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Das Vaterunser
Einleitung
Wir haben nun gehört, was man tun und glauben soll, worin das beste und
seligste Leben besteht. Nun folgt das dritte Stück: wie man beten soll. Denn es
steht ja so mit uns, daß kein Mensch die zehn Gebote vollkommen halten kann,
obgleich er zu glauben angefangen hat; der Teufel samt der Welt und unserem
eigenen Fleisch sperrt sich mit aller Gewalt dagegen. Deshalb ist nichts so
notwendig, als Gott immerdar in den Ohren zu liegen; ihn anzurufen und zu
bitten, er möchte uns den glauben und die Erfüllung der zehn Gebote geben,
erhalten und mehren, und alles, was uns dabei im Wege liegt, und daran hindert,
hinwegräumen. Damit wir aber wüßten, was und wie wir beten sollen, hat uns
unser Herr Christus selber Weise und Worte gelehrt, wie wir sehen werden.
Ehe wir aber das Vaterunser nacheinander erklären, ist es wohl am nötigsten,
die Leute vorher zum Beten zu vermahnen und zu reizen, wie auch Christus und die
Apostel es getan haben. Und zwar soll es das Erste sein, daß man wisse, wie wir
durch Gottes Gebot schuldig sind, zu beten. Denn so haben wir's [ja] gehört beim
zweiten Gebot. "Du sollst Gottes Namen nicht unnütz gebrauchen": darin wird
gefordert, man solle den heiligen Namen preisen und in aller Not anrufen oder
beten. "Anrufen" ist ja nichts anderes als "Beten". Somit ist es streng und
ernstlich geboten, so nachdrücklich als alle anderen Gebote, [wie]: keinen
andern Gott zu haben, nicht zu töten, nicht zu stehlen usw. Niemand soll denken,
es sei gleichgültig, ob er bete oder nicht bete, wie die groben Leute, die ihres
Weges gehen in solchem Wahn und Gedanken: "Was sollte ich auch beten? Wer weiß,
ob Gott mein Gebet beachtet oder hören will? Bete ich nicht, so betet ein
anderer!" So kommen sie in die Gewohnheit hinein, daß sie nicht mehr beten.
Dabei nehmen sie zur Ausrede, daß wir falsche und heuchlerische Gebete
verwerfen, als ob wir lehrten, man solle oder brauche nicht zu beten.
Das ist aber gewiß wahr: Was man bisher in der Kirche usw. als "Gebete"
verrichtet, geplärrt und geleiert hat, ist freilich kein Gebet gewesen. Denn ein
solch äußerliches Tun kann, wenn es recht zugeht, eine Übung für die jungen
Kinder für Schüler und einfache Leute sein, und kann gesungen oder gelesen
heißen; es heißt aber nicht eigentlich gebetet. Das aber heißt beten, wie das
zweite Gebot es lehrt: "Gott anrufen in allen Nöten". Das will er von uns haben
und das soll nicht in unserer Willkür stehen; sondern wir sollen und müssen
beten, wenn wir Christen sein wollen, ebensogut als wir Vater, Mutter und der
Obrigkeit gehorsam sein sollen und müssen. Denn durch [solches] Anrufen und
Bitten wird der Name Gottes geehrt und nützlich gebraucht. Du sollst nun vor
allen Dingen merken, daß man damit schweige und solche Gedanken zurückstoße,
die uns davon abhalten und abschrecken. Vergleichsweise geredet: Es geht nicht
an, daß ein Sohn zum Vater sagen wollte: "Was liegt [Gott] an meinem Gehorsam?
Ich will hingehen und tun, was ich mag; es ist doch gleichgültig!" Vielmehr
steht hier das Gebot: Du sollst und mußt es tun. Ebenso steht es hier auch
[hinsichtlich des Betens] nicht in meinem Willen, es zu tun oder zu lassen,
sondern es soll und muß gebetet sein.
Daraus sollst du nun weiter den Schluß ziehen und bedenken: Weil [das Beten]
so streng geboten ist, soll beileibe niemand sein [eigenes] Gebet verachten,
sondern groß und viel davon denken. Und zwar ziehe immer die anderen Gebote zum
Vergleich heran. Ein Kind soll beileibe nicht seinen Gehorsam gegen Vater und
Mutter verachten, sondern immer denken: "Dieses Werk ist ein Werk des Gehorsams,
und was ich tue, tue ich in keiner anderen Absicht, als daß es dem Gehorsam und
Gottes Gebot entsprechen soll; darauf kann ich gründen und fußen, und das halte
ich für etwas Großes, nicht um meiner [eigenen] Würdigkeit willen, sondern um
des Gebotes willen." Geradeso auch hier: Was und wofür wir bitten, das sollen
wir so ansehen als von Gott gefordert und im Gehorsam gegen ihn getan. Wir
sollen dabei so denken: "Was mich betrifft, ist es nichts, aber darum, weil Gott
es geboten hat, soll es gelten." So soll ein jeder, was er auch zu bitten hat,
immer vor Gott kommen im Gehorsam gegen dieses Gebot.
Darum bitten und vermahnen wir jedermann aufs fleißigste, daß man dies zu
Herzen nähme und unsere Gebete in keiner Weise verachte. Bisher hat man ja in
des Teufels Namen so darüber gelehrt, daß niemand es geachtet hat; man hat
gemeint, es sei genug, wenn nur das Werk getan sei, gleichviel ob Gott es erhöre
oder nicht erhöre. Das heißt das Beten auf gut Glück versucht und aufs
Geratewohl hergeleiert; deshalb ist es ein verlorenes Beten. Denn wir lassen uns
beirren und abschrecken von Gedanken wie: "Ich bin nicht heilig und würdig
genug; wenn ich so fromm und heilig wäre wie der hl. Petrus und Paulus, dann
wollte ich beten." Aber nur weit hinweg mit solchen Gedanken! Denn das gleiche
Gebot, das auf den hl. Paulus zugetroffen hat, das trifft auch auf mich zu, und
das zweite Gebot ist ebensogut um meinetwillen aufgestellt als um seinetwillen,
so daß er kein besseres noch heiligeres Gebot zu rühmen hat. Darum sollst du so
sagen: "Meine Gebete, die ich verrichte, sind fürwahr ebenso köstlich, heilig
und Gott gefällig als die des hl. Paulus und der Allerheiligsten. Grund dafür:
Ich will ihn ja gerne heiliger sein lassen, soweit die Person in Betracht kommt,
aber nicht, was das Gebot betrifft. Denn Gott sieht das Gebet nicht der Person
wegen an, sondern um seines Wortes und um des Gehorsams willen. Denn auf
dasjenige Gebot, auf das alle Heiligen ihre Gebete setzen, setze ich das meinige
auch, und ich bete auch um das gleiche, um was sie allzumal bitten oder gebeten
haben."
Das sei das erste und nötigste Stück: alle unsere Gebete sollen sich auf den
Gehorsam gegen Gott gründen und stehen, ohne Ansehung unserer eigenen Person,
wir mögen Sünder oder fromm sein, würdig oder unwürdig. Und wir sollen wissen:
Gott will es nicht für einen Scherz angesehen haben, sondern will zürnen und
strafen, wenn wir nicht bitten, ebensogut wie er allen anderen Ungehorsam auch
straft. Und dann will er unsere Gebete nicht umsonst und verloren sein lassen;
denn wenn er dich nicht erhören wollte, würde er dich nicht beten heißen und es
nicht mit einem so strengen Gebot einschärfen.
Zweitens soll uns das desto mehr antreiben und reizen, daß Gott auch eine
Verheißung dazu getan und zugesagt hat, es solle Ja und gewiß sein, was wir
bitten. So spricht er im 50. Psalm: "Rufe mich an zur Zeit der Not, so will ich
dich erretten", und Christus sagt im Evangelium Matth 7: "Bittet, so wird euch
gegeben usw. Denn ein jeder, der da bittet, der empfängt." Das sollte doch unser
Herz dazu erwecken und entzünden, mit Lust und Liebe zu beten, weil er mit
seinem Worte bezeugt, unsere Gebete gefallen ihm herzlich wohl, dazu sollen sie
gewiß erhört und gewährt sein; denn wir sollen es nicht verachten noch in den
Wind schlagen und aufs Ungewisse beten. Das kannst du ihm vorhalten, indem du
sprichst: "Hier komme ich, lieber Vater, und bitte, nicht infolge meines eigenen
Wunsches oder auf meine eigene Würdigkeit hin, sondern auf dein Gebot und deine
Verheißung hin, die mir nicht unerfüllt bleiben noch lügen kann." Wer nun dieser
Verheißung nicht glaubt, soll abermals wissen, daß er Gott erzürnt, da er ihn
aufs höchste entehrt und Lügen straft.
Überdies soll uns auch das locken und ziehen, daß Gott außer dem Gebot und
der Verheißung uns zuvorkommt und selber die Worte und Weise dazu angibt und uns
in den Mund legt, wie und was wir beten sollen. Wir sollen daraus sehen, wie
herzlich er sich unserer Not annimmt, und gewiß nicht daran zweifeln, daß
dieses Gebet (das Vaterunser) ihm wohlgefällig sei und gewiß erhört werde. Das
ist ein ganz großer Vorzug vor allen andern Gebeten, die wir selber ausdenken
könnten. Denn da würde das Gewissen immer im Zweifel sein und sagen: "Ich habe
gebetet, aber wer weiß, wie es ihm gefällt, oder ob ich Maß und Weise recht
getroffen habe?" Darum ist auf Erden kein edleres Gebet zu finden [als das
Vaterunser], weil es ein so treffliches Zeugnis dafür hat, daß Gott es herzlich
gerne hört; dafür sollten wir [aller] Welt Gut nicht annehmen.
Und auch darum ist es uns so vorgeschrieben, daß wir die Not sehen und
bedenken, die uns dringen und zwingen soll, ohne Unterlaß zu beten. Denn wer da
bitten will, der muß etwas vorbringen, vortragen und nennen, wonach er begehrt;
andernfalls kann es kein Gebet heißen. Darum haben wir mit Recht das Beten der
Mönche und Priester verworfen, die Tag und Nacht mörderisch heulen und murmeln,
ohne daß einer von ihnen daran dächte, auch nur um ein Haarbreit zu bitten. Und
wenn man alle Kirchen samt den Geistlichen zusammenbrächte, so müßten sie
bekennen, daß sie nie von Herzen auch nur um ein Tröpflein Wasser gebetet
haben. Denn keiner von ihnen hat jemals sich vorgenommen, aus Gehorsam gegen
Gott und im Glauben an die Verheißung zu beten; es hat auch keiner irgendwie Not
dabei ins Auge gefaßt, sondern sie waren im besten Fall auf nichts weiter
bedacht, als ein gutes Werk zu tun, um Gott damit zu bezahlen, als die, die
nicht von ihm nehmen, sondern ihm geben wollten.
Wenn aber ein Gebet recht sein soll, so muß es damit ernst sein, daß man
seine Not fühlt, und [zwar] eine solche Not, die uns drückt und zum Rufen und
Schreien treibt. So geht dann das Gebet von selbst so, wie es gehen soll, so
daß man keine Belehrung darüber braucht, wie man sich darauf vorbereiten und
[daraus] Andacht schöpfen soll. Die Not aber, die uns selbst wie auch jedermann
gegenüber angelegen sein lassen soll, wirst du reichlich genug im Vaterunser
finden; deshalb soll es auch dazu dienen, daß man sich ihrer daraus erinnere,
sie betrachte und zu Herzen nehme, damit wir nicht lässig werden im Beten. Denn
wir haben alle genug an dem, was uns mangelt: der Fehler liegt aber daran, daß
wir's nicht fühlen und sehen. Deshalb will Gott auch haben, daß du diese
[deine] Not und Anliegen klagst und vorbringst, nicht als ob er es nicht wüßte,
sondern damit du dein Herz entzündest, desto stärker und mehr zu begehren, und
den Mantel nur weit ausbreitest und auftust, um viel zu empfangen.
Darum sollten wir uns von Jugend auf daran gewöhnen, täglich zu beten, ein
jeder für all seine [eigene] Not, wo er nur etwas fühlt, das ihn stößt und auch
für die Not anderer Leute, unter denen er ist, z.B. für Prediger, Obrigkeit,
Nachbarn, Gesinde; und dabei sollten wir immer, wie schon gesagt, Gott sein
Gebot und seine Verheißung vorhalten und wissen, daß er's nicht verachtet haben
will. Das sage ich deshalb, weil ich gerne wollte, daß man dies wieder in die
Leute hineinbrächte, damit sie recht beten lernten und nicht so roh und kalt
hingehen; denn davon werden sie täglich ungeschickter zum Beten. Das will
freilich der Teufel auch haben, und er hilft mit allen Kräften dazu; denn er
fühlt wohl, was für Leid und Schaden es ihm antut, wenn das Beten recht im
Schwange ist.
Denn das sollen wir wissen, daß all unser Schirm und Schutz allein im Gebet
besteht. Denn gegenüber dem Teufel samt seiner Macht und seinem Anhang, die sich
wider uns legen, sind wir viel zu schwach, so daß sie uns wohl mit den Füßen
treten könnten. Darum müssen wir [das] bedenken und zu den Waffen greifen, mit
denen die Christen gerüstet sein sollen, um wider den Teufel zu bestehen. denn
was, meinst du, hat bisher so etwas Großes ausgerichtet und hat das Ratschlagen
und Vorhaben, den Mord und Aufruhr unsrer Feinde abgewehrt oder gedämpft,
wodurch der Teufel uns samt dem Evangelium zu unterdrücken gedacht hat, wenn
nicht die Gebete einiger frommer Leute als eine eiserne Mauer auf unsrer Seite
dazwischengekommen wären? Sie hätten sonst selber ein sehr viel anderes Spiel
mit ansehen müssen: daß nämlich der Teufel ganz Deutschland in seinem eigenen
Blut verderbt hätte. Jetzt aber können sie getrost darüber lachen und ihren
Spott damit haben; wir aber wollen dennoch sowohl ihnen als auch dem Teufel
gegenüber allein durch das Beten Manns genug sein, wenn wir nur fleißig damit
anhalten und nicht lässig werden. Denn wo irgend ein frommer Christ bittet:
"Lieber Vater, laß doch deinen Willen geschehen", so spricht er droben: "Ja,
liebes Kind, es soll so sein und geschehen, dem Teufel und aller Welt zum
Trotz."
Das sei nun zur Vermahnung gesagt, daß man vor allen Dingen das Gebet groß
und teuer achten lerne und einen rechten Unterschied zu machen wisse zwischen
dem Plappern und dem etwas Bitten. Denn wir verwerfen mitnichten das Beten,
sondern nur das ganz unnütze Geheule und Gemurmel verwerfen wir, wie auch
Christus selber langes Gewäsch verwirft und verbietet.
Nun wollen wir das Vaterunser aufs kürzeste und klarste behandeln. Da sind nun
in sieben Artikeln oder Bitten der Reihe nach alle Nöte zusammengefaßt, womit
wir ohne Unterlaß zu tun haben; und [zwar] ist eine jede so groß, daß sie uns
dazu treiben müßte, unser Leben lang ihretwegen zu bitten.
Die erste Bitte
Geheiligt werde dein Name
Das ist nun ein etwas finsterer Ausdruck und kein gutes Deutsch. Denn in
unserer Muttersprache würden wir so sagen: "Himmlischer Vater, hilf, daß nur
dein Name heilig sein möge." Was bedeutet nun die Bitte, daß sein Name heilig
werde? Ist er denn nicht schon vorher heilig? Antwort: Ja, er ist allezeit
heilig in seinem Wesen, aber in unserem Gebrauch ist er nicht heilig. Denn
Gottes Name ist uns gegeben, seitdem wir Christen geworden und getauft sind, so
daß wir Gottes Kinder heißen und die Sakramente haben, durch die er uns sich
einverleibt hat. Somit soll alles, was Gott gehört, zu unserem Gebrauch dienen.
Das ist nun die große Not, wofür wir am meisten Sorge tragen sollen, daß
dieser Name seine Ehre bekomme und heilig und hehr gehalten werde als unser
höchster Schatz und Heiligtum, das wir haben, und daß wir als die frommen
Kinder darum bitten, sein Name, der im Himmel ohnedies heilig ist, möchte auch
auf Erden bei uns und in aller Welt heilig sein und bleiben. Wie wird er nun
unter uns heilig? Antwort so deutlich, als man es sagen kann: Wenn sowohl unsere
Lehre als auch unser Leben göttlich und christlich ist. Denn weil wir in diesem
Gebet Gott unseren Vater heißen, so sind wir es schuldig, uns allenthalben wie
die frommen Kinder zu verhalten und einzustellen, damit er von uns nicht
Schande, sondern Ehre und Preis habe.
Nun wird [Gott] von uns entweder mit Worten oder mit Werken verunheiligt.
Denn alles, was wir auf Erden machen, muß entweder ein Wort oder ein Werk, ein
Reden oder ein Tun sein. Erstens also, wenn man unter Gottes Namen etwas
predigt, lehrt und redet, was doch falsch und verführerisch ist, so daß sein
Name die Lügen schmücken und verkaufen muß. Das ist nun die größte Schande und
Unehre für den göttlichen Namen; weiter [geschieht das] auch dort, wo man
gröblich den heiligen Namen zum Schanddeckel nimmt mit Schwören, Fluchen,
Zaubern usw. Zweitens auch durch offenkundiges böses Leben und Tun, wenn die,
die Christen und Gottes Volk heißen, Ehebrecher, Säufer, geizige Wänste, Neider
und Verleumder sind; da muß wieder Gottes Name um unsretwillen mit Schanden
dastehen und sich verlästern lassen. Ist es doch auch für einen leiblichen Vater
eine Schande und Unehre, wenn er ein böses, ungeratenes Kind hat, das mit Worten
und Werken wider ihn handelt, so daß er um seinetwillen sich verachten und
schmähen lassen muß. So gereicht es auch Gott zur Unehre, wenn wir, die wir
nach seinem Namen genannt sind, und allerlei Güter von ihm haben, anders lehren,
reden und leben, als sich's für fromme und himmlische Kinder gehört; dann muß
er hören, daß man von uns sagt, wir müßten nicht Gottes, sondern des Teufels
Kinder sein.
Du siehst also, daß wir in diesem Stück gerade um das bitten, was Gott im
zweiten Gebot fordert, nämlich, daß man seinen Namen nicht mißbrauche zum
Schwören, Fluchen, Lügen, Trügen usw., sondern daß man ihn nützlich gebrauche
zu Gottes Lob und Ehre. Denn wer Gottes Namen zu irgend einer Untugend
gebraucht, der entheiligt und entweiht diesen heiligen Namen, wie man früher
eine Kirche dann entweiht hieß, wenn ein Mord oder ein anderes Bubenstück in ihr
begangen worden war, oder wenn man eine Monstranz oder eine Reliquie verunehrte;
da ging es um etwas, das wohl an und für sich heilig war und doch durch den
Gebrauch verunheiligt wurde. Somit ist dieses Stück leicht und klar, wenn man
nur den Sprachgebrauch versteht: daß "heiligen" soviel heißt als in unserer
Sprechweise "loben, preisen und ehren", sowohl mit Worten als auch mit Werken.
Da sieh nun, wie hochnötig diese Bitte ist. Wir sehen ja, wie die Welt so
voll ist von Rotten und falschen Lehren, die alle den heiligen Namen zum Deckel
und zum Vorwand für ihre Teufelslehre [im Mund] führen; darum sollten wir mit
Recht ohne Unterlaß [zu Gott] schreien und rufen gegen alle derartigen Leute,
sowohl gegen die, die falsch predigen und glauben, als auch gegen alles, was
unser Evangelium und unsre reine Lehre anficht, verfolgt und dämpfen will, wie
Bischöfe, Tyrannen, Schwärmer usw. Ebenso [haben wir] auch für uns selber [zu
bitten], die wir zwar Gottes Wort haben, aber nicht dankbar dafür sind, nicht
darnach leben wie wir sollen. Wenn du nun das von Herzen bittest, so kannst du
[dessen] gewiß sein, daß es Gott wohlgefällt. Denn er wird nichts lieber
hören, als daß seine Ehre und Lobpreis vor allem und über alles gehen, und sein
Wort rein gelehrt und teuer und wert gehalten werden möchte.
Die zweite Bitte
Dein Reich komme
Wir haben in der ersten Bitte um das gebetet, was Gottes Ehre und Namen
betrifft: Gott möge [dem] wehren, daß die Welt nicht ihre Lügen und ihre
Bosheit [mit seinem Namen] schmücke, sondern ihn mit Lehre und Leben hehr und
heilig halte, damit er an uns gelobt und gepriesen werde. Dementsprechend bitten
wir hier, daß auch sein Rech kommen solle. Aber wie Gottes Name an und für sich
schon heilig ist und wir dennoch bitten, daß er bei uns heilig sei, so kommt
auch sein Reich ohne unser Bitten von selbst, und trotzdem bitten wir, daß es
zu uns komme. D.h. es möge unter uns und bei uns sich auswirken, so daß wir
auch ein Stück von denen seien, unter denen sein Name geheiligt wird und sein
Reich im Schwange ist.
Was heißt nun Gottes Reich? Antwort: nichts anderes, als was wir oben im
Glaubensbekenntnis [schon] gehört haben: Gott hat seinen Sohn Christus, unseren
Herrn, in die Welt geschickt, damit er uns von der Gewalt des Teufels erlöse und
freimache und uns zu sich bringe und regiere als ein König der Gerechtigkeit,
des Lebens und der Seligkeit wider Sünde, Tod und böses Gewissen. Darum hat er
auch seinen heiligen Geist gegeben, der uns durch sein heiliges Wort das
herzubrächte und durch seine Kraft uns im Glauben erleuchte und stärke. Deshalb
bitten wir nun hier in erster Linie, dies möge bei uns kräftig werden und so
sein Name durch das heilige Wort Gottes und durch christliches Leben gepriesen
werden; sowohl daß wir, die wir es angenommen haben, dabei bleiben und täglich
zunehmen, als auch, daß es bei anderen Leuten Zustimmung und Anhang gewinnen
und gewaltig durch die Welt gehen möge, damit viele von ihnen, durch den
Heiligen Geist herzugebracht, zum Gnadenreich kommen und der Erlösung teilhaftig
werden. So sollen wir dann allesamt in einem Königreich von jetzt
angefangen ewig bleiben.
Denn das "Kommen von Gottes Reich zu uns" geschieht auf zweierlei Weise:
Einmal hier zeitlich durch das Wort und den Glauben, sodann ewig durch die
Offenbarung [bei der Wiederkunft Christi]. Nun bitten wir um das beides: daß es
zu denen kommen möchte, die noch nicht darinnen sind, und zu uns, die wir es
schon bekommen haben, durch tägliches Zunehmen und künftig im ewigen Leben. Das
alles will nichts anderes als soviel sagen: "Lieber Vater, wir bitten, gib uns
erstens dein Wort, daß das Evangelium durch die Welt hindurch rechtschaffen
gepredigt werde; zweitens gib, daß es auch durch den Glauben angenommen werde,
in uns wirke und lebe; daß so dein Reich unter uns durch das Wort und die Kraft
des Heiligen Geistes im Gange sei, und des Teufels Reich eine Niederlage
erfährt, daß er kein Recht und keine Gewalt mehr über uns habe, solange, bis es
schlußendlich ganz zerstört und Sünde, Tod und Hölle vertilgt wird, daß wir
dann ewig leben in voller Gerechtigkeit und Seligkeit."
Daraus siehst du, daß wir hier nicht um ein kleines Almosen oder um ein
zeitliches, vergängliches Gut bitten, sondern um einen ewigen, überschwenglichen
Schatz, und [zwar] um alles, was Gott selber besitzt. Das ist [freilich] viel zu
groß, als daß ein menschliches Herz sich's einfallen lassen dürfe, solches zu
begehren, wenn er nicht selbst es geboten hätte, darum zu bitten. Aber weil er
Gott ist, will er auch die Ehre haben, daß er viel mehr und reichlicher gibt
als jemand begreifen kann, als ein ewiger, unvergänglicher Quell, der je mehr er
ausfließt und überfließt, desto mehr von sich gibt. Er begehrt von uns nichts
Höheres, als daß man viele und große Dinge von ihm erbittet, und umgekehrt
zürnt er, wenn man nicht getrost bittet und fordert. Denn es ist wie wenn der
reichste, mächtigste Kaiser einen armen Bettler um alles bitten hieße, was er
nur begehren möchte, und bereit wäre, ihm ein großes, kaiserliches Geschenk zu
geben, der Narr aber würde nicht mehr als eine Bettelsuppe erbetteln: dann
hielte man diesen verdientermaßen für einen Schelm und Bösewicht, der mit dem
Befehl der kaiserlichen Majestät seinen Hohn und Spott treibe, und nicht wert
sei, ihm vor die Augen zu kommen. Ebenso gereicht es auch Gott zu großer Schmach
und Unehre, wenn wir, denen er soviel unaussprechliche Güter anbietet und
zusagt, das verachten oder uns nicht getrauen, es zu empfangen, und kaum um ein
Stück Brot zu bitten uns unterwinden. Das alles ist die Schuld des schändlichen
Unglaubens, der nicht soviel Gutes von Gott erhofft, daß er ihm den Bauch
ernähren würde, geschweige denn, daß er solche ewigen Güter von Gott erwarten
würde, ohne daran zu zweifeln.
Deshalb sollen wir uns dagegen stärken und dies das Erste sein lassen, um was
wir bitten: dann wird man sicherlich auch alles andere reichlich bekommen, wie
Christus lehrt: "Trachtet am ersten nach dem Reich Gottes, so soll euch solches
alles zufallen." Denn wie sollte er uns an Zeitlichem Mangel leiden und darben
lassen, wo er doch das Ewige und Unvergängliche uns verheißt?
Die dritte Bitte
Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden
Bisher haben wir gebetet, daß Gottes Name von uns geehrt werde und sein
Reich unter uns in Kraft sei. In diesen zwei Punkten ist alles inbegriffen, was
Gottes Ehre und unsere Seligkeit belangt; daß wir nämlich Gott samt allen
seinen Gütern zu eigen kriegen. Aber hier entsteht ja nun die große Not, daß
wir das festhalten und uns nicht davon wegreißen lassen. Es ist wie bei einem
guten [staatlichen] Regiment: da müssen nicht bloß solche da sein, die es
aufbauen und wohl regieren, sondern auch solche, die sich dafür wehren, es
schützen und fest darüber wachen. So auch hier: Da haben wir zwar schon um das
höchst Notwendige gebeten, um das Evangelium, den Glauben und den Heiligen
Geist, daß der uns regiere, nachdem wir aus des Teufels Gewalt erlöst sind;
aber nun müssen wir auch darum bitten, daß [Gott] seinen Willen geschehen
lasse. Denn wenn wir dabei bleiben sollen, wird es sich gar wunderlich anlassen:
wir werden deswegen viele Stöße und Püffe erleiden müssen von allen denen, die
sich unterstehen, die zwei vorhergehenden Stücke zu verhindern und zu wehren.
Niemand glaubt ja, wie sich der Teufel dem zuwidersetzt und sperrt, Denn er
kann es nicht ertragen, daß jemand recht lehrt oder glaubt, und es tut ihm über
die Maßen weh, wenn er seine Lügen und Greuel, die unter dem schönsten Schein
göttlichen Namens geehrt wurden, aufgedeckt lassen und er mit allen Schanden
dastehen muß, und wenn er dazu aus dem Herzen getrieben wird und einen solchen
Riß in seinem Reich geschehen lassen soll. Darum tobt und wütet er als ein
zorniger Feind mit all seiner Macht und Kraft: er zieht alles, was ihm
untersteht, zu sich; dazu nimmt er die Welt und unser eigenes Fleisch zu Hilfe.
Denn unser Fleisch ist an und für sich faul und zum Bösen geneigt, auch wenn wir
Gottes Wort angenommen haben und glauben; die Welt aber ist arg und böse. Da
hetzt er auf, bläst und schürt, um uns zu hindern, uns zu sich zurückzutreiben,
zu Fall zu bringen und wieder unter seine Gewalt zu zwingen. Darauf geht all
sein Wille, Sinn und Denken; darnach trachtet er Tag und Nacht, und keinen
Augenblick ist er müßig; er gebraucht dazu alle Künste, Tücken, Weisen und Wege,
die er [nur] immer erdenken kann.
Darum müssen wir uns, wenn wir Christen sein wollen, mit Gewißheit darauf
gefaßt machen und damit rechnen, daß wir den Teufel samt all seinen Engeln und
die Welt zu Feinden haben, die uns alle Unglück und Herzeleid zufügen. Denn wo
Gottes Wort gepredigt, angenommen oder geglaubt wird und Frucht schafft, da soll
das liebe, heilige Kreuz auch nicht ausbleiben. Und es denke nur niemand, daß
er Frieden haben werde, sondern daß er dransetzten müsse, was er auf Erden hat:
Gut, Ehre, Haus und Hof, Weib und Kind, Leib und Leben. Das tut nun unserem
Fleisch und alten Adam wehe, denn da heißt es, standhalten und mit Geduld
leiden, wie man uns angreift, und fahren zu lassen, was man uns nimmt.
Darum ist es eine ebenso große Not wie bei allen andern Stücken, daß wir
ohne Unterlaß bitten: "Lieber Vater, dein Wille geschehe, nicht der Wille des
Teufels und unserer Feinde und nichts von dem, was dein heiliges Wort verfolgen
und dämpfen oder dein Reich hindern will. Und gib uns, daß wir alles, was
darüber zu leiden ist, mit Geduld ertragen und überwinden, daß unser armes
Fleisch nicht aus Schwachheit oder Trägheit weiche und abfalle."
Sieh, so haben wir in diesen drei Stücken in der einfachsten Weise die Not, die
Gott selbst betrifft [zusammengefaßt]; jedoch alles um unsretwillen. Denn es
gilt allein uns, was wir bitten; insofern nämlich, als wie gesagt das auch in
uns geschehen soll, was ohnehin, auch abgesehen von uns, geschehen muß. Denn
wie sein Name geheiligt werden und sein Reich kommen muß auch ohne unser
Bitten, so muß auch sein Wille geschehen und durchdringen, wenngleich der
Teufel mit all seinem Anhang sehr dagegen rumoren, zürnen und toben und sie sich
unterstehen, das Evangelium ganz auszutilgen. Aber um unsretwillen müssen wir
bitten, daß sein Wille auch unter uns gegen dieses ihr Toben unverhindert sich
auswirke, damit sie nichts schaffen können und wir wider alle Gewalt und
Verfolgung fest dabeibleiben und diesen Willen Gottes uns gefallen lassen.
Dieses Gebet soll nun jetzt unser Schutz und unsere Wehr sein, um damit alles
zurückzuschlagen und niederzulegen, was der Teufel, Bischöfe, Tyrannen und
Ketzer gegen unser Evangelium vermögen. laß sie allzumal zürnen und ihr
Höchstes versuchen, laß sie ratschlagen und beschließen, wie sie uns dämpfen
und ausrotten wollen, damit ihr Wille und Rat sich durchsetze und bestehe: Wider
all das soll ein Christ oder zwei mit diesem einzigen Stück unsre Mauer sein,
gegen die sie anlaufen und an der sie scheitern. Den Trost und Trotz haben wir,
daß des Teufels und all unsrer Feinde Wille und Vornehmen untergehen und
zunichte werden soll und muß, wie stolz, sicher und gewaltig sie sich [auch]
wissen. Denn wenn ihr Wille nicht gebrochen und gehindert würde, so könnte
Gottes Reich auf Erden nicht bleiben und sein Name nicht geheiligt werden.
Die vierte Bitte
Unser tägliches Brot gib uns heute
Hier bedenken wir nun den armen Brotkorb, das, was unser Leib und zeitliches
Leben nötig hat. Zwar ist's nur ein kurzes, einfaches Wort; es greift aber auch
sehr weit um sich. Denn wenn du "tägliches Brot" sagst und darum bittest, so
bittest du um alles, was dazu gehört, um das tägliche Brot zu bekommen und zu
genießen; und andrerseits bittest du auch um Abwendung von allem, was das
hindert. Darum mußt du deine Gedanken recht auftun und ausbreiten, nicht bloß
zum Backofen oder Mehlkasten, sondern ins weite Feld und ganze Land, das das
tägliche Brot und allerlei Nahrung erzeugt und uns bringt. Denn wenn Gott es
nicht wachsen ließe, segnete und auf dem Lande erhielte, würden wir nie ein Brot
aus dem Backofen nehmen noch auf den Tisch zu legen haben.
Um es kurz zusammenzufassen, so will diese Bitte alles das miteingeschlossen
haben, was zu diesem ganzen Leben in der Welt gehört; denn allein um
dessentwillen müssen wir das tägliche Brot haben. Nun gehört zum Leben nicht
bloß, daß unser Leib seine Nahrung und seine Kleidung und anderen Bedarf
bekomme, sondern auch, daß wir in Ruhe und Frieden mit den Leuten auskommen,
mit welchen wir leben und umgehen beim täglichen Handel und Wandel und in
allerlei Beziehung; kurz, es gehört alles dazu, sowohl was das häusliche und
nachbarliche oder bürgerliche Wesen und Regiment belangt. Denn wo diese zwei
gehindert werden, daß es bei ihnen nicht geht, wie es gehen soll, da ist auch
das Lebensnotwendige gehindert, so daß es auf die Dauer nicht erhalten werden
kann. Und daß es bei ihnen nicht geht, wie es gehen soll, da ist auch das
Lebensnotwendige gehindert, so daß es auf die Dauer nicht erhalten werden kann.
Und da ist es wohl das Allernötigste, für die weltliche Obrigkeit und [ihr]
Regiment zu bitten; denn durch dieses erhält uns Gott unser täglich Brot und
alle Annehmlichkeiten unseres Lebens am allermeisten. Denn wenn wir auch von
Gott eine Fülle von allen Gütern bekommen haben, so können wir doch keines davon
behalten noch sicher und fröhlich gebrauchen, wenn er uns nicht ein beständiges,
friedliches Regiment gibt. Denn wo Unfriede, Hader und Krieg ist, da ist das
tägliche Brot schon genommen oder doch wenigstens gefährdet.
Darum könnte man mit Recht in den Wappenschild eines jeden frommen Fürsten
ein Brot setzen an Stelle eines Löwen oder eines Rautenkranzes, oder ein solches
als Prägung auf die Münze schlagen, um sowohl [die Fürsten] wie die Untertanen
daran zu erinnern, daß wir durch ihr Amt Schutz und Frieden haben und ohne sie
das liebe Brot nicht essen noch behalten können. Darum sind sie auch aller Ehre
wert, und man muß ihnen dazu geben , was wir sollen und können. Denn sie sind
es, durch die wir alles, was wir haben, in Frieden und Ruhe genießen können;
sonst würden wir nämlich keinen Heller behalten. Dazu soll man auch für sie
beten, damit Gott uns durch ihre Vermittlung um so mehr Segen und Gutes gebe.
So sei in aller Kürze gezeigt und entworfen, wie weit dieses Gebet durch alle
möglichen Verhältnisse auf Erden hindurch reicht. Daraus könnte man nun ein
langes Gebet machen und mit vielen Worten alle solche Stücke, die dazu gehören,
aufzählen; nämlich daß wir bitten, Gott möge uns Essen und Trinken, Kleider,
Haus und Hof und gesunden Leib geben, dazu das Getreide und die Früchte auf dem
Felde wachsen und wohl geraten lassen; er möge weiter auch daheim recht
haushalten helfen, ein frommes Weib, Kinder und Gesinde geben und bewahren,
unsre Arbeit, unser Handwerk oder was wir zu tun haben, gedeihen und gelingen
lassen, uns treue Nachbarn und gute Freunde bescheren usw. Ebenso möge er dem
Kaiser, König und allen Ständen und besonders unsern Landesfürsten, allen Räten,
Oberherren und Amtleuten Weisheit, Stärke und Glück geben , um recht zu regieren
und gegen Türken und alle Feinde zu siegen; er möge den Untertanen und dem
gemeinen Haufen Gehorsam schenken und daß sie in Frieden und Eintracht
miteinander leben. Andrerseits möge er uns behüten vor allem möglichen Schaden
an Leib und Nahrung, vor Ungewitter, Hagel, Feuer, Wasser, Gift, Pest,
Viehsterben, Krieg und Blutvergießen, teurer Zeit, schädlichen Tieren, bösen
Leuten usw. Es ist gut, das alles den einfachen Leuten einzuprägen, daß dieses
und dergleichen von Gott gegeben und von uns erbeten werden muß.
Vor allem aber ist dieses Gebet auch gegen unseren höchsten Feind, den
Teufel, gerichtet. Denn das ist all sein Sinnen und Begehren, dies alles, was
wir von Gott haben, zu nehmen oder zu hindern. Und zwar läßt er sich nicht
daran genügen, daß er das geistliche Regiment (die Kirche) hindere und
zerstöre, indem er die Seelen durch seine Lügen verführt und unter seine Gewalt
bringt, sondern er verwehrt und hindert auch, daß irgend ein [staatliches]
Regiment und ehrbare und friedliche Verhältnisse auf Erden bestehen. Da richtet
er soviel Hader, Mord, Aufruhr und Krieg an, ferner Ungewitter und Hagel, um das
Getreide und Vieh zu verderben, die Luft zu vergiften usw. Kurz, es ist ihm
leid, wenn jemand einen Bissen Brot von Gott hat und mit Frieden ißt; und wenn
es in seiner Macht stünde und nächst Gott nicht unser Gebet dem wehrte, so
würden wir sicherlich keinen Halm auf dem Felde, keinen Heller im Haus, ja nicht
eine Stunde lang das Leben behalten, besonders die nicht, die Gottes Wort haben
und gerne Christen sein wollten.
Sieh, so will uns Gott zeigen, wie er sich aller unserer Not annimmt, und so
treulich auf für unsere zeitliche Nahrung sorgt; und obwohl er dies auch den
Gottlosen und Spitzbuben reichlich gibt und erhält, so will der dennoch, daß
wir darum bitten. Wir sollen [dadurch] erkennen, daß wir es von seiner Hand
empfangen und darin seinen väterliche Güte gegen uns verspüren. Denn wenn er die
Hand abzieht, so kann er doch nicht schlußendlich gedeihen und erhalten werden,
wie man wohl täglich sieht und fühlt. Was ist's zurzeit für eine Plage in der
Welt allein mit der bösen (falschen) Münze, ja mit täglicher Beschwerung und
Preisaufschlägen beim gewöhnlichen Handel, beim Kauf und bei der Arbeit von
Seiten derer, die nach ihrem Mutwillen die liebe Armut drücken und ihr das
tägliche Brot entziehen! Wir müssen das zwar leiden; sie aber mögen sich
vorsehen, daß sie nicht die Fürbitte der Gemeinde verlieren, und sich hüten,
daß dies Stücklein im Vaterunser nicht gegen sie gehe.
Die fünfte Bitte
Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern
Dieses Stück betrifft nun unser armes und elendes Leben. Obgleich wir Gottes
Wort haben, glauben, seinen Willen tun und leiden und uns von Gottes Gabe und
Segen nähren, so geht es doch nicht ohne Sünde ab. Wir straucheln noch täglich
und halten nicht Maß. Denn wir leben in der Welt unter den Leuten, die uns viel
zuleid tun und Ursache zu Ungeduld, Zorn, Rache usw. geben; dazu haben wir den
Teufel hinter uns her, der uns auf allen Seiten zusetzt und, wie wir gehört
haben, gegen alle bisher besprochenen Stücke ficht, so daß es nicht möglich
ist, in solch stetem Kampfe allzeit festzustehen. Darum liegt hier abermals eine
große Notwendigkeit vor, zu bitten und zu rufen: "Lieber Vater, vergib uns
unsere Schuld." Nicht als ob er nicht auch ohne und vor unserem Bitten die
Sünden vergeben würde; er hat uns ja das Evangelium, in dem lauter Vergebung
ist, geschenkt, ehe wir darum gebeten oder auch nur einmal darüber nachgesonnen
haben. Es handelt sich aber darum, daß wir diese Vergebung erkennen und
annehmen. Denn das Fleisch, in dem wir täglich leben, ist von solcher Art, daß
es Gott nicht traut und glaubt und es sich immerfort regt mit bösen Lüsten und
Tücken. So sündigen wir täglich mit Worten und Werken, mit Tun und Lassen. Davon
kommt das Gewissen in Unfrieden, so daß es sich vor Gottes Zorn und Ungnade
fürchtet und so den Trost und die Zuversicht, die aus dem Evangelium stammen,
sinken läßt. Deshalb ist es ohne Unterlaß nötig, hierher zu laufen und Trost
zu holen, um das Gewissen wieder aufzurichten.
Dies aber soll nun dazu dienen, daß unser Gott den Stolz zerbricht und uns
in der Demut hält. Denn er hat sich [gegenüber unserer menschlichen
Selbstgerechtigkeit] das Vorrecht vorbehalten. Wollte jemand auf seine
Frömmigkeit pochen und andere verachten, so soll er sich selbst ansehen und sich
dies Gebet vor Augen stellen: dann wird er finden, daß er ebensowenig fromm ist
als die anderen. So müssen wir alle vor Gott die Federn niederschlagen und froh
sein, wenn wir zu der Vergebung kommen; und es soll nur niemand denken, er
bringe es, solange wir hier leben, dahin, daß er solcher Vergebung nicht mehr
bedürfe. Kurz, wenn Gott nicht ohne Unterlaß vergibt, so sind wir verloren.
So ist nun der Sinn dieser Bitte: Gott wolle unsere Sünde nicht ansehen und
uns nicht vorhalten, was wir täglich verdienen, sondern er wolle mit Gnade gegen
uns handeln und uns vergeben, wie er es verheißen hat, und uns so ein fröhliches
und unverzagtes Gewissen geben, daß wir vor ihm stehen und ihn bitten können.
Denn wenn das Herz nicht recht mit Gott steht und solche Zuversicht nicht
schöpfen kann, so wird es sich niemals unterstehen, zu beten. Solch eine
Zuversicht aber und solch ein fröhliches Herz kann nirgends herkommen als davon,
daß es weiß, daß ihm die Sünden vergeben sind.
Es ist aber dabei ein nötiger und doch tröstlicher Zusatz angehängt: "Wie
auch wir vergeben unseren Schuldigern." [Gott] hat's verheißen, wir sollen
sicher sein, daß uns alles vergeben und geschenkt sei, jedoch nur, sofern wir
auch unserem Nächsten vergeben. Denn wie wir uns gegen Gott täglich viel
zuschulden kommen lassen und er doch aus Gnaden alles vergibt, ebenso müssen
auch wir unserem Nächsten immerfort vergeben, wenn er uns Schaden, Gewalt und
Unrecht tut, böse Tücke beweist usw.
Vergibst du nun nicht, so darfst du auch nicht denken, daß dir Gott vergebe.
Vergibst du aber, so hast du den Trost und die Sicherheit, daß dir im Himmel
vergeben wird; nicht um deines Vergebens willen - denn Gott tut es frei umsonst
aus lauter Gnade, weil er's verheißen hat, wie das Evangelium lehrt -: sondern
er will uns das zur Bestärkung und Sicherheit wie zu einem Wahrzeichen neben
[folgende] Verheißung hinsetzen, die mit diesem Gebet übereinstimmt, Luk 6:
"Vergebet, so wird Euch vergeben!" Darum wiederholt sie auch Christus gleich
nach dem Vaterunser und spricht Matth 6 "Denn wenn ihr den Menschen ihre Fehler
vergebet, so wird euch euer himmlischer Vater auch vergeben" usw.
Ein solches Zeichen wird nun diesem Gebete deshalb mit angeheftet, daß wir,
wenn wir bitten, uns dieser Verheißung erinnern und so denken: "Lieber Vater,
darum komme und bitte ich, daß du mir vergebest: nicht als ob ich mit Werken
Genugtuung geben oder es verdienen könnte, sondern weil du es verheißen und
dieses Siegel drangehängt hast, das so gewiß sein soll, als hätte ich eine
Absolution (Lossprechung), von dir selbst ausgesprochen." Denn das, was die
Taufe und das [Altar-] Sakrament, die als äußerliche Zeichen eingesetzt sind,
schaffen, das vermag auch dieses Zeichen; [es vermag] unser Gewissen zu stärken
und fröhlich zu machen; und es ist vor andern eben deshalb eingesetzt, damit
wir's alle Stunden gebrauchen und üben können, da wir's ja allezeit bei uns
haben.
Die sechste Bitte
Und führe uns nicht in Versuchung
Wir haben nun zur Genüge gehört. was für eine Mühe und Arbeit es erfordert,
das alles, was man bittet, zu erhalten und dabeizubleiben, und wie es dennoch
nicht ohne Gebrechen und Straucheln abgeht. Dazu kommt: auch wenn wir Vergebung
und ein gutes Gewissen bekommen haben und ganz losgesprochen sind, so verhält
sich's doch im Leben so, daß einer heute steht und morgen [schon] davon
abfällt. Darum müssen wir, obschon wir nun fromm sind und mit gutem Gewissen
Gott gegenüberstehen, abermals bitten, daß er uns nicht zurückfallen und der
Anfechtung oder Versuchung weichen lasse.
Die Versuchung aber, oder wie es unsere Sachsen von altersher nennen,
Bekörung, ist dreifacher Art: die des Fleisches, die der Welt und die des
Teufels. Im Fleische wohnen wir ja und tragen den alten Adam am Hals; der regt
sich und reizt uns täglich zu Unzucht, Faulheit, Fressen und Saufen, Geiz und
Täuscherei, daß wir den Nächsten betrügen und übervorteilen, und kurz, zu bösen
Lüsten aller Art, wie sie uns von Natur ankleben und dazu [noch] erregt werden
durch anderer Leute Gesellschaft, durch [böse] Beispiele, Hören und Sehen,
welche oftmals auch ein unschuldiges Herz verwunden und entzünden.
Darnach ist es die Welt, die uns mit Worten und Werken beleidigt und zu Zorn
und Ungeduld treibt; kurz, da ist nichts als Hass und Neid, Feindschaft, Gewalt
und Unrecht, Untreue, [Sich] rächen, Fluchen, Schelten, Verleumden, Hoffahrt und
Stolz, zusammen mit überflüssigem Schmuck, Ehre, Ruhm und Gewalt, weil niemand
der Geringste sein, sondern jeder obenansitzen und vor jedermann gesehen sein
will.
Dazu kommt nun der Teufel: der hetzt und bläst auch allenthalben hinein [ins
Feuer]. Aber im besonderen betreibt er, was das Gewissen und geistliche Sachen
betrifft: daß man nämlich beides, Gottes Wort und Gottes Werk, in den Wind
schlage und verachte. So will er uns von Glauben, Hoffnung und Liebe wegreißen
und zu Mißglauben, zu falscher Vermessenheit und Verstockung oder umgekehrt zu
Verzweiflung, Verleugnung und Lästerung Gottes und zu unzähligen anderen
gräulichen Stücken bringen. Das sind nun die "Stricke und Netze", ja die rechten
"feurigen Pfeile", die nicht Fleisch und Blut, sondern der Teufel aufs
allergiftigste ins Herz schießt.
Das sind wahrlich große, schwere Gefahren und Anfechtungen, schon wenn jede
für sich allein wäre, und sie muß jeder Christ ertragen. Solange wir in dem
schändlichen Leben sind, wo man uns von allen Seiten zusetzt, uns jagt und
treibt, sollen wir dadurch immer angetrieben werden, alle Stunden zu rufen und
zu bitten, Gott möge uns nicht matt und müde werden und nicht wieder in Sünde,
Schande und Unglauben zurückfallen lassen. Denn sonst ist's unmöglich, auch nur
die allergeringste Anfechtung zu überwinden.
Das "Nicht-in-Versuchung-führen" heißt nun soviel, daß Gott uns Kraft und
Stärke gibt, um zu widerstehen, ohne daß jedoch die Anfechtung weggenommen und
aufgehoben würde. Denn Versuchung und Reizung kann niemand umgehen, solange wir
im Fleische leben und den Teufel um uns haben; und da wird nichts anders: wir
müssen Anfechtung erleiden, ja sogar darin stecken. Aber dafür bitten wir, daß
wir nicht hineinfallen und darin ersaufen. Darum ist es etwas ganz anderes,
Anfechtung zu fühlen, als in sie einzuwilligen oder Ja dazu zu sagen. Fühlen
müssen wir sie alle, wenn sie auch nicht bei allen von derselben Art, sondern
bei einigen größer und schwerer ist: die Jugend vor allem vom Fleisch; sodann,
was erwachsen ist und älter wird, von der Welt; die andern aber, die mit
geistlichen Sachen umgehen, d.h. die starken Christen, vom Teufel. Aber solange
solches Fühlen gegen unseren Willen ist und wir es lieber los wären, kann es
niemand schaden; denn wenn man es nicht fühlte, könnte es keine Anfechtung
heißen. Einwilligen aber bedeutet, daß man ihm den Zaum [und Zügel] überläßt,
nicht widersteht noch betet.
Deshalb müssen wir Christen darauf gerüstet und täglich dessen gewärtig sein,
daß wir ohne Unterlaß angefochten werden. Es darf also niemand so sicher und
unachtsam hingehen, als sei der Teufel weit von uns, sondern wir müssen
allenthalben der Streiche gewärtig sein und sie parieren. Denn wenn ich jetzt
gerade auch keusch, geduldig, freundlich bin und in festem Glauben stehe, kann
der Teufel mir noch in dieser Stunde einen solchen Pfeil ins Herz dringen
lassen, daß ich kaum bestehen bleibe. Denn er ist ein solcher Feind, der
niemals abläßt und müde wird; wenn eine Anfechtung aufhört, erheben sich immer
andere und neue. Darum gibt es keinen Rat und Trost, als hierher zu laufen, um
das Vaterunser zu ergreifen und von Herzen mit Gott zu reden: "Lieber Vater, du
hast mich beten heißen, laß mich nicht durch die Versuchung zurückfallen." Du
wirst dann sehen, daß sie ablassen und sich schlußendlich überwunden geben
muß. Sonst, wenn du es unternimmst, mit deinen Gedanken und eigenem Rat dir zu
helfen, wirst du's nur ärger machen und dem Teufel mehr Raum geben. Denn er hat
einen Schlangenkopf; wenn der eine Lücke findet, in die er schlüpfen kann, so
geht der ganze Leib unaufhaltsam hinterher. Aber das Gebet kann ihm wehren und
ihn zurücktreiben.
Die siebte Bitte
Sondern erlöse uns von dem Bösen. Amen
Im Griechischen heißt das Sätzchen so: "Erlöse oder behüte uns von dem Argen
oder Bösen", und es sieht gerade so aus, als rede [das Vaterunser hier] vom
Teufel, wie wenn alles zusammengefaßt werden sollte: daß der gesamte Inhalt
des ganzen Gebetes wider diesen unseren Hauptfeind gehe. Denn dieser ist's, der
all das, was wir bitten, unter uns verhindern will: Gottes Namen oder Ehre,
Gottes Reich und Willen, das tägliche Brot, das fröhliche, gute Gewissen usw.
Darum fassen wir das zum Schlusse zusammen und sagen: "Lieber Vater, hilf doch,
daß wir dieses Unglück alles los werden."
Nichtsdestoweniger ist darin aber auch mit eingeschlossen, was uns Böses
unter des Teufels Reich widerfahren kann: Armut, Schande, Tod, und kurz, all der
unselige Jammer und Herzeleid, das es auf Erden so unzählig viel gibt. Denn weil
der Teufel nicht bloß ein Lügner, sondern auch ein Totschläger ist, trachtet er
ohne Unterlaß auch nach unserem Leben und kühlt sein Mütlein, wo er uns zu
Unfall und Schaden am Leben bringen kann. Daher kommt's, daß er manchem den
Hals bricht oder ihn von Sinnen bringt, einige im Wasser ersäuft und viele dahin
treibt, daß sie sich selbst umbringen, und zu vielen andern schrecklichen
Fällen verleitet. Darum haben wir auf Erden nichts zu tun, als ohne Unterlaß
gegen diesen Hauptfeind zu beten. Denn wenn uns Gott nicht erhielte, wären wir
keine Stunde vor ihm sicher.
Daraus siehst du, wie Gott für alles, was uns auch leiblich anficht, gebeten
sein will, daß man nirgends eine Hilfe suche und erwarte als bei ihm. [Diese
Bitte] aber hat er an die letzte Stelle gerückt. Denn sollen wir vor allem Übel
behütet und erlöst werden, so muß vorher sein Name in uns geheiligt werden,
sein Reich bei uns sein und sein Wille geschehen. Darnach, am Ende, will er uns
vor Sünde und Schande behüten, und daneben vor allem, was uns wehe tut und
schädlich ist.
So hat uns Gott aufs kürzeste alle Not vorgelegt, die uns jemals treffen
kann, und so haben wir jedenfalls keine Entschuldigung, [nicht] zu beten. Aber
daran liegt alles, daß wir auch "Amen" dazu sagen lernen, d.h. nicht zweifeln,
daß es gewiß erhört sei und geschehen werde. Denn ["Amen"] ist nichts anderes
als das Wort eines nichtzweifelnden Glaubens, der nicht auf gut Glück betet,
sondern der weiß, daß Gott nicht lügt, nachdem er's verheißen hat, zu geben. Wo
nun ein solcher Glaube nicht ist, da kann auch kein rechtes Gebet sein. Darum
ist's ein schädlicher Wahn bei denen, die so beten, daß sie sich nicht
getrauen, von Herzen Ja dazu zu sagen und das Gebet mit der Gewißheit zu
schließen, daß Gott sie erhört, sondern im Zweifel bleiben und sagen: "Wie
sollte ich so kühn sein und rühmen, daß Gott mein Gebet erhöre? Bin ich doch
ein armer Sünder usw." Das rührt daher, daß sie nicht auf Gottes Verheißung,
sondern auf ihre Werke und eigene Würdigkeit sehen; damit aber verachten sie
Gott und strafen ihn Lügen. Deshalb empfangen sie auch nichts, wie der hl.
Jakobus sagt: "Wer da betet, der bete im Glauben und zweifle nicht. Denn wer da
zweifelt, der ist gleich einer Meereswoge, die vom Winde getrieben und bewegt
wird; ein solcher Mensch denke nur nicht, daß er etwas von Gott empfangen
werde." Sieh, soviel ist Gott daran gelegen, daß wir dessen gewiß sein sollen,
wir bitten nicht umsonst und in keiner Weise unser Gebet verachten.
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