt. Die Katholische Kirche hat die Hexenverfolgung niemals offiziell
bejaht.
„Ja, aber der ,Hexenhammer’!“ Oft wir unterschlagen, wie es eigentlich zu dem
berüchtigten „Hexenhammer“ (Malleus Maleficarum, 1486) kam. Heinrich Kramer (Institoris)
schrieb ihn, weil er in Innsbruck erfolglos einen Hexenprozess angestrengt und
kurz darauf des Landes verwiesen wurde. Von wem? Vom Bischof Georg Golser. Der
„Hexenhammer“ ist eine Reaktion darauf gewesen. Die Bulle, auf die sich Kramer
in Innsbruck berief, Summis desiderantes affectibus (1484), enthielt im Übrigen
die Aufforderung, verdächtige Personen ernsthaft zu prüfen und bei bestätigendem
Ergebnis zurechtzuweisen, zu inhaftieren und zu bestrafen – nicht aber, sie zu
verbrennen. In der Praxis hat das den Hexenwahn eher gemindert als befördert.
Kirchenrechtlich hat die „Hexenbulle“ übrigens nie Bedeutung erlangt, maßgebend
war immer der Canon episcopi, der Hexenglaube als Einbildung ablehnte und bis
zur Kirchenrechtsreform von 1918 im maßgeblichen CIC enthalten war; „Summis
desiderantes affectibus“ taucht dagegen in keinem Verzeichnis auf. Wie gesagt:
Die Katholische Kirche war gegen die Hexenverfolgung – im Gegensatz zu Luther
und Calvin. Martin Luther war ein Verfechter der Hexenverfolgung, denn er war
überzeugt von der Möglichkeit des Teufelspaktes und des Schadenszaubers. In
einer Predigt vom 6. Mai 1526 sagte er über Hexen und Zauberer: „Sie schaden
mannigfaltig. Also sollen sie getötet werden, nicht allein weil sie schaden,
sondern auch, weil sie Umgang mit dem Satan haben.“ – Fairerweise muss man aber
sagen, dass sowohl katholische wie auch protestantische Theologen gegen den
Hexenwahn angekämpft haben. Neben Jesuiten wie Spee und Laymann etwa Johann
Weyer (Konfessionszugehörigkeit umstritten, wahrscheinlich Konvertit) und der
reformierte Anton Praetorius.
Vierter Fehler: Der Ort.
Der Schwerpunkt der Hexenverfolgung lag nicht in Europa, sondern
liegt im heutigen Afrika: „Die intensivste Hexenverfolgung“, so schreibt der
Theologe Richard Schröder in Abschaffung der Religion? Wissenschaftlicher
Fanatismus und die Folgen (2008), „fand 2001 statt“, und zwar im „östlichen
Kongo“. Dort hat sie alles andere als „christliche“ Gründe. Es gibt Schätzungen,
die im Zusammenhang mit Hexenkulten im heutigen Afrika von mehreren tausend
Opfern jährlich ausgehen. Dieser Umstand ist hierzulande meist unbekannt.
Fünfter Fehler: Das Ende.
Interessant ist auch, wie der Hexenwahn – in Europa! – sein Ende fand. Noch
einmal Schröder: „Durch die Aufklärung, sagt man. Das stimmt so nicht. Er kam
nämlich schon im 17. Jahrhundert weithin zum Erliegen.“ Es gab nämlich massiven
Widerstand. „Die Gegner waren Theologen und Juristen, die sich als Christen
verstanden.“ Einer davon war der schon erwähnte Friedrich Spee von Langenfeld.
1631 erscheint sein Hauptwerk, die Cautio criminalis („Rechtliches Bedenken
wegen der Hexenprozesse“), die nur wenige Woche nach Erscheinen vergriffen ist.
In diesem Buch entlarvt er die Hexenprozesse als Farce und die Vollstreckung der
Urteile als Mord. Im Zentrum der Kritik steht die Anwendung der Folter, die
damals zur Wahrheitsfindung eingesetzt wurde. Spee hält Folter zwar auch für
moralisch verwerflich („Kein deutscher Edelmann würde ertragen können, daß man
seinen Jagdhund so zerfleischte. Wer soll es da mit ansehen können, daß ein
Mensch so vielmals zerrissen wird?“), doch zunächst für juristisch untauglich,
weil sie in der Rechtspraxis zur fehlerhaften Beweisaufnahme führe. Friedrich
von Spee war übrigens katholisch.
Wie kommt es aber, dass ein Satz mit fünf Fehlern zum „Basiswissen“ des
„aufgeklärten“ Deutschen gehört? Nun, dafür ist wohl mangelndes
Richtigstellungsinteresse innerhalb der historischen Forschung in Deutschland
verantwortlich. Interessant in dem Zusammenhang, dass offenbar erst 1975 durch
die Arbeiten von Norman Cohn und Richard Kieckhefer geklärt wurde, dass die von
Etienne Leon de Lamothe-Langon in seiner Histoire de l’Inquisition en France
(1829) beschriebenen Massenprozesse und -hinrichtungen im Zuge der
Hexenverfolgung im Frankreich des 14.[sic!] Jahrhunderts frei erfunden waren,
wie die Mediävistin Jenny Gibbons in einem interessanten Artikel darlegt.
Nachdem die Forschungskommunität anderthalb Jahrhunderte lang keinen Anstoß
daran nahm, dass der Verfasser der „Inquisitionsgeschichte in Frankreich“ keine
Belege für seine Behauptungen anführt und keine Quellen nennt, ist nun deutlich
herausgearbeitet worden, dass man für weitreichende Behauptungen, wie etwa die,
dass an einem einzigen Tag 400 Hexen ermordet worden seien, Behauptungen
anführen und Quellen nennen sollte. Diese Klärung erfolgte erst, als die Fiktion
de Lamothe-Langons längst in der Geschichtsschreibung tradiert war und
infolgedessen als unumstößliches Faktum die Stammtische erobert hatte.
Wir erinnern uns: Geschichtsbilder werden
gemacht.
Dieser Beitrag stammt aus dem Blog
von Dr. phil. Josef Bordat
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