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Das vierte Gebot
Bisher haben wir die drei ersten Gebote gelernt, die sich auf Gott richten:
Das erste, daß man ihm von ganzen Herzen vertraue, ihn fürchte und ihn liebe in
unserem ganzen Leben. Das zweite, daß man seinen heiligen Namen nicht zur Lüge
oder irgend einer bösen Sache mißbrauche; vielmehr soll man ihn zu Gottes Lob,
zu Nutzen und Seligkeit des Nächsten und seiner selbst [gebrauchen]. Das dritte,
daß man beim Feiern und Ruhen fleißig mit Gottes Wort umgehe und es betreibe,
damit all unser Tun und Leben darnach gehe. Nun folgen die anderen sieben
Gebote, die sich auf unseren Nächsten beziehen. Unter ihnen ist das erste und
höchste:
Du sollst Deinen Vater und Deine Mutter ehren
Diesen Vater- und Mutterstand hat Gott besonders ausgezeichnet vor allen
[andern] Ständen, die unter ihm sind: er gebietet nicht schlechthin [nur], die
Eltern lieb zu haben, sondern sie zu 'ehren'. Im Blick auf Brüder, Schwestern
und Nächsten insgemein befiehlt er [nämlich] nichts Höheres als sie zu lieben;
somit unterscheidet und sondert er Vater und Mutter von allen anderen Personen
auf Erden und setzt sie neben sich. Denn 'Ehren' ist etwas viel Höheres als
'Lieben'. Es begreift ja nicht allein die Liebe in sich ein, sondern auch Zucht,
Demut und Scheu einer Majestät gegenüber, die hier verborgen ist. Auch fordert
es nicht bloß, daß man die Eltern freundlich und mit Ehrerbietung anspreche,
sondern vor allem soll man sowohl im Herzen als auch mit seinem leiblichen
Verhalten sich [ihnen gegenüber] so einstellen und zeigen, daß man viel von
ihnen hält und sie nach Gott für die Obersten ansieht. Denn wen man von Herzen
ehren soll, den muß man wahrlich für hoch und groß achten. Man präge es darum
den jungen Leuten ein, ihre Eltern an Gottes Statt vor Augen zu haben und also
zu bedenken, daß sie dennoch Vater und Mutter sind, von Gott gegeben, auch wenn
sie gering, arm gebrechlich und seltsam wären. Ihres Lebenswandels oder eines
Fehlers wegen sind sie dieser Ehre nicht beraubt. Darum sind nicht die Personen
anzusehen, wie sie sind, sondern Gottes Wille, der es so anschafft und anordnet.
Sonst sind wir zwar vor Gottes Augen alle gleich; unter uns aber kann es ohne
solche Ungleichheit und ordnungsgemäßen Unterschied nicht abgehen. Darum ist
auch von Gott geboten, sie zu beachten, so daß du mir als deinem Vater gehorsam
seiest und ich die Oberhand habe.
So lerne nun zuerst, was die Ehre den Eltern gegenüber heißt, wie es in
diesem Gebot gefordert wird. Man soll sie nämlich vor allen Dingen herrlich und
wert achten als den höchsten Schatz auf Erden. Ferner soll man sich auch mit
Worten gegen sie in Zucht halten, sie nicht übel anfahren, [auf sein Recht]
pochen oder poltern; sondern man lasse sie recht haben und schweige, auch wenn
sie zu weit gehen. Drittens soll man ihnen auch mit Werken, d.h. mit Leib und
Gut solche Ehre erweisen; man soll ihnen dienen, helfen und sie versorgen, wenn
sie alt, krank, gebrechlich oder arm sind. Und das alles soll man nicht bloß
gerne tun, sondern mit Demut und Ehrerbietung als etwas das für Gott getan wird.
Denn wer das weiß, wie er sie im Herzen halten soll, wird sie nicht Not und
Hunger leiden lassen, sondern sie über und neben sich setzen und ihnen
mitteilen, was er hat und vermag.
Zweitens siehe und merke, was für ein großes, gutes und heiliges Werk hier
den Kindern vorgelegt ist. Leider verachtet man es ganz und schlägt es in den
Wind, und niemand nimmt wahr, daß Gott es geboten hat, oder, daß es ein
heiliges, göttliches Wort und Lehrstück ist. Denn wenn man's dafür gehalten
hätte, hätte jeder daraus entnehmen können, daß die, die nach diesen Worten
lebten, auch heilige Leute sein müßten. So hätte man kein Klosterleben oder
geistliche Stände aufzubringen brauchen: jedes Kind wäre bei diesem Gebot
geblieben und hätte sein Gewissen auf Gott hin richten und sprechen können:
"Soll ich gute und heilige Werke tun, so weiß ich jedenfalls kein besseres, als
meinen Eltern alle Ehre und allen Gehorsam zu leisten, weil Gott selbst es
geheißen hat. Denn was Gott gebietet, muß viel und weit edler sein als alles,
was wir selber erdenken können. Und weil kein höherer und besserer Meister zu
finden ist als Gott, so wird es gewiß auch keine bessere Lehre geben als die,
die er von sich aus gibt. Nun lehrt er ja reichlich, was man tun soll, wenn man
rechtschaffene, gute Werke ausüben will, und damit, daß er's gebietet, bezeugt
er, daß sie ihm wohlgefallen. Ist es denn Gott, der das gebietet und nichts
Besseres aufzustellen weiß, so werde ich es jedenfalls nicht besser machen."
Sieh, so hätte man ein frommes Kind recht lehren selig erziehen und daheim
behalten können im Gehorsam und Dienst der Eltern; dann hätte man Gutes und
Freude daran gesehen. Aber man hat es nicht nötig gehabt, in solcher Weise
Gottes Gebot hervorzuheben, sondern man hat es liegen gelassen oder ist schnell
darüber hinweggegangen, so daß ein Kind es nicht bedenken konnte; einstweilen
konnte es nur das Maul aufsperren über dem, was wir aufgebracht haben, ohne Gott
darüber um Rat zu fragen.
Darum laßt uns um Gottes willen einmal das lernen: wenn das junge Volk Gott
mit rechten, guten Werken dienen will, so muß es alles außer acht lassen und in
erster Linie auf dieses Gebot sehen, daß sie tun, was Vater und Mutter oder
denen lieb ist, denen sie an ihrer Statt unterstellt sind. Denn ein Kind, das
das weiß und tut, hat damit in erster Linie den großen Trost im Herzen, daß es
allen denen zutrotz und zuwider, die mit selbsterwählten Werken umgehen,
fröhlich sagen und rühmen [kann]: "Sieh, dieses Werk gefällt meinem Gott im
Himmel wohl; das weiß ich gewiß." Laß sie mit ihren vielen großen, sauren,
schweren Werken alle in einem Haufen hervortreten und sich rühmen: - Laß sehen,
ob sie irgend eines vorbringen können, das größer und edler wäre als der
Gehorsam gegen Vater und Mutter, den Gott [unmittelbar] neben den Gehorsam gegen
seine Majestät gesetzt und befohlen hat. Wenn es also Gottes Wort und der Wille
Gottes vor sich geht und ausgerichtet wird, soll nichts sonst mehr gelten als
der Will und das Wort der Eltern, so jedoch, daß [dieser Gehorsam gegen die
Eltern] auch dem Gehorsam gegen Gott untergeordnet bleibt und den
vorangegangenen Geboten nicht zuwiderläuft.
Deshalb sollst du von Herzen froh sein und Gott danken, daß er dich dazu
erwählt und würdig gemacht hat, ein solch köstliches, angenehmes Werk für ihn zu
tun. Und wenn es auch als das allergeringste und verachtetste angesehen wird, so
halte es doch nur für etwas Großes und Teures; nicht um unserer Würdigkeit
willen, sondern weil es in dem Kleinod und Heiligtum, nämlich in Gottes Wort und
Gebot zusammengefaßt ist und vonstatten geht. O wie teuer würden's alle
Karthäusermönche und -nonnen erkaufen, wenn sie bei all ihrem geistlichen Wesen
auch nur ein einziges Werk vor Gott bringen könnten, das auf Grund seines
Gebotes getan wäre, und wenn sie mit fröhlichem Herzen vor seinen Augen sprechen
könnten: "Nun weiß ich, daß dir dieses Werk wohlgefällt!" Wo wollen sie, die
armen, elenden Leute bleiben, wenn sie vor Gott und aller Welt schamrot mit
allen Schanden dastehen werden vor einem jungen Kind, das nach diesem Gebot
gelebt hat, und bekennen müssen, daß sie mit all ihrem Leben nicht wert gewesen
sind, ihm das Wasser zu reichen? Um der teuflischen Verkehrtheit willen, daß
sie Gottes Gebot mit Füßen treten, geschieht es ihnen auch recht, wenn sie sich
vergeblich mit selbsterdachten Werken abmartern müssen und dazu noch Spott und
Schaden zum Lohn haben.
Solle da nun nicht ein Herz springen und vor Freude zerfließen, daß es, wenn
es zur Arbeit ginge und täte, was ihm befohlen ist, sagen könnte: "Sieh, das ist
besser als die Heiligkeit aller Karthäuser, wenn sie sich auch zu Tode fasten
und ohne Unterlaß auf den Knien beten?" Denn hier hast du einen sicheren
[Bibel-] Text und ein göttliches Zeugnis dafür, daß er dies geboten hat,
während er von jenem kein Wort befohlen hat. Aber es ist ein Jammer und eine
leidige Blindheit bei der Welt, daß das niemand glaubt; so sehr hat uns der
Teufel mit falscher Heiligkeit und dem Schein eigener Werke bezaubert. Deshalb
wollte ich so gerne, ich wiederhole es, daß man Augen und Ohren auftäte und das
zu Herzen nähme, damit wir nicht auf einmal wieder von dem reinen Gotteswort zu
des Teufels Lügentand verleitet werden. So würde auch etwas Gutes herauskommen:
die Eltern hätten desto mehr Freude, Liebe, freundlichen Umgang und Eintracht in
ihren Häusern und ebenso könnten die Kinder ihren Eltern nicht eher tun, was sie
sollen, als bis man ihnen einen Knüttel (Knüppel) auf den Rücken legt, so
erzürnen sie sowohl Gott als die Eltern; damit entziehen sie sich selbst diesen
Schatz und die Freude des Gewissens und sammeln sich lauter Unglück zusammen.
Darum geht's auch jetzt in der Welt so zu, wie jedermann es beklagt, daß sowohl
Junge als Alte ganz wild und unbändig sind. Sie haben keine Scheu und Ehrfurcht;
sie tun nichts, ohne mit Schlägen dazu getrieben zu sein, und verleumden und
verkleinern einander hinter des andern Rücken, soviel sie können. Darum straft
sie auch Gott so, daß sie in alles Unglück und Jammer kommen. Ebenso können die
Eltern meistens selbst nichts: ein Tor erzieht da den andern; wie sie gelebt
haben, so leben die Kinder nachher auch.
Das soll nun, sage ich, das Erste und Größte sein, was uns zu diesem Gebot
treiben soll. Wenn wir keinen Vater und keine Mutter hätten, müßten wir um
[dieses Gebotes] willen wünschen, daß Gott uns Holz und Stein hinstellte, damit
wir sie Vater und Mutter heißen könnten. Wieviel mehr sollen wir nun, nachdem er
uns lebendige Eltern gegeben hat, froh darüber werden, daß wir ihnen Ehre und
Gehorsam erzeigen können? Wissen wir doch, daß das der hohen Majestät und allen
Engeln so wohl gefällt und alle Teufel verdrießt. Obendrein ist es das höchste
Werk, das man tun kann, nächst dem hohen Gottesdienst, der in den vorausgehenden
Geboten beschrieben ist. Almosengeben und alle anderen Werke gegen den Nächsten
kommen also diesem Werk noch nicht gleich, denn Gott hat diesen Stand der Eltern
obenan gesetzt, ja zu seiner Stellvertretung auf Erden bestimmt. Dieser Wille
Gottes und [sein] Wohlgefallen soll uns Ursache und Anreiz genug sein, um hier
freiwillig und mit Lust zu tun, was wir können.
Außerdem sind wir es ja auch vor der Welt schuldig, daß wir für die Wohltat
und alles Gute, das wir von den Eltern haben, dankbar sind. Aber da regiert
wieder der Teufel in der Welt, daß die Kinder ihre Eltern vergessen, wie wir
alle Gott vergessen. Niemand denkt daran, wie Gott uns doch nährt, behütet und
schützt und [uns] so viel Gutes an Leib und Seele gibt; besonders wenn einmal
eine böse Stunde kommt, dann zürnen und murren wir ungeduldig, und es ist alles
dahin, was wir unser Leben lang Gutes empfangen haben. Ebenso machen wir es den
Eltern auch; es gibt kein Kind, welches dies erkennen und bedenken würde, wenn
nicht der Heilige Geist es ihm eingebe. Diese Unart der Welt kennt Gott wohl;
darum erinnert und treibt er sie an mit Geboten. Jeder soll drüber nachdenken,
was ihm seine Eltern getan haben; dann findet er, daß er Leib und Leben von
ihnen hat, dazu auch [von ihnen] ernährt und aufgezogen wurde; sonst wäre er ja
hundertmal in seinem Unflat erstickt. Deshalb ist's recht und treffend von alten
weisen Leuten gesagt worden: "Deo, parentibus et magistris non potest sais
gratiae rependi", d.h.: "Gott, den Eltern und den Lehrern kann man nie genug
danken und vergelten." Wer das sieht und bedenkt, der wird wohl - ohne dazu
angetrieben zu werden - seinen Eltern alle Ehre antun und sie auf den Händen
tragen, weil sie es sind, durch die ihm Gott alles Gute getan hat.
Über dies alles soll auch das eine große Ursache sein, uns einen noch
stärkeren Anreiz zu geben, daß Gott an dieses Gebot eine liebliche Verheißung
heftet und sagt: "Auf daß du ein langes Leben habest in dem Lande, darin du
wohnest." Daraus magst du selbst ersehen, wie sehr es Gott mit diesem Gebot
ernst ist. Denn er sagt ausdrücklich nicht bloß, daß es ihm angenehm sei und
daß er Freude und Lust daran habe, sondern daß es auch uns wohlgeraten und zum
Besten gedeihen solle, so daß wir ein sanftes, süßes Leben haben können mit
allem Guten. Darum betont und rühmt auch der Hl. Paulus Eph 6 das so stark, wenn
er sagt: "Das ist das erste Gebot, das eine Verheißung hat: auf daß dir's wohl
gehe und du lange lebest auf Erden." Denn obwohl auch die anderen [Gebote] ihre
Verheißung in sich eingeschlossen haben, so ist's doch bei keinem so deutlich
und ausdrücklich hinzugesetzt.
Da hast du nun die Frucht und den Lohn [dieses Gebotes]: wer es hält, der
soll gute Tage, Glück und Wohlfahrt haben; umgekehrt weißt du auch die Strafe:
wer ungehorsam ist, soll desto eher umkommen und seines Lebens nicht froh
werden. Dann "langes Leben haben" heißt die Schrift nicht bloß [das,
daß man]
betagt wird, sondern daß man alles hat, was zu einem langen Leben gehört
nämlich Gesundheit, Weib und Kind, Nahrung, Frieden, gut Regiment usw.; denn
ohne das kann dieses Leben weder fröhlich genossen werden noch auf die Dauer
bestehen. Willst du nun nicht Vater und Mutter gehorchen und dich von ihnen
erziehen lassen, so gehorche dem Henker; gehorchst du dem nicht, so gehorche dem
Streckebein, d.h. dem Tode. Denn kurz gesagt, so will es Gott haben: entweder
wenn du ihm gehorchst, ihm Liebe und Dienst erweisest, will er dir's
überschwenglich mit allem Guten vergelten; oder wenn du ihn erzürnst, will er
sowohl den Tod als auch den Henker über dich schicken. Wo kommen so viele
Bösewichter her, die man alle Tage hängen, köpfen und rädern muß, wenn nicht
vom Ungehorsam? Weil sie sich nicht im Guten erziehen lassen, bringen sie es
durch Gottes Strafe so weit, daß man Unglück und Herzeleid an ihnen sieht. Denn
es geschieht ganz selten, daß solche verruchten Leute eines rechten oder
rechtzeitigen Todes [im Alter] sterben.
Die Frommen und Gehorsamen aber haben den Segen: sie leben, wie oben gesagt,
lange in guter Ruhe und sehen ihre Kindeskinder bis ins dritte und vierte Glied.
So macht man auch die Erfahrung: wenn es irgendwo feine alte Geschlechter gibt,
die gut gestellt sind und viele Kinder haben, so ist das gewiß daher gekommen,
daß einige von ihnen wohlgezogen gewesen sind ihre Eltern vor Augen gehabt
haben. Umgekehrt steht von den Gottlosen geschrieben Ps 109: "Seine Nachkommen
müssen ausgerottet werden und ihr Name müsse in der nächsten Generation
untergehen." Deshalb Laß dir's gesagt sein, wie groß Ding es bei Gott um den
Gehorsam ist: er stellt ihn so hoch, hat selber ein solches Wohlgefallen an ihm
und belohnt ihn reichlich; dazu ist er so streng darauf bedacht, die zu strafen,
die dawiderhandeln.
Das sage ich alles, damit man's dem jungen Volk recht einbleue. Denn niemand
glaubt, wie überaus nötig dieses Gebot ist, das doch bisher unter dem Papsttum
weder geachtet noch gelehrt wurde. Es sind schlichte und leichtverständliche
Worte, und jedermann meint, er könne das schon von vornherein wohl; darum geht
man oberflächlich drüber weg und gafft nach etwas anderem. Man sieht und glaubt
nicht, daß man Gott so schwer erzürnt, wenn man das unterläßt, und daß man so
köstliche, [Gott] angenehme Werke tut, wenn man dabei bleibt.
Bei diesem Gebot muß weiter auch die Rede sein von all dem Gehorsam
gegenüber Oberpersonen (Vorgesetzten], die zu gebieten und zu regieren haben.
Denn aus der Obrigkeit der Eltern fließt und verbreitet sich alle andere. Denn
wenn ein Vater sein Kind nicht allein erziehen vermag, so nimmt er einen
Schulmeister dazu, der es lehren soll; ist er zu schwach dazu, so nimmt er seine
Freunde oder Nachbarn zu Hilfe; stirbt er, so befiehlt und übergibt er das
Regiment und die Oberhand andren, die man dazu verordnet. Gleichfalls muß er
auch Gesinde, Knechte und Mägde im Hausregiment unter sich haben. Somit stehen
alle, die man Herren heißt, an der Stelle der Eltern und müssen von ihnen Kraft
und Vollmacht zum Regieren sich geben lassen. Deshalb heißen sie auch nach der
Heiligen Schrift alle Väter, weil sie mit ihrem Regiment das Amt eines Vaters
ausüben und ein väterliches Herz den Ihren gegenüber haben sollen. So hat man
auch von altersher bei den Römern und in anderen Sprachen die Herren und Frauen
im Haus patres et matres familias, d.h. Hausväter und Hausmütter genannt. Ebenso
haben sie auch ihre Landesfürsten und Oberherren patres patriae, d.h. Väter des
ganzen Landes geheißen. [Das muß man] uns, die wir Christen sein wollen, zur
großen Schande sagen, weil wir sie nicht auch so heißen oder sie wenigstens
dafür halten und ehren.
Was nun ein Kind dem Vater und der Mutter schuldet, das schulden auch alle,
die ins Hausregiment einbefaßt sind. Darum sollen Knechte und Mägde darauf
sehen, daß sie ihren Herren und Frauen nicht bloß gehorsam sind, sondern sie
auch in Ehren halten wie ihre eigenen Väter und Mütter. Sie sollen alles tun,
wovon sie wissen, daß man es von ihnen haben will, nicht gezwungen und
widerwillig, sondern mit Lust und Freude, eben aus der vorhin erwähnten Ursache,
daß es Gottes Gebot ist und ihm vor allen anderen Werken wohlgefällt. Um
deswillen müßten sie eigentlich noch Lohn draufzahlen und froh darüber sein,
daß sie Herren und Frauen bekommen können, ein solch fröhliches Gewissen haben
dürfen und wissen, wie sie rechte, goldenen Werke tun sollen. Das sind freilich
Werke, welche bisher unscheinbar und verachtet waren; statt dessen ist jedermann
in des Teufels Namen in Klöster, zu Wallfahrten und Ablaß gelaufen - zu seinem
Schaden und mit bösem Gewissen.
Wenn man nun das dem armen Volk einprägen könnte, so würde eine Magd [vor
Freude] nur lauter Sprünge machen, Gott loben und danken, sie würde mit ihrer
säuberlichen Arbeit, für die sie ohnehin Kost und Lohn bekommt, einen solchen
Schatz kriegen, wie ihn alle die nicht haben, die man für die Heiligsten hält.
Ist's nicht ein vortrefflicher Ruhm, das zu wissen und sagen zu können: Wenn du
deine tägliche Hausarbeit tust, so ist das besser als die Heiligkeit und das
strenge Leben aller Mönche? Und obendrein hast du die Zusage, daß dir's zum
Guten gedeihen soll und daß dir's wohl gehen soll. Wie willst du seliger sein
oder heiliger leben, soweit es die Werke betrifft? Vor Gott macht ja
ausschließlich der Glaube heilig. Mit dem Glauben dienen wir ihm allein, mit den
Werken dienen wir aber den Leuten. Da hast du alles Gute, hast Schutz und Schirm
unter dem Herrn, ein fröhliches Gewissen und einen gnädigen Gott dazu, der dir's
hundertfältig vergelten will, und du bist gar ein Junker, wenn du nur fromm und
gehorsam bist. Andernfalls hast du erstens lauter Zorn und Ungnade von Gott und
keinen Frieden im Herzen, und weiter hast du alle Plage und Unglück. Wer sich
nun dadurch nicht bewegen und fromm machen lassen will, den befehlen wir dem
Henker und dem Streckebein. Darum bedenke jeder, der sich's sagen lassen will,
daß mit Gott nicht zu scherzen ist; wisse, daß Gott mit dir redet und Gehorsam
fordert. Gehorchst du ihm, so bist du das liebe Kind; verachtest du es aber, so
habe denn auch Schande, Jammer und Herzeleid zum Lohn.
In gleicher Weise ist auch zu reden vom Gehorsam gegen die weltliche
Obrigkeit, die, wie gesagt, samt und sonders zum Vaterstand gehört und sich am
allerweitesten erstreckt. Denn hier handelt es sich nicht um einen Vater einer
einzelnen [Familie], sondern um einen, der sovielmal Vater ist, soviel er
Einwohner, Bürger oder Untertanen hat. Durch [diese Obrigkeits-Väter] als durch
unsere Eltern gibt und erhält uns nämlich Gott Nahrung, Haus und Hof, Schutz und
Sicherheit. Darum weil sie diesen Namen und Titel als ihren höchsten Preis mit
allen Ehren führen, sind wir auch schuldig, sie zu ehren und hochzuachten als
den teuersten Schatz und das köstlichste Kleinod auf Erden.
Wer nun hier gehorsam, willig und diensteifrig ist und gerne alles tut, was
die Ehre [gegenüber der Obrigkeit] belangt, der weiß, daß er etwas Gott
Wohlgefälliges tut und Freude und Glück zum Lohn kriegt. Will er es nicht mit
Liebe tun, sondern es verachten und sich sperren oder rumoren, so wisse er auch
hinwiederum, daß er keine Gnade und Segen hat. Und wo er meint, damit einen
Gulden einzusparen, so verliert er dafür anderswo zehnmal mehr oder fällt er dem
Henker anheim; er kommt durch Krieg, Pest und Teuerung um oder erlebt an seinen
Kindern nichts Gutes; er muß von Gesinde, Nachbarn oder Fremden und Tyrannen
Schaden, Unrecht und Gewalt erleiden. So soll uns heimgezahlt und vergolten
werden, was wir zu gewinnen und zu verdienen suchen. Wenn wir uns nur einmal das
sagen ließen, daß solche Werke Gott so angenehm sind und so reiche Belohnung
erhalten! Wir würden dann in lauter überschwenglichen Gütern sitzen und haben,
was unser Herz begehrt.
Da man aber Gottes Wort und Gebot so ganz verächtlich behandelt, als hätte er
irgend ein Gassenbube gesagt, so Laß auch sehen, ob du der Mann bist, der ihm
Trotz bieten könnte? Wir schwer wird's ihm wohl werden, dir's heimzubezahlen? Du
lebtest drum gewiß viel besser mit Gottes Huld, Frieden und Glück als mit
Ungnade und Unglück. Warum, meinst du, ist jetzt die Welt so voll Untreue,
Schande, Jammer und Mord, als weil jeder sein eigener Herr und frei wie der
Kaiser sein, auf niemand etwas geben und alles tun will, wonach es ihn gelüstet?
Darum straft Gott einen Spitzbuben mit dem andern; wenn du einen Herrn betrügst
oder verachtest, so kommt ein anderer, der dir wieder ebenso mitspielt; ja du
mußt dir in deinem eigenen Haus von Weib, Kindern oder Gesinde zehnmal mehr
gefallen lassen. Wir fühlen unser Unglück deutlich, murren und klagen über
Untreue, Gewalt und Unrecht, wollen aber nicht einsehen, daß wir selbst
Spitzbuben sind, die eine Strafe redlich verdient haben, und wollen in keiner
Beziehung uns dadurch bessern. Wir wollen keine Gnade und kein Glück haben,
darum haben wir verdientermaßen lauter Unglück ohne alle Barmherzigkeit. Es muß
doch noch irgendwo fromme Leute auf Erden geben, daß uns Gott noch so viel
Gutes lässt; wenn es auf uns ankäme, so dürften wir keinen Heller im Haus,
keinen Strohhalm auf dem Felde behalten.
Das alles habe ich mit soviel Worten betreiben müssen, ob es vielleicht
einmal jemand zu Herzen nehmen wollte. Dann könnten wir die Blindheit und den
Jammer, worin wir so tief drinstecken, los werden und Gottes Wort und Willen
recht erkennen und mit Ernst annehmen. Denn daraus würden wir lernen, wie wir
Freude, Glück und Heil genug haben könnten für Zeit und Ewigkeit.
So haben wir dreierlei Väter, die uns in diesem Gebot vor Augen gestellt
sind: die [Väter] nach dem Blut, des Hauses und des Landes. Außerdem gibt es
auch noch geistliche Väter. Nicht solche, wie im Papsttum, die sich wohl so
haben nennen lassen, aber das väterliche Amt nicht geführt haben. Denn nur die
heißen geistliche Väter, die uns durch Gottes Wort regieren und vorstehen, wie
sich der hl. Paulus als Vater rühmt 1. Kor 4, wo er spricht: "Ich habe euch in
Christus Jesus durch das Evangelium gezeugt." Weil sie nun Väter sind, gebührt
ihnen auch die Ehre, sogar wohl vor allen andern; aber da ist sie am wenigsten
in Übung. Denn die Welt muß sie so sehr ehren, daß man sie aus dem Lande jagt
und ihnen nicht [einmal] ein Stück Brot gönnt; und kurzum, sie müssen, wie
Paulus sagt, das auch dem Volk eindringlich zu machen, daß die, die Christen
heißen wollen, vor Gott schuldig sind, ihre Seelsorger zweifacher Ehre wert zu
halten, ihnen wohlzutun und sie zu versorgen. Zu diesem Zweck will dir Gott auch
genug geben und dir nichts mangeln lassen. Aber da sperrt und wehrt sich
jedermann; sie haben alle Sorge, daß der Bauch verschmachte, und so können sie
jetzt nicht einmal einen rechtschaffenen Prediger ernähren, wo wir früher
zehn Mastbäuche gefüllt haben. Damit verdienen wir es auch, daß uns Gott seines
Wortes und Segens beraubt und wieder Lügenprediger aufstehen lässt, die uns zum
Teufel führen und obendrein unser Schweiß und Blut aussaugen.
Alle aber, die Gottes Willen und Gebote sich vor Augen halten, haben die
Verheißung, daß ihnen reichlich vergolten werden soll, was sie sowohl
leiblichen als geistlichen Vätern zuwenden und zu Ehren tun. Sie sollen nicht
nur für ein oder zwei Jahre Brot, Kleider und Geld haben, sondern langes Leben,
Nahrung und Frieden, und sie sollen ewig reich und selig sein. Darum tu nur, was
du schuldig bist, und lasse Gott dafür sorgen, wie er dich ernähre und dir genug
verschaffe. Hat er's verheißen und noch nie gelogen, so wird er dir auch nicht
lügen. Das sollte uns immer aufmuntern und unser Herz so stimmen, daß es vor
Lust und Liebe denen gegenüber zerschmelzen möchte, denen wir Ehre schulden; wir
sollten die Hände aufheben und fröhlich Gott danken, daß er uns solche
Verheißungen gegeben hat, nach denen wir bis ans Ende der Welt laufen müßten.
Denn auch wenn alle Welt zusammenwirkte, so könnte sie uns doch kein Stündlein
zum Leben zulegen oder ein Körnlein aus der Erde zugeben. Gott aber kann und
will dir alles überschwenglich geben nach Deines Herzens Lust. Wer nun das
verachtet und in den Wind schlägt, der ist es wirklich nicht wert, daß er ein
Gotteswort höre.
Damit wurde nun allen denen übergenug gesagt, die unter dieses Gebot gehören.
Daneben wäre mit Recht auch den Eltern und allen, die der Eltern Amt ausführen,
zu predigen, wie sie sich denen gegenüber verhalten sollen, die ihnen zur
Leitung anbefohlen sind. Das steht zwar nicht ausdrücklich in den Zehn Geboten,
ist aber doch sonst an vielen Stellen der [Heiligen] Schrift reichlich geboten;
auch will es Gott gerade in diesem Gebot mitinbgriffen haben, insofern als er
Vater und Mutter nennt. Denn er will nicht [böse] Buben und Tyrannen zu diesem
Amt und Regiment haben; er gibt ihnen auch nicht darum die Ehre, d.h. die Macht
und das Recht zu regieren, daß sie sich anbeten lassen. Vielmehr sollen sie
bedenken, daß sie unter Gottes Gehorsam sind, und sollen sich vor allen Dingen
von Herzen und treu ihres Amtes annehmen, indem sie ihre Kinder, ihr Gesinde,
ihre Untertanen usw. nicht bloß ernähren und leiblich versorgen, sondern vor
allem zu Gottes Lob und Ehre erziehen. Darum bedenke: das steht nicht in deinem
Belieben und eigener Willkür, sondern Gott hat es streng geboten und auferlegt;
vor ihm wirst du dich auch dafür verantworten müssen.
Da ist nun wieder die leidige Plage, daß niemand das wahrnimmt, und
beachtet. Sie gehen hin, als gebe uns Gott Kinder, damit wir unsere Lust und
Kurzweil daran haben; daß wir das Gesinde wie eine Kuh oder einen Esel allein
zur Arbeit gebrauchen oder an den Untertanen unsern Mutwillen auslassen. Man
lässt sie laufen, als ginge es uns nichts an, was sie lernen oder wie sie leben.
Niemand will einsehen, daß es der Befehl der hohen Majestät ist, die das
ernstlich von uns fordern und rächen wird, auch nicht, daß es so sehr nötig
ist, sich der Jugend mit Ernst anzunehmen. Denn wollen wir feine, geschickte
Leute haben sowohl für das weltliche als auch für das geistliche Regiment, so
dürfen wir wahrhaftig weder Fleiß noch Mühe noch Kosten an unseren Kindern
sparen, um sie zu lehren und zu erziehen, damit sie Gott und der Welt dienen
können. [Wir dürfen] nicht bloß daran denken, wie wir ihnen Geld und Gut
sammeln; denn Gott kann sie wohl ohne uns ernähren und reich machen, wie er es
auch täglich tut. Vielmehr hat er uns darum Kinder gegeben und anbefohlen, daß
wir sie nach seinem Willen aufziehen und regieren; zu etwas anderem würde er
Vater und Mutter nicht brauchen. Darum wisse jeder, daß er bei Verlust der
göttlichen Gnade schuldig ist, seine Kinder vor allen Dingen zur Furcht und
Erkenntnis Gottes zu erziehen und sie, falls sie dazu geschickt sind, auch
lernen und studieren zu lassen, damit man sie, wo es nötig ist, gebrauchen
könne.
Wenn man nun das [wirklich] täte, so würde uns Gott auch reichlich segnen und
Gnade geben, daß man solche Leute erziehe, durch die Land und Leute gebessert
werden könnten, und dazu feine, erzogene Brüder und züchtige und häusliche
Frauen, die dann weiterhin fromme Kinder und [ein frommes] Gesinde erziehen
können. Da bedenke nun selber: du richtest einen mörderischen Schaden an, wenn
du darin säumig bist und es bei dir daran fehlen lässt, daß dein Kind nützlich
und seliglich erzogen werde. Obendrein lädst du alle Sünde und [Gottes] Zorn auf
dich und verdienst so die Hölle an deinen eigenen Kindern, auch wenn du sonst
fromm und heilig wärest. Weil man das verachtet, deshalb straft auch Gott die
Welt so greulich, daß man keine Zucht, kein [rechtes] Regiment und keinen
Frieden hat. Darüber klagen wir alle, sehen aber nicht, daß das unsere eigene
Schuld ist. Denn wie wir [selber] erziehen, so haben wir ungeratene und
ungehorsame Untertanen.
Das möge zur Mahnung genügen; denn um das ausführlich zu betreiben, dazu ist ein
andermal Zeit.
Das fünfte Gebot
Du sollst nicht töten
Wir haben nun sowohl das geistliche als auch das weltliche Regiment
besprochen, d.h. die göttliche und die väterliche Obrigkeit und den Gehorsam
gegen sie. Hier aber gehen wir nun aus unserem Hause hinaus unter die Nachbarn,
um zu lernen, wie wir untereinander leben sollen, jeder einzelne für sich selbst
im Verhältnis zu seinem Nächsten.
Somit ist in diesem Gebot Gott und die Obrigkeit nicht mit einbegriffen noch
wird ihnen die Macht genommen, die sie zum Töten haben. Denn Gott hat sein
Recht, die Übeltäter zu strafen, der Obrigkeit an Stelle der Eltern übertragen -
wie man bei Mose liest, mußten diese früher ihre Kinder selbst vor Gericht
stellen und zum Tode verurteilen. Was hier verboten ist, ist deshalb der
Einzelperson gegenüber einer anderen Person verboten, und nicht der Obrigkeit.
Dies Gebot ist nun leicht genug verständlich und wird oft behandelt, weil man
es alle Jahre im Evangelium hört Matth 5. Dort legt Christus selber es aus und
faßt es [dahingehend] zusammen, daß man nämlich nicht töten solle weder mit
Hand, Herz, Mund, Zeichen, Gebärden, noch durch Mithilfe und Rat. Darum ist
darin jedermann das Zürnen verboten, diejenigen - wie schon gesagt -
ausgenommen, die Gottes Stellvertreter sind, d.h. Eltern und Obrigkeit. Denn
Gott und was in göttlichem Stand ist, gebührt es, zu zürnen, zu schelten und zu
strafen eben um deretwillen, die dieses und andere Gebote übertreten.
Die Ursache aber und die Notwendigkeit dieses Gebotes besteht darin, daß
Gott wohl weiß, wie böse die Welt ist, und wie viel Unglück dieses Leben mit
sich bringt; deshalb hat er dieses und andere Gebote zwischen gut und böse
gestellt. Nun gibt es mancherlei Anfechtung wider alle Gebote, und so geht es
auch hier: wir müssen unter viel Leuten leben, die uns Leid zufügen, so daß wir
Ursache haben, ihnen feind zu sein. Wenn z.B. dein Nachbar sieht, daß du ein
besseres Haus und [einen besseren] Hof, mehr Gut und Glück von Gott hast, als
er, so verdrießt es ihn; er beneidet dich und redet nichts Gutes von dir. So
kriegst du, weil der Teufel dazu aufreizt, viel Feinde, die dir weder leiblich
noch geistlich etwas Gutes gönnen. Wenn man dann solche [Leute] sieht, so will
unser Herz auch seinerseits in Wut geraten und Blut fließen lassen und sich
rächen; da fängt dann ein Dagegenfluchen und Dagegenschlagen an, woraus
schließlich Jammer und Mord folgt. Dem kommt nun Gott zuvor wie ein freundlicher
Vater; er legt sich ins Mittel und will den Hader beendet haben, damit kein
Unglück daraus entstehe und keiner den andern verderbe. Und kurzum, er will
hiermit jeden beschirmt, der Verfolgung entzogen und im Frieden gelassen haben
vor jedermanns Frevel- und Gewalttat, und will dieses Gebot um den Nächsten
herum zur Ringmauer, zur Festung und Freistätte aufgestellt haben, damit man ihm
an seinem Leibe kein Leid noch Schaden antun möge.
So läuft nun dieses Gebot darauf hinaus, daß man niemandem ein Leid antun
soll um irgend einer bösen Tat willen, auch wenn er es reichlich verdient. Denn
wo das Totschlagen verboten ist, da sind auch alle Ursachen verboten, aus denen
Totschlag entspringen kann. Manch einer tötet ja zwar nicht, aber flucht doch
und stößt eine Verwünschung aus, mit der der andere nicht mehr weit laufen
würde, wenn er es auf den Hals bekommen müßte. Weil nun dies jedermann von
Natur anhängt, und es allgemein Brauch ist, daß keiner vom andern sich etwas
gefallen lassen will, will Gott die Wurzel und den Ursprung davon wegräumen,
durch welche das Herz gegen den Nächsten erbittert wird. Er will uns daran
gewöhnen, dieses Gebot allzeit vor Augen zu haben und uns darin zu spiegeln,
Gottes Willen anzusehen und ihm das Unrecht, das wir leiden anzubefehlen und mit
herzlichem Vertrauen und unter Anrufung seines Namens. [Wir sollen] also jene in
ihrer Feindschaft toben und zürnen lassen; mögen sie tun, was sie können! So
lerne ein Mensch den Zorn stillen und ein geduldiges, sanftmütiges Herz in der
Brust tragen, besonders denen gegenüber, die ihm Ursache zum Zornigwerden geben,
d.h. gegenüber den Feinden.
Will man darum den einfachen [Menschen] so deutlich als möglich einprägen,
was "Nicht-Töten" heißt, so ist der zusammenfassende Inhalt [dieses Gebotes]
folgender: Erstens soll man niemand ein Leid antun, zunächst einmal nicht mit
der Hand oder Tat, sodann soll man auch die Zunge nicht dazu gebrauchen lassen,
um [zu solchem Tun] zu reden oder zu raten. Außerdem soll man keinerlei Mittel
oder Weise gebrauchen oder bewilligen, wodurch jemand beleidigt werden könnte;
und schließlich soll das Herz niemandem feind sein oder aus Zorn und Hass jemand
etwas Böses gönnen. So soll also Leib und Seele jedermann gegenüber ohne Schuld
bleiben, besonders aber dem gegenüber, der dir Böses wünscht oder zufügt. Denn
wenn du dem, der dir Gutes gönnt und tut, etwas Böses antust, so ist das nicht
menschlich, sondern teuflisch.
Zweitens verschuldet sich gleichfalls diesem Gebot gegenüber nicht bloß, wer
Böses tut, sondern auch, wer seinem Nächsten Gutes tun, [ihm] zuvorkommen,
[Schädliches] abwehren, [ihn] schützen und retten kann, daß ihm kein Leid noch
Schaden am Leib widerfahre - und tut es nicht. Wenn du also einen Nackten gehen
lässt und könntest ihn kleiden, so hast du ihn erfrieren lassen; siehst du
jemanden Hunger leiden und speisest ihn nicht, so lässt du ihn Hungers sterben.
Ebenso: siehst du jemanden zum Tode verurteilt oder in gleicher Not und rettest
ihn nicht, wenn du Mittel und Wege dazu wüßtest, so hast du ihn getötet; und es
wird dir nichts helfen, daß du vorwendest, du habest [zu seiner Lage] nicht
mitgeholfen und durch Rat oder Tat dazu beigetragen. Denn du hast ihm die Liebe
entzogen und ihn der Wohltat beraubt, durch die er am Leben geblieben wäre.
Darum heißt Gott auch mit Recht alle diejenigen Mörder, die in Nöten und
Gefahren für Leib und Leben nicht raten und helfen, und er wird ein gar
schreckliches Urteil über die ergehen lassen am Jüngsten Tage. Da wird er, wie
Christus selbst verkündigt, sprechen: "Ich bin hungrig und durstig gewesen, und
ihr habt mich nicht beherbergt; ich bin nackt gewesen, und ihr habt mich nicht
bekleidet; ich bin krank und gefangen gewesen, und ihr habt mich nicht besucht."
D.h.: ihr hättet mich und die Meinen wohl an Hunger, Durst und Frost sterben,
von wilden Tieren zerreißen, im Gefängnis verfaulen und in Nöten verderben
lassen. Was heißt das anders, als [solche Leute] Mörder und Bluthunde schelten?
Denn wenn du auch solches [Töten deines Nächsten] nicht mit der Tat begangen
hast, so hast du ihn doch im Unglück stecken und umkommen lassen, soviel an dir
gelegen ist. Und das ist geradeso, wie wenn ich sähe, daß jemand auf tiefem
Wasser fährt und sich [im Unwetter] abarbeitet, oder in ein Feuer gefallen ist,
und ich könnte ihm die Hand reichen, ihn herausreißen und retten, und täte es
doch nicht: Wie würde ich, auch vor aller Welt, anders dastehen als wie ein
Mörder und Bösewicht?
Darum ist die eigentliche Meinung Gottes [von diesem Gebot] die, daß wir
keinem Menschen Leid widerfahren lassen, sondern alles Gute und Liebe beweisen:
und zwar ist das, wie schon gesagt, besonders auf die gerichtet (gemünzt), die
unsere Feinde sind. Denn daß wir Freunden Gutes tun, ist nur eine gewöhnliche
heidnische Tugend, wie Christus Matth 5 sagt.
Da haben wir nun aufs neue Gottes Wort, mit dem er uns anreizen und antreiben
will zu rechten, edlen, hohen Werken, wie Sanftmut, Geduld und - zusammenfassend
gesagt - Liebe und Wohltat unseren Feinden gegenüber. Er will uns immerfort
daran erinnern, daß wir an das erste Gebot zurückdenken, daß er unser Gott
sei, d.h. uns helfen, beistehen und schützen wolle, auf daß er die Lust uns zu
rächen, dämpfe. Das sollte man nun betreiben und einbleuen; dann würden wir alle
Hände voll gute Werke zu tun haben. Aber das wäre nicht für die Mönche
gepredigt, dem geistlichen Stand zuviel Abbruch getan, der Heiligkeit der
Karthäuser zu nahe getreten und müßte wohl geradezu gute Werke verboten und
Klöster ausgeräumt heißen! Denn auf diese Weise würde ja der gewöhnliche
Christenstand ebensoviel, ja weit und viel mehr gelten, und jedermann würde
sehen, wie sie die Welt mit ihrem falschen, heuchlerischen Schein von Heiligkeit
äffen (zum besten haben) und irreführen! Sie haben ja dieses und andere Gebote
in den Wind geschlagen und für unnötig gehalten, als wären es nicht Gebote,
sondern bloße Ratschläge. Und daneben haben sie unverschämt ihren Heuchelstand
mit seinen Werken als das vollkommenste Leben gerühmt und ausgeschrieen, um ja
ein gutes, sanftes Leben zu führen ohne Kreuz und Geduld. Darum sind sie auch in
die Klöster gelaufen, damit sie von niemand etwas zu leiden noch jemand etwas
Gutes zu tun brauchten. Du aber wisse, daß dies die rechten, heiligen und
göttlichen Werke sind, über welche [Gott] sich mit allen Engeln freut; diesen
Werken gegenüber ist alle menschliche Heiligkeit Stank und Unflat, und überdies
verdient sie nichts anderes als Zorn und Verdammnis.
Das sechste Gebot
Du sollst nicht ehebrechen
Diese [folgenden] Gesetze sind nun an und für sich leicht zu verstehen aus
dem vorhergehenden; denn sie laufen alle darauf hinaus, daß man sich hüten
solle vor aller Art von Schädigung des Nächsten. Sie sind aber geordnet
zusammengestellt: zuerst wird [im fünften Gebot] auf seine eigene Person [Bezug
genommen]; sodann wird fortgefahren zu der nächststehenden Person bzw. dem Gut,
das als nächstes nach seinem eigenen Leibe kommt, nämlich zu seinem Ehegemahl.
Das ist ja mit ihm ein Fleisch und Blut, so daß man ihm an keinem andern
Gut einen höheren Schaden antun kann.
Darum kommt es hier auch deutlich zum Ausdruck, daß man [dem Nächsten] keine
Schande zufügen soll an seiner Ehefrau. Dem eigentlichen Wortlaut nach geht [das
Gebot nur] auf den Ehebruch. Im jüdischen Volk war es nämlich so geordnet und
geboten, daß jedermann sich im Ehestand befinden mußte. Darum wurde die Jugend
auch möglichst frühzeitig verheiratet. Der jungfräuliche Stand galt somit
nichts; auch wurde nicht, wie es jetzt der Fall ist, ein öffentliches Huren- und
Bubenleben gestattet. Darum ist der Ehebruch die verbreitetste Unkeuschheit bei
ihnen gewesen.
Weil aber bei uns ein solch schändliches Gemenge und ein solcher Bodensatz
aller Untugend und Büberei ist, ist dieses Gebot auch gegen alle Unkeuschheit
gerichtet, wie man sie nennen mag. Und zwar ist nicht bloß äußerliches Tun
verboten, sondern auch alles, was Ursache, Anreizung und Mittel dazu ist. So
soll also Herz, Mund und der ganze Leib keusch sein und der Unkeuschheit keinen
Raum, keine Hilfe und keinen Rat geben. Und nicht allein das, sondern man soll
auch abwehren, schützen und retten, wo solche Gefahr und Not ist, und
andererseits helfen und raten, daß der Nächste in Ehren bleibe. Denn wenn du
das unterläßt, wo du es doch verhindern könntest, oder wenn du daran
vorbeisiehst, als ginge es dich nichts an, so bist du in gleichen Maße schuldig
als der Täter selbst. Demnach ist, um es kurz zusammenzufassen, soviel
gefordert, daß ein jeder sowohl für sich selbst keusch lebe als auch dem
Nächsten dazu helfe; Gott will also durch dieses Gebot einen jeden Ehegemahl mit
Schranken umgeben und ihn bewahren, daß sich niemand an ihm vergreife.
Weil aber dieses Gebot so eben auf den Ehestand gerichtet ist, und Ursache
ist, davon zu reden, so sollst du wohl erfassen und dir merken: Erstens wie Gott
diesen Stand so herrlich ehrt und preist, indem er ihn durch sein Gebot sowohl
bestätigt als bewahrt. Bestätigt hat er ihn oben im vierten Gebot: "Du sollst
Vater und Mutter ehren." Hier aber hat er ihn, wie gesagt, verwahrt und
beschützt. Darum will er ihn auch von uns als einen göttlichen, seligen Stand
geehrt, gehalten und geführt haben; hat er ihn doch zuerst vor allen anderen
eingesetzt und deshalb, wie vor Augen, Mann und Weib verschieden geschaffen,
nicht zur Büberei, sondern damit sie sich zusammenhalten, fruchtbar seien und
Kinder zeugen, ernähren und aufziehen zu Gottes Ehre. Darum hat ihn auch Gott
vor allen Ständen aufs reichlichste gesegnet und dazu alles, was in der Welt
ist, ihm zugewandt und verliehen, damit dieser Stand ja gewiß wohl und
reichlich versorgt würde. So ist es kein Scherz und Vorwitz, sondern ein
treffliches Ding und ein göttlicher Ernst um das eheliche Leben. Denn es liegt
[Gott] alles daran, daß man Leute erziehe, die der Welt dienen und helfen zu
Gottes Erkenntnis, seligem Leben und allen Tugenden, um wider die Bosheit und
den Teufel zu streiten.
Darum habe ich immer gelehrt, man solle diesen Stand nicht verachten noch
schimpflich beurteilen, wie es die blinde Welt und unsere falschen Geistlichen
tun, sondern man solle ihn einschätzen nach Gottes Wort, durch das er geschmückt
und geheiligt ist. Er ist nicht bloß anderen Ständen gleichgesetzt, sondern geht
ihnen allen vor und übertrifft sie, mag es sich um Kaiser, Fürsten, Bischöfe und
wer sie sein wollen, handeln. Denn was geistliche wie weltliche Stände sind, -
beide müssen sich demütigen und sich alle in diesem Stande finden lassen, wie
wir hören werden. Darum ist es nicht ein besonderer, sonder der allgemeinste,
edelste Stand, der durch den ganzen Christenstand, ja durch alle Welt geht und
reicht.
Zweitens sollst du auch wissen, daß es nicht allein ein ehrenvoller, sondern
auch ein notwendiger Stand ist. Es ist ernstlich von Gott geboten, daß sich
insgemein durch alle Stände hindurch Männer und Frauen darin finden lassen, die
dazu geschaffen sind. Einige jedoch, wenn auch nur wenige, sind davon
ausgenommen, die Gott eigens davon ausgenommen hat, weil sie zum Ehestand nicht
tauglich sind oder weil er sie durch eine hohe, übernatürlich Gabe dazu
freigemacht hat, daß sie außerhalb des [Ehe]standes Keuschheit bewahren können.
Denn wo es nach der Natur geht, wie sie von Gott eingepflanzt ist, ist es nicht
möglich, außerhalb der Ehe keusch zu bleiben. Denn Fleisch und Blut bleibt
Fleisch und Blut, und die natürliche Neigung und Reizung geht unverwehrt und
ungehindert [ihren Gang] wie jedermann sieht und fühlt. Damit es desto leichter
sei Unkeuschheit einigermaßen zu vermeiden, hat Gott deshalb auch den Ehestand
befohlen, daß ein jeder sein zugemessenes Teil habe und sich daran genügen
lasse. Freilich gehört noch Gottes Gnade dazu, daß das Herz auch keusch sei.
Daraus siehst du, wie unser päpstlicher Haufe, Priester, Mönche und Nonnen
der Ordnung und dem Gebot [Gottes] widerstreben. Sie verachten und verbieten den
Ehestand und vermessen sich und geloben, ewige Keuschheit zu halten; dazu
betrügen sie die einfachen Menschen mit lügenhaften Worten und [täuschendem]
Schein. Denn niemand hat so wenig Liebe und Lust zur Keuschheit als eben die,
die den Ehestand aus großer Heiligkeit meiden und entweder offenkundig und
unverschämt in Hurerei liegen oder es heimlich noch ärger treiben, daß man es
nicht zu sagen wagt. Diese Erfahrung hat man leider allzuviel gemacht. Und kurz,
auch wenn sie sich der Tat enthalten, so stecken sie doch im Herzen voll
unkeuscher Gedanken und böser Lust, daß da ein ewiges Brennen und heimliches
Leiden ist, das man im ehelichen Leben umgehen kann. Darum ist durch dieses
Gebot jedes Gelübde, ohne Ehe keusch zu bleiben, verdammt und aufgehoben; ja es
ist sogar allen armen, gefangenen Gewissen, die durch ihre klösterlichen Gelübde
betrogen sind, geboten, daß sie selbst wenn sonst das Klosterleben gottgefällig
wäre, so steht es doch nicht in ihrer Kraft, Keuschheit zu bewahren, und wenn
sie [im Kloster] bleiben, müssen sie nur mehr und weiter gegen dieses Gebot
sündigen.
Solches sage ich nun darum, daß man das junge Volk dazu anhalte, daß sie
Lust zum Ehestand gewinnen und wissen, daß es ein seliger Stand ist und Gott
wohlgefällt. Denn damit könnte man es mit der Zeit wieder dahin bringen, daß er
wieder zu seiner Ehre käme; das unflätige, wüste, unordentliche Wesen würde
abnehmen, das jetzt allenthalben in der Welt sich breit macht mit öffentlicher
Hurerei und anderen schändlichen Lastern, die aus der Verachtung des ehelichen
Lebens gefolgt sind. Darum sind es hier auch die Eltern und die Obrigkeit
schuldig, auf die Jugend zu sehen: man soll sie zur Zucht und Ehrbarkeit
aufziehen, und, wenn sie erwachsen sind, mit Gott in Ehren verheiraten. Dazu
würde Gott seinen Segen und Gnade geben, daß man Lust und Freude daran hätte.
Auf Grund von dem allem sei nun abschließend gesagt, daß dieses Gebot nicht
allein fordert, daß jedermann mit Werken, Worten und Gedanken keusch lebe in
seinem Stande, d.h. in den allermeisten Fällen im ehelichen Stande, sondern
auch, daß er sein Gemahl als von Gott gegeben lieb und wert halte. Denn wo
eheliche Keuschheit gehalten werden soll, da müssen Mann und Frau vor allen
Dingen in Liebe und Eintracht beieinander wohnen, daß eines den andern von
Herzen und mit ganzer Treue liebe. Denn das ist eines der wichtigsten Stücke,
das Liebe und Lust zur Keuschheit macht; wo das in Übung ist, da wird wohl von
selbst auch Keuschheit daraus folgen ohne alles Gebieten. Deshalb ermahnt auch
der hl. Paulus die Eheleute so fleißig, daß eins das andere liebe und ehre. Da
hast du nun abermals ein köstliches, ja viele und große, gute Werke, welche du
fröhlich rühmen kannst allen geistlichen Ständen gegenüber, die ohne Gottes Wort
und Gebot erwählt wurden.
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