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1. Was meinen wir, wenn wir „Kirche“ sagen?
2. Der Dienst der Versöhnung
2.1. Objektive und subjektive Erlösung
2.2. Der Dienst der Versöhnung
2.3. Kirche und Demokratie
3. Das evangelisch-lutherische Bekenntnis von der Kirche
nach dem "Augsburgischen Bekenntnis"
3. Schlußfolgerungen
1. Was meinen wir, wenn wir „Kirche“ sagen?
Schon, wenn wir das Wort „Kirche“ in den Mund nehmen, müssen wir eigentlich dazusagen, was wir denn eigentlich damit meinen. Es werden ja oft völlig verschiedene Dinge gemeint, wenn Begriff „Kirche“ gebraucht wird: etwa ein Gebäude, in das ich gehe oder der Gottesdienst oder eine Konfession oder eine Organisation oder eine einzelne Kirchgemeinde.
So müssen wir vor allem klären: Was meinen wir, wenn wir „Kirche“ sagen?
Im griechischen Urtext des NT steht für das, was in den verschiedenen Bibelübersetzungen mit „Kirche“, „Gemeinde“ oder „Versammlung“ übersetzt wird, jeweils nur
das eine Wort „ekklesia“.
Das griechische Wort
„Ekklesia“ ist ursprünglich ein Begriff aus der Politik und meint die
Zusammenkunft der stimmberechtigten Bürger einer griechischen Stadt auf der
öffentliche Angelegenheiten behandelt wurden
Wie kam dieser ursprünglich „politische“ Begriff in das Neue Testament?
Die Juden, die in der Antike außerhalb Israels lebten und auch die an den Gott Israels gläubig gewordenen Heiden lasen das Alte Testament. Da sie aber der hebräischen Sprache nicht mächtig waren, benutzten sie eine
griechische Übersetzung des AT, die sogenannte "Septuaginta". In dieser griechischen Übersetzung des Alten
Testaments wird das Wort „ekklesia“ als Übersetzung für das hebräische „qāhāl“ verwendet
(Manchmal auch "kahal" transkribiert). Der Ausdruck „qāhāl“ ist eine der alttestamentlichen Bezeichnung für das Volk Gottes. In der Wuppertaler Studienbibel heißt es darüber
zu 1 Kor 1,2:
„Ekklesia“ tou theou" (= Gemeinde Gottes) ist ... Wiedergabe des atst "kehal Jahwe" (Mi 2,5; 4 Mo 16,3;20,4), wie auch das Wort ”kahal” als solches oder in der Verbindung "kehal Jisrael" vielfach Israel feierlich als das Gottesvolk bezeichnet. Schon die LXX (= Septuaginta: grie. Übersetzung des hebr. AT) übersetzt dieses "kahal" mit "Ekklesia". Diesen Sprachgebrauch nimmt Paulus auf. Dabei bleibt aber das Moment des Versammeltseins wichtig. Auch "kahal"
blickt vielfach gerade auf das "versammelte" Gottesvolk, zu dem gesprochen
wird, z. B. 5 Mo 31,30. Wer nicht an der Versammlung der Gemeinde teilnimmt,
gehört nicht wirklich zu ihr.
Soweit die “Wuppertaler Studienbibel”.
Wir können also zunächst sagen, daß der neutestamentliche Terminus „ekklesia“
das versammelte Volk Gottes bezeichnet.
Als „versammeltes Volk Gottes, als „ekklesia“, wird im Neuen
Testament nun folgendes
bezeichnet:
Das gesamte Volk Gottes an allen Orten und zu allen Zeiten:
Die Eine, heilige, allumfassende, apostolische Kirche, wie sie im
Nizänischen Glaubensbekenntnis bekannt wird.
Eph 1,22f.: „Und alles hat er seinen Füßen unterworfen und
ihn als Haupt über alles der Gemeinde gegeben, die sein Leib ist, die Fülle
dessen, der alles in allen erfüllt.“
Das gesamte Volk Gottes an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit:
1 Kor 1,1f: „Paulus, berufener Apostel Christi Jesu durch
Gottes Willen, und Sosthenes, der Bruder, an die Gemeinde Gottes, die in
Korinth ist, den Geheiligten in Christus Jesus, den berufenen Heiligen.“
Die verschiedenen Versammlungen der Christen
an einem bestimmten Ort:
Heute etwa vergleichbar mit verschiedenen Kirchgemeinden oder Hauskreise, in denen sich das
eine Volk Gottes einer Stadt in verschiedenen Versammlungen traf, ohne daß es aufhört,
ein einziges Volk zu sein:
Röm 16,3.5f.: „Grüßt Priska und Aquila, ... und die
Gemeinde in ihrem Haus!“
Im NT wird das Wort „ekklesia“ in der Mehrzahl und in
der Einzahl verwendet:
Es grüßen euch die Gemeinden
Asiens. Es grüßen euch vielmals im Herrn Aquila und Priska samt der Gemeinde
in ihrem Hause.
1 Kor 16,19:
Der neutestamentliche Befund ergibt also:
Egal, ob ein Hauskreis, eine Pfarrei, das versammelte Gottesvolk eines Ortes oder die unter ihrem Haupt Christus vereinten Christen aller Zeiten und Orte: es gehört alles zusammen und alles ist Kirche.
Die "Kirche“ verwirklicht sich in dieser Zeit und Welt in den örtlichen
gottesdienstlichen Versammlungen der Christen, auch wenn sie sich eventuell an
verschiedenen Stellen eines Ortes in unterschiedlichen Versammlungen sammelt.
Ein Wort noch zu dem "Unterschied" zwischen "Kirche" und "Gemeinde"
Wir verwenden den Begriff „Kirche“ vorzugsweise vom gesamten Volk Gottes aller Zeiten und Orte (Gesamtkirche) und den Begriff „Gemeinde“ vorzugsweise für die einzelne konkrete Versammlung (Ortsgemeinde). Diese Unterscheidung ist nicht zwingend, aber praktikabel.
Wozu ist Kirche da? Die Antwort gibt uns der Apostel Paulus in einer Bibelstelle, in der eigentlich gar nicht von der Kirche die Rede ist:
Gott hat uns mit sich
selbst versöhnt durch Christus und uns den Dienst der Versöhnung gegeben hat,
(nämlich) daß Gott in Christus war und die Welt mit sich selbst versöhnte,
ihnen ihre Übertretungen nicht zurechnete und in uns das Wort von der
Versöhnung gelegt hat.
So sind wir nun Gesandte an Christi Statt, indem Gott gleichsam durch uns
ermahnt; wir bitten für Christus: Laßt euch versöhnen mit Gott!
(2 Kor 5,18,ff.)
Die objektive Versöhnung:
„...daß Gott in Christus war und die Welt mit sich
selbst versöhnte, ihnen ihre Übertretungen nicht zurechnete“ :
Daß die Welt mit Gott versöhnt ist, ist nach dem, was der
Apostel Paulus schreibt, eine allgemeingültige Tatsache. Jesus Christus hat durch seine stellvertretende Genugtuung die Wiederversöhnung der Menschheit mit Gott prinzipiell und objektiv vollzogen.
Jesus starb nicht als „einer von vielen“, sondern als der Eine, Unvergleichliche, der Christus, der Herr der Menschheit.
Was aber einer in seinem Amt für andere mit Vollmacht tut, das gilt dann für diese andern, als hätten sie es selbst getan. Wenn ein Schülersprecher
sich für die Klasse entschuldigt, dann haben sich damit alle entschuldigt.
Wenn der Präsident eines Staates für sein Land Frieden schließt, dann ist der
Krieg für alle beendet und der Friedensschluß gilt grundsätzlich allen Bürgern
des Landes.
Diese objektive Erlösung muß aber vom einzelnen Menschen ergriffen und ihm zugeeignet werden. Aus der objektiven Erlösung der Welt muß eine subjektive Erlösung des einzelnen Menschen werden.
Die subjektive Erlösung Darum
schreibt Paulus: „(Gott hat) uns den Dienst der Versöhnung gegeben ...
und in uns das Wort von der
Versöhnung gelegt . So sind wir nun Gesandte an Christi Statt, indem Gott
gleichsam durch uns ermahnt; wir bitten für Christus: Laßt euch versöhnen mit
Gott!"
Die Welt ist objektiv versöhnt mit Gott und dennoch müssen die Menschen gebeten werden:
"Laßt euch versöhnen!" Die von Christus durch Kreuz und Auferstehung erworbene Erlösung muß dem einzelnen Menschen zugewendet und in ihm verwirklicht werden. Mit anderen Worten: es muß zur Rechtfertigung und Heiligung des Einzelnen kommen. Wer die von Christus vollzogene objektive Erlösung nicht subjektiv ergreift und sich aneignet, geht ewig verloren. Für diese subjektive Erlösung eben, für Rechtfertigung und Heiligung, hat Gott die Kirche geschaffen.
Die Kirche setzt letztendlich die Sendung
Jesu in der Welt fort: Jesus Christus hat als König, Priester und Prophet der Welt die Erlösung erworben. Die Kirche wendet diese Erlösung den Menschen zu.
Sie tut das, indem sie die Gläubigen weidet,lehrt und heiligt. anders gesagt:
indem in ihr das dreifache Amt Christi ausgeübt wird, das Hirtenamt, Lehramt und Priesteramt. Die Kirche ist dabei nichts Neues neben oder außer Christus, sondern als Leib und Werkzeug Christi „verlängert“ sie quasi Sein erlösendes Handeln in Zeit und Raum.
Die Kirche ist jedoch
kein Mittler neben oder außer Christus, sondern – recht verstanden – "der
fortlebende Christus auf Erden":
Man muß sich dabei vor Augen zu halten, daß die Kirche der Leib Christi ist. Nie schreibt Paulus:
"Die Kirche ist wie der Leib Christi", sondern er schreibt: "Die Kirche
ist es."
Darum konnte Paulus schreiben „Denn wie der Leib einer ist
und viele Glieder hat, alle Glieder des Leibes aber, obwohl viele, ein Leib
sind: so auch der Christus.“ (1 Kor 12,12) oder „Ist
der Christus zerteilt?" (1 Kor 1,13) oder „Was verfolgst du mich?" als Frage an
den Kirchenverfolger Saulus in Apg 9.
Man kann die Verbindung zwischen Haupt und Leib, Jesus und Kirche gar nicht eng genug sehen. Man kann auch nicht sagen: Hier Christus, dort die Kirche. Wo eins ist, ist auch das andere:
Wo Christus ist, da ist die
allumfassende Kirche.
(Bischof Ignatius von Antiochien, gestorben als Märtyrer
in Rom um 115 n. Chr.)
Der ganze Christus; Haupt und Leib, einer aus
vielen ... Rede nun das Haupt oder rede der Leib, immer redet Christus; er
redet aus der Rolle des Hauptes, wie der des Leibes. Wie steht es geschrieben?
Zwei werden ein Fleisch sein. Dies ist ein tiefes Geheimnis; ich beziehe es
auf Christus und die Kirche (Eph 5,31f.) Und der Herr sagt selbst im
Evangelium: ‘Sie sind nicht mehr zwei, sondern ein Fleisch'. Es sind, wie ihr
wißt, zwei Personen und doch wiederum nur eine durch die eheliche Verbindung
... Bräutigam nennt er sich selber als Haupt, Braut als Leib.
(Augustinus, um 400 n. Chr.)
Der „ganze Christus" ist nach dem NT mehr als Jesus von Nazaret. Jesus ist das Haupt, die Gemeinde ist der Leib. Haupt und Leib zusammen sind der „ganze Christus!"
Paulus schreibt im Epheserbrief: Gott setzte verschiedene Ämter und Dienste ein,
um die Heiligen für
die Erfüllung ihres Dienstes zu rüsten, für den Aufbau des Leibes Christi. So
sollen wir alle zur Einheit im Glauben und in der Erkenntnis des Sohnes Gottes
gelangen, damit wir zum vollkommenen Menschen werden und Christus in seiner
vollendeten Gestalt darstellen.
(Eph 4,13 nach der Einheitsübersetzung)
Durch den Dienst der verschiedenen von Gott gestifteten Ämter soll die Kirche „Christus in seiner vollendeten Gestalt darstellen“,
eben den „ganzen“ Christus.
Gott hat es so geordnet, daß die durch Kreuz und Auferstehung objektiv
geschehene Erlösung durch den Dienst der „Diener Christi und Verwalter der Geheimnisse Gottes“ (1 Kor 4,1) den einzelnen Menschen angeboten und zugewendet wird.
Gott selbst handelt durch die „Botschafter an Christi Statt“ ( 2 Kor 5,20).
Daß Gott Menschen in Dienst nimmt, gehört zu den Grundgesetzen der göttlichen Erlösungsordnung. Dagegen kann kein Mensch Einspruch erheben, denn es ist Gottes Sache, den Weg zu bestimmen, auf dem der Mensch zu ihm kommen kann und soll.
Schon im Alten Bund gilt das Prinzip der Sendung und Bevollmächtigung. Nicht
anders ist es im Neuen Bund. Auch im Neuen Bund führt Gott bzw. Christus also Seine
Kirche durch Menschen, die ER sendet und autorisiert.
Der Vater sandte den Sohn als Heiland der Welt: 1 Joh 4,14
Die Sendung, die der Sohn vom Vater empfangen hatte, gab der Sohn seinen besonderen Beauftragten weiter.
Diese besonders Beauftragten hatte Er aus der Menge seiner Jünger
herausgerufenMk 3,13f.,
Lk 6,13) und gesandtJoh 20,21)Joh 13,20)
Besonders evangelische Christen müssen im
Zusammenhang solcher und ähnlicher Worte erstaunt zur Kenntnis nehmen, daß Jesus
sie nicht zu der gesamten Schar seiner Anhänger sagte, sondern nur zu einem Teil
seiner Jünger, den er eigens berufen hat:
Und als es Tag wurde,
rief er seine Jünger und erwählte zwölf von ihnen, die er auch Apostel nannte.
(Lk 6,13)
Der Kreis der Jünger Jesu war immer viel größer als der Kreis der Zwölf - sowohl vor als auch nach der Kreuzigung Mt 28,7+16f.; Lk 6,17; 8,2; 10,1; Joh 6,66; 19,38; Apg 1,13-15.
Auch wenn in den Evangelien der Zwölferkreis oft zusammenfassend „Jünger“
genannt, gilt dennoch: Jeder Apostel war ein Jünger, doch nicht jeder Jünger ein
Apostel.
Aber auch innerhalb dieses Zwölferkreises hat Jesus offensichtlich
„Unterschiede“ gemacht. Der engere Kreis setzte sich zusammen aus den Aposteln
Petrus, Jakobus und Johannes: Mt 17,1 par; Mk 5,37; 13,3; 14,33; u.a.m.
Diese herausragende Stellung der drei blieb auch nach Pfingsten erhalten: Paulus schreibt in Gal 2,9, von
„Jakobus und Kephas und Johannes, die als Säulen angesehen werden.“
Wir finden also Bibelstellen, die darauf hindeuten, daß Jesus Christus innerhalb
seiner Schar von Jüngern einen Teil vor allen anderen besonders bevollmächtigt
hat, in Seinem Namen aufzutreten und zu handeln (Joh 20,21 und Mt 10,40; Lk 10,16). So erleben wir in der Apg und den Briefen des NT die Apostel und andere immer als solche, die sowohl Teil der Gemeinde sind, als auch dieser (mit Autorität) gegenüberstehen.
Schon in der Urgemeinde herrschte die Auffassung, daß das Amt nicht aus der
Gemeinde herauswächst, sondern daß es ihr von oben gegeben wird als
stellvertretender Dienst und daß es ausgeübt wird in der Verantwortung vor dem
Herrn der Kirche und in Seinem Namen. Träger dieses Amtes sind erst die Zwölf,
dann diese zusammen mit ihren Mitarbeitern. Die Vollmacht Jesu, die zunächst auf
Seine Apostel übergegangen ist, wird von ihnen auf ihre Mitarbeiter übertragen (Apg 6,6; 14,23) und von diesen wiederum auf andere: 1 Tim 5,22; Tit 1,5.
Das demokratische Prinzip ist das Prinzip, daß jegliche Gewalt (= Vollmacht) in Staat und Gemeinde vom Volke ausgeht. Dieses Prinzip findet sich nicht (positiv) in der Bibel. Sie ist von außerhalb in die christliche Gemeinde hineingetragen worden.
Gleichwohl ist die Lehre von der „Vollmacht der Gemeinde“ uralt: Die folgenden Forderungen und Vorwürfe der von der Gemeindeversammlung (demokratisch) Gewählten an die Von Gott eingesetzten Autoritäten klingen auch uns ziemlich auch heute vertraut:
Und Korach, der Sohn Jizhars, des Sohnes Kehats,
des Sohnes Levisa, unternahm es und (mit ihm) Datan und Abiram, die Söhne
Eliabs, und On, der Sohn Pelets, die Söhne Rubens,
und sie erhoben sich gegen Mose mit 250 Männern von den Söhnen Israel, Fürsten
der Gemeinde, Berufene der Zusammenkunft, namhafte Männer.
Und sie versammelten sich gegen Mose und gegen Aaron und sagten zu ihnen:
Genug mit euch! (oder: <ihr beansprucht> zu viel für euch)
Denn die ganze Gemeinde, sie alle sind heilig, und der HERR ist in ihrer
Mitte. Warum erhebt ihr euch über die Versammlung des HERRN?
...
Und Mose sandte hin, um Datan und Abiram, die Söhne Eliabs, zu rufen. Aber sie
sagten: Wir kommen nicht hinauf!
Ist es zu wenig, daß du uns aus einem Land, das von Milch und Honig
überfließt, heraufgeführt hast, um uns in der Wüste sterben zu lassen? Willst
du dich auch noch zum Herrscher über uns aufwerfen?
Du hast uns keineswegs in ein Land gebracht, das von Milch und Honig
überfließt, noch uns Äcker und Weinberge als Erbteil gegeben! Willst du diesen
Leuten ‹etwa› die Augen ausstechen? Wir kommen nicht hinauf!
(4 Mose 16,1ff.)
Interessant ist, daß diese Männer als "Berufene der Zusammenkunft bezeichnet
werden. Für "Zusammenkunft finden wir im hebräischen Text nicht das Wort
"qāhāl", sondern mô‛ēd
(Zusammenkunft, Begegnung Verabredung). Es scheint hier um eine
Gemeindeversammlung zu gehen, die demokratisch Delegierte wählte, welche gegen
Mose und Aaron auftreten sollten.
Aus der Wahrheit, daß nämlich die ganze Gemeinde heilig und der HERR in ihrer
Mitte ist, wurden falsche Schlußfolgerungen gezogen: aller "Gleichheit" und
"Freiheit" und die "Brüderlichkeit" (oder moderner ausgedrückt:
Geschwisterlichkeit) untereinander wären durch Mose und Aaron bedroht.
Mose wies Korach und
die anderen aber auf etwas Wichtiges hin:
Du und deine ganze Rotte, ihr macht einen Aufruhr
wider den HERRN! Es ist nicht Aaron, gegen den ihr murrt.
Es mag
nun hier der Einwand kommen, daß Korach und seine Anhänger eben sozusagen "neutestamentlich" gedacht hätten (bzw.
das, was man heute weitverbreitet dafür hält). Daß sie nämlich sozusagen avantgardistisch
im "vorauseilenden Gehorsam" das "allgemeine Priestertum" propagiert hätte, daß ja nun im
Neuen Bund da sei.
Abgesehen, daß es auch schon im Alten Bund das "allgemeine Priestertum aller
Glieder des Gottesvolkes gab: auch noch im Neuen Testament wird die Empörung Korachs
als Gefahr sehr ernst genommen!
Wehe ihnen! Denn sie sind den Weg Kains gegangen
und haben sich für Lohn dem Irrtum Bileams völlig hingegeben, und in dem
Widerspruch Korachs sind sie umgekommen.
Jud 11
Von einem anderen Aufruhr Korachs als dem im Namen eines „demokratischen Prinzips“
und von "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" ist im Alten Testament nichts zu
finden. Welchen anderen Aufruhr Korachs sollte im neutestamentlichen Brief des Judas also
die Rede sein, als den im Namen der Gemeindedemokratie?
Es scheint also auf der Hand zu liegen, daß sich das „demokratische
Gemeinde-Prinzip“ sowohl weder auf das Alte, als auch nicht auf das Neue
Testament berufen kann.
Auch im Neuen Testament findet man solche Christen, die sowohl Teil der Gemeinde
sind, als auch dieser mit Autorität gegenüberstehen. Damit ist freilich nicht
gesagt, daß anstelle einer Basisdemokratie eine Klerikerdiktatur treten solle
oder nur der Klerus die Kirche wäre.
Die Kirche
Gottes ist keine Demokratie! Das Prinzip der Demokratie ist: Alle Gewalt (= Vollmacht) geht vom Volke aus. Darum wird gefordert: „Alle Macht den Räten!“ In der Kirche ist diese Losung schlichtweg falschSchon in der Urgemeinde herrschte darum die Auffassung, daß das Amt nicht aus der Gemeinde herauswächst, sondern daß es ihr von oben gegeben wird als christusvertretender Dienst und daß es ausgeübt wird in der Verantwortung vor dem Herrn der Kirche und in Seinem Namen.
Überall im Neuen Testamente sehen wir, daß das heilige Amt
die Gemeinden erzeugt, nirgends, daß das Amt ... nur eine Übertragung
gemeindlicher Rechte und Machtvollkommenheit sei, daß die Gemeinde das Amt
gebe.
Wilhelm
Löhe: Aphorismen über die neutestamentlichen Ämter, 1848. Werke V/1, 294-297
Träger dieses Amtes sind erst die Zwölf, dann diese zusammen mit ihren Mitarbeitern. Die Vollmacht Jesu, die zunächst auf Seine Apostel übergegangen ist, wird von ihnen auf ihre Mitarbeiter übertragen und von diesen wiederum auf andere: Apg 6,6; 14,23
und 1 Tim 5,22; Tit 1,5
Wie sieht
aber die kirchliche Wirklichkeit im Protestantismus aus? Im Protestantismus hat sich die Demokratisierung (= Einführung der Volksherrschaft) durchgesetzt, denn hier geht alle geistliche Vollmacht von der Gemeinde aus und hat damit aufgehört, überhaupt Vollmacht zu sein. Denn wie will der Empfänger von Vollmacht dem Spender von Vollmacht
Weisungen erteilen?
Auch im römischen Katholizismus sieht es hierzulande nicht besser aus.
Karl Graf Ballestrem, Professor für Politikwissenschaft in Eichstätt, schrieb
einmal: „Nicht konsequenter Katholizismus, sondern halbherziger Protestantismus
ist das Problem der katholischen Kirche in Deutschland.“ (FAZ vom 4.8.1999)
Man zieht gegen eine unterstellte Klerikerherrschaft zu Felde und versucht, an
ihrer Stelle eine Rätediktatur zu errichten und behauptet: Wir sind Kirche!
Welcher Gedanke steht hinter dem demokratischen Prinzip? Dahinter steht ein
falsches Bild von Kirche: Sie wird wesentlich als die durch ihre Mitglieder konstituierte Gemeinschaft verstanden:
Menschliche Entscheidung, freier Wille „gründen“ die Kirche.
Die Kirche ist von ihren Mitgliedern her geschaffen. Wir haben damit das Vereinsprinzip, den frommen „Klub“. Der Wille der Gemeinde und zwar als parlamentarische Versammlung ist oberste Autorität und nicht nur oberste Autorität, sondern auch willkürliche Autorität. Der Wille der Mitglieder (bzw. der durch sie gewählten Vertreter) ist oberstes Gesetz. Der Mehrheitswille entscheidet.
Die Konsequenz des demokratischen Gemeindeprinzips ist: Die Vereinskirche bzw. die
Gemeinde als Verein. Der Amtsträger als „Angestellter“, Befehlsempfänger und Funktionär der Mehrheit.
Im Gegensatz
dazu kennt das Neue Testament nicht den Aufbau der Gemeinde von den Gliedern
her, sondern vom Haupte, von Christus her. Von Christus her über das Amt wird
die Gemeinde gebaut und geführt: Eph 2,20; Mt 16,18f.; 1 Kor 12,28ff.; Offb 22,14; Apg 2,14; 15,6; 16,4; 1 Kor 3,9; Jak 3,1.
Nur als solche von oben her gebaute und geführte Gemeinschaft ist sie Gemeinde. Gemeinde ist nicht dort, wo Mitglieder sich konstituieren, sondern wo Gott durch Wort und Sakrament (durch
den Dienste Seiner Knechte) Sein Volk sammelt.
Die Kirche ist mithin keine Demokratie, sondern eine Theokratie.
Demokratie in der Kirche führt zwangsläufig zu Anarchie: jeder ist irgendwann
sein eigener König, Priester und Prophet und ist gezwungen, sich selbst zu weiden: leitet, lehrt und heiligt
sich selbst. Und obwohl es scheinbar im superfrommen Gewand daherkommt, ist das Ergebnis:
Und als Er das Volk sah, jammerte es ihn; denn sie waren verschmachtet und zerstreut wie die Schafe, die keinen Hirten haben.
Da ist der Teufel am Ziel:
... der Wolf stürzt sich auf die Schafe und zerstreut sie
...
Und wenn er
sie frißt, wird vermutlich ihr letztes Blöken sein: "Wir brauchen keine
menschlichen Hirten!"
Daß die Kirche für die „Heilsdarreichung“ von Gott geschaffen wurde, steht nicht nur in der Bibel, sondern wird auch in unseren lutherischen Bekenntnisschriften gesagt.
Die Anordnung der einzelnen Artikel in der
Confessio Augustana ist zum Beispiel nicht zufällig und beliebig. Sie wurden sorgfältig, kunstvoll und folgerichtig angeordnet:
Im Artikel IV wird gesagt, daß wir Vergebung der Sünden bekommen und vor Gott gerecht werden „aus Gnade um Christi willen durch Glauben“. In diesen drei Worten: aus Gnade (lat. gratis), um Christi willen, durch Glauben, liegt aller Trost gegen Hölle und Tod, Sünde und Gericht. Wir müssen darum daran festhalten, daß das Heil uns zuteil wird aus Gnade um Christ willen durch Glauben.
Das dreifache "sola" (= allein) findet sich im Augsburgischen
Bekenntnis übrigens nicht!
Soweit wird jeder mehr oder wenig evangelisch
gesonnenen Christen der Augustana zustimmen. Gestritten wird in der Regel um das, was in der CA danach ausführt wird!
Im V. Artikel wird nämlich gesagt, was Gott (!) gegeben
hat, „daß wir diesen (rechtfertigenden) Glauben erlangen. Er hat
das (Predigt-)Amt eingesetzt, das Evangelium und die Sakramente gegeben, durch die er als durch Mittel den Heiligen Geist gibt.“
"Gott", "Amt", "Botschaft" (Evangelium), "Sakramente": das sind Begriffe, die uns heute schon in verschiedenen Bibeltexten begegnet sind:
(Gott hat) uns den
Dienst der Versöhnung gegeben ... und (hat) in uns das Wort von der
Versöhnung gelegt So sind wir nun Gesandte an Christi Statt, indem Gott gleichsam durch uns ermahnt; wir bitten für Christus: Laßt euch versöhnen mit Gott!“
und
Dafür halte uns jedermann für Diener Christi und Verwalter der Geheimnisse Gottes“
(1 Kor 4,1; Geheimnis = grie. mysterion = lat. sacramentum)
Der Glaube, durch den ich gerechtfertigt werde, fällt nicht vom Himmel herab auf meinen Kopf, sondern damit ich ihn erlangen kann, hat
nach unserem lutherischen Bekenntnis Gott – und nicht Menschen (!)– das Amt gegeben, welches das Wort Gottes verkündet und die Sakramente darreicht. Dieses „Amt der Kirche“ „repräsentiert Christus persönlich“Apol VII, 28: repraesentant Christi personam), verkündigt das Wort und reicht die Sakramente „an Christi statt“ Apol VII, ebd.: Christi vivi et loco) und steht der Gemeinde gegenüber, auch wenn der Diener Glied der Gemeinde bleibt.
Die Rechtfertigung ist kein
spiritueller Vorgang, sie ist an feste, äußere, von Gott gestiftete und
geordnete Gnadenmittel ... gebunden, durch welche ER wirkt und Menschen zum
rechtfertigenden Glauben und zum Ergreifen der dargebotenen Gnade führt. ...
Damit ist eine schroffe Antithese gesetzt gegen die Schwärmer, die die Wirkung
des Hl. Geistes unmittelbar erwarten und die äußeren Gnadenmittel verachten.
(Lieberg, Helmut:
Grundstrukturen einer Kirche Augsburgischer Confession)
Die Kirche entsteht und besteht durch die reine Predigt des Evangeliums und die evangeliumsgemäße Verwaltung der Sakramente, weil der Heilige Geist, der den rechtfertigenden Glauben wirkt, durch das von Gott als Mittel der Geistmitteilung eingesetzte Amt kommt, welches das Evangelium predigt und die Sakramente darreicht.
Stehen die Dinge so, ist auch klar, daß die Ordnungen und die Gestalt der Kirche nicht dem menschlichen Belieben preisgegeben sind.
Die Frage nach den Strukturen und Ordnungen in der Kirche steht und fällt mit der Vorstellung, die man von der Entstehung der Kirche hat. Wenn – wie von vielen Theologen behauptet wird – Jesus von Nazaret gar keine Kirche gewollt und ist die Kirche später aus dem Bedürfnis der Menschen herausgewachsen, sich mit Gesinnungsgenossen zusammenzuschließen, wird sie zu einer rein irdischen Vereinigung. Sie wäre dann mit rein soziologischen Begriffen zu beschreiben, menschliche Gründung, eine Vereinigung religiös gleichgesinnter Menschen, der Verein „Bedürfnisanstalt zur Befriedigung religiöser Neigungen frommer Menschen e.V.“.
Wenn sie aber eine rein menschlicher Vereinigung ist, dann wäre in der Tat
die Gestalt ihrer Botschaft und ihrer Ordnung ihrem Belieben oder dem Wechsel der jeweils herrschenden weltanschaulichen oder politischen Überzeugungen überlassen.
(Barmer Theologische Erklärung von 1934, III)
Das Christentum ist keine Religion, sie sich zwischen Gott und dem Einzelnen allein abspielt. Dieser Gedanke kam wohl erst mit der Renaissance im Mittelalter auf und wurde in die heutige Zeit des Individualismus bis zum
Exzeß gesteigert. Das Christentum ist aber keine private Idee, sondern ein Weg (Apg 9,2; 19,9.23; 24,14.22), den man in einer gegliederten Gemeinschaft geht.
Von Anbeginn an gibt es Christentum nur als verfaßte Gemeinschaft, nie als kirchenfreies Christentum. Wer glaubt, in die Apostelgeschichte hineinlesen zu müssen, daß am Anfang allein das Interesse Einzelner an der „Sache Jesu“ und seiner Botschaft gestanden hätte und sich diese Interessenten dann allmählich zusammengeschlossen hätten, der mag das tun und weiter im Irrtum verharren. Es bleibt dagegen festzuhalten: Die Kirche verstand sich von Anfang an als Gründung Gottes, in der das Heil vermittelt wird. Der Glaube kommt aus dem Hören, nicht aus dem Lesen.
(Röm 10,17; Apg 8,30-39) Die Gnade wird vermittelt durch das verkündigte Wort und durch äußere Handlungen, weil Gott mit diesen Zeichen die Gnade verbunden hat: zum Beispiel Taufe: Apg 2,38; 22,16. Abendmahl: Mt 26,26ff. Firmung: Apg 8,17; 19,6. Krankensalbung: Jak 5,14f. Ordination: 1 Tim 4,14; 2 Tim 1,6.
Wie in Jesus Christus das Göttliche durch Menschliches vermittelt wird, so geschieht es auch in, mit und durch die Seine Kirche. Wie schon gesagt: dagegen kann kein Mensch Einspruch erheben, denn es ist Gottes Sache, den Weg zu bestimmen, auf dem der Mensch zu ihm kommen kann und soll.
Ich komme zum Schluß: Man kann die Kirche durchaus mit einem Schiff vergleichen, das uns an das jenseitige, himmlische Ufer trägt. Das Schiff gehört Gott, Kapitän ist Jesus Christus, Stewards sind die Träger des kirchlichen Amtes. Niemand kann als einzelner Schwimmer das himmlische Ufer erreichen.
Wir aber: Nachdem wir unser Leben von Jesus Christus empfangen haben, ist unsere Sehnsucht auf vollkommene Vereinigung mit ihm gerichtet. Als Glieder Seines Leibes drängt es uns danach, ganz mit seinem Leben erfüllt und völlig in sein Bild verwandelt zu werden.
Matthias Niche
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