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1. Einleitung
1. Einleitung„Die Evangelische Kirche hat die Beichte
abgeschafft.“ Diese falscher Satz ist mir wiederholt begegnet. Freilich: So
falsch ist er allerdings doch nicht, wie wir später noch sehen werden. Zuvor müssen wir uns jedoch darüber
verständigen, worüber wir reden, wenn wir hier das Wort „Beichte“ gebrauchen.
„Katholiken müssen zur Beichte gehen. Evangelische nicht.“ Stimmt das? Der katholische Christ wird in der Tat durch die Kirche angehalten, wenigstens einmal im Jahr in der österlichen Zeit das Sakrament der Versöhnung und die Eucharistie zu empfangen. Im Jahre 1215 legte das IV. Allgemeine Konzil im Lateran in Rom fest:
Diese Bestimmung, wenigstens einmal im Jahr alle Sünden vor einem Priester zu bekennen, anderenfalls man exkommuniziert sei, stieß später auf die Kritik der Reformatoren. Ein entsprechendes Gebot gab und gibt es darum für Protestanten nicht. Ehe nun aber jemand erleichtert seufzt: „Dem Luther sei Dank!“ nehme er zur Kenntnis: die Einzelbeichte wurde durch die lutherische Reformation nicht abgeschafft. Einige Worte Luthers sollen darum zitiert werden. Sie stehen im Großen Katechismus, der immerhin eine offizielle lutherische Bekenntnisschrift und darum auch offizielle protestantische Lehre ist.
Luther findet hier harte Worte für Beichtverächter, die ihre Freiheit mißverstanden und mißbrauchten. Auf Luther kann sich jedenfalls nicht berufen, wer die sakramentale Beichte verachtet. Mit solchen Beichtverächtern hatte er sein Leben lang Probleme, wie ein kurzer Auszug aus seinen „Tischreden“ zeigt:
Fazit: 2. Die biblische Begründung der sakramentalen BeichteWir haben natürlich zuerst nicht auf den Reformator Luther zu hören, sondern auf das Zeugnis der Hl. Schrift. Gibt es dort Aussagen zur Beichte? Zu dem Gichtbrüchigen, den seine Freunde durch das Dach eines Hauses einen Weg zu Jesus bahnten, sagte der Herr[5]:
Die dabeisitzenden jüdischen Theologen empörten sich:
Das ist recht gefragt! Ich will die empörten jüdischen Theologen hier einmal in Schutz nehmen. Daß sie Jesus Gotteslästerung vorwarfen, ist sicher nicht zu billigen. Aber sie hatten erfaßt, was Sündenvergebung bedeutet. Als Dinge, die allein Gott möglich waren galten bei den Schriftgelehrten: die Schöpfung aus dem Nichts, die Auferweckung Toter, die Reinigung Aussätziger und die Vergebung der Sünden. Bemerkenswert erscheint mir, daß es zwischen all diesen Dingen eine gewisse Korrespondenz gibt. Im Licht der Hl. Schrift gesehen ist Sündenvergebung ein schöpferischer Akt Gottes, nicht nur ein „Schwamm drüber“: Vergebung der Sünden ist die Auferweckung eines Toten, ist die Reinigung eines Aussätzigen, ist Schöpfung aus dem Nichts. Darum gab es, gibt es und wird es geben nur eine einzige mögliche Antwort: Wer kann Sünden vergeben als Gott allein? Niemand! Nicht einer! Nun gab es das aber schon im Alten Bund, daß ein Mensch einen Toten[6] auferweckte und daß ein Mensch einen Aussätzigen reinigte[7]. Es findet sich auch im Alten Bund, daß ein Mensch dem anderen die Vergebung Gottes zuspricht[8]. Wir sehen: Dinge, die eigentlich ausschließlich Gott tun kann, tut er auch durch Menschen. Totenerweckung und Aussätzigenreinigung ließ Gott im AT als Wunder selten und vereinzelt zu. Sündenvergebung aber gab es im Alten Bund geordnet und regelmäßig. Viele Opfervorschriften beginnen: „Wenn jemand sündigt, daß er ... (dies oder jenes tut oder nicht tut), dann soll er ...“ Wer starb oder Aussatz bekam, wurde nicht „regel-mäßig“ auferweckt bzw. geheilt. Wer aber sündigte konnte gemäß gewisser Regeln Vergebung erlangen. Auch im Neuen Bund sollte es natürlich das geben, daß jemand, der sündigt, Vergebung seiner Sünden erlangen kann. Wiederum gemäß gewisser Regeln und durch Menschen. Die Vollmacht, „Sünden zu vergeben auf Erden“[9] hatte Gott dem Menschensohn verliehen, den er gesandt hatte. Der Menschensohn ist der Mensch schlechthin, der zweite Adam, quasi der Stammvater der erneuerten Menschheit. Daß Jesus Menschensohn und Gottessohn ist, wurde damals und wird heute und in Zukunft nicht erkannt und bestritten. Nichtsdestoweniger ist es so. Dieser Mensch hat Vollmacht, „Sünden zu vergeben auf Erden“[10]. Als der von Gott gesandte Bevollmächtigte sandte er wiederum Seine Gesandten aus und stattete sie am Abend des Auferstehungstages mit der Vollmacht zur Sündenvergebung aus:
In Seiner göttlichen Autorität gibt Jesus
den von Ihn Gesandten ausdrücklich die richterliche Vollmacht, in Gottes
Namen und an Seiner Statt Sünden zu vergeben oder in Gottes Namen und an
Seiner Statt Sündenvergebung zu verweigern. Bedenkt man das, was in der Privatbeichte vor einem bevollmächtigten Hirten geschieht, kann man nicht genug staunen. Der Wortlaut der am Abend des Auferstehungstages erteilten Vollmacht ist eindeutig: Wenn ihr jemandem die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben, wenn ihr sie jemandem behaltet, sind sie ihm behalten. Wenn also jemandem in der Beichte die Sünden durch einen bevollmächtigten Hirten vergeben sind, dann sind sie wirklich und wahrhaftig vor Gott vergeben und verschwunden. Wenn man bedenkt, wie grauenhaft schlimm Sünde ist – eine Wahrheit, die uns ebenso zu selten bewußt wird wie die der Gedanke an deren entsetzlichen Folgen in der Ewigkeit – dann kann man die Größe dieser Gnade nur von ferne erahnen. Luther als ein Mann, der etwas von diesen Dingen verstand, schrieb darum:
3. Wer hat die Vollmacht, Beichte zu hören?Immer wieder war bisher von „bevollmächtigen Hirten“ die Rede. Der oft mißverstandene Begriff „Vollmacht“ taucht hier auf. Um diese Vortrag nicht über Gebühr auszudehnen, muß ein Hinweis genügen. „Vollmacht“ meint nicht eine innere Fähigkeit, etwas gut zu tun, sondern die äußerliche Befugnis, etwas überhaupt tun zu dürfen. „Vollmacht“ heißt nicht, daß man etwas „voller Macht“ tut, sondern, daß man etwas ausdrücklich erlaubterweise im Namen eines anderen tun darf. Vollmacht wird immer verliehen und berechtigt jemanden, in jemand anderes Namen und an seiner Stelle zu handeln. Die Frage ist nach Vollmacht ist also nicht: „Kann der das?“, sondern „Darf der das?“ Nicht „Potenz“ (Leistungsfähigkeit, Kraft Stärke), sondern „Lizenz“ (Ermächtigung, Befugnis) ist mit Vollmacht gemeint. In der Regel wird im Protestantismus die Notwendigkeit einer besonderen Bevollmächtigung zum Hören der Beichte bestritten. Davon, daß die Beichtvollmacht nicht der Gesamtgemeinde gegeben ist, sondern nur einigen ihrer Glieder, will man nichts wissen. Werner de Boor formuliert in der Wuppertaler Studienbibel den üblichen protestantischen Einwand dagegen in einer Auslegung zu Joh 20,19ff. so:
Was ist dazu zu sagen? 1. Zwar wird in den Evangelien der
Zwölferkreis oft zusammenfassend „Jünger“ genannt, jedoch war der Kreis der
Jünger Jesu selbstverständlich viel größer als der Kreis der Zwölf - sowohl vor
als auch nach der Kreuzigung[15].
Wohl war jeder Apostel ein Jünger, doch nicht jeder Jünger ein Apostel. Der Grundgedanke der Demokratie, daß alle Gewalt vom Volke ausgeht, ist in der Kirche schlichtweg falsch[17] und absolut tödlich[18]. Schon in der Urgemeinde herrschte darum die Auffassung, daß Vollmacht und Amt nicht von unten, aus der Gemeinde, wachsen und gegeben werden, sondern daß diese Dinge von oben, von Gott, gegeben werden. Träger dieses Amtes, das als christusvertretender Dienst ausgeübt wird in der Verantwortung vor dem Herrn der Kirche und in Seinem Namen sind erst die Zwölf, dann diese zusammen mit ihren Mitarbeitern. Die Vollmacht Jesu, die zunächst auf Seine Apostel übergegangen ist, wird von ihnen auf ihre Mitarbeiter übertragen[19] und von diesen wiederum auf andere[20]. Zu den Vollmachten, die so in der Kirche Gottes weitergegeben wurden, gehört auch die Beichtvollmacht. Denn die Vollmacht, an Gottes Statt Sünden zu vergeben bzw. Sündenvergebung zu verweigern, muß erhalten bleiben, solange die Kirche auf Erden ist. Das ergibt sich aus der Natur der Sache. Es ist undenkbar, daß diese Befugnis, die Jesus Christus am Abend des Auferstehungstages seinen Aposteln gab, mit dem Tode der Apostel in der Kirche erloschen sein sollte. Christus, der wegen unserer Sünden gestorben ist, will gewiß, daß in Seiner Kirche jedem, der sich von der Sünde abwendet, die Pforten der Vergebung immer offen stehen. Darum hat er in seiner Kirche „die
Schlüssel zu Binden und zu Lösen“[21]
gegeben. Bei den jüdischen Schriftgelehrten brauchte man diesen Begriff im Sinne
von „Verbieten und Erlauben“. Wer also die Beichtvollmacht als allen Christen verliehen behauptet bedenkt nicht, daß schon Jesus sie nicht allen seinen Jüngern gab. Der vergißt auch, daß Sündenvergebung eigentlich ein Werk Gottes ist, das zu tun man sich nicht so einfach anmaßen darf. Es bedarf dazu einer ausdrücklichen Bevollmächtigung (Befugnis). 2. Was ist nun von dem Einwand de Boors zu halten, mit dem er Beichtvollmacht und Liebesgebot in eins setzt: „Will man das viel deutlicher nur an die "Zwölf" gerichtete Liebesgebot in den Abschiedsreden auch zu einem Privileg geweihter Priester oder bestimmter Amtsträger machen?“ Bei der „Sündenvergebung und –behaltung“ handelt es sich um eine Bevollmächtigung, die dazu absolut notwendig ist. Denn niemand kann Sünden vergeben als Gott allein! Kein Mensch kann sich von sich aus anmaßen, zu sagen: "Dir sind deine Sünden vergeben!“ Dazu bedarf er einer ausdrücklichen Vollmacht. Beim Liebesgebot handelt es sich dagegen aber nicht um eine erteilte Vollmacht, sondern um ein Gebot. Man muß diesen Unterschied zwischen Bevollmächtigung und Befehl schon beachten. Wer eine Erlaubnis nicht von einer Anweisung unterscheiden kann, wird nicht nur hier irren. Seelsorgerliche Erfahrung bestätigt übrigens den biblischen Befund, daß es eine amtliche Beichtvollmacht gibt, die gesondert erteilt wird. Es wird vor einer sogenannten „Laienbeichte“ gewarnt, weil Beichte zu hören gefährlich ist. Wer zur Beichte geht befürchtet oft, daß er nun vom Beichtvater verachtet wird. Das Gegenteil ist häufig der Fall: Der Hörer der Beichte verachtet nicht den Beichtenden, sondern steht in der Versuchung, sich mit ihm zu solidarisieren und die gebeichteten Sünden als nicht so schlimm anzusehen. Anstatt ihm in Gottes Namen zu vergeben oder die Vergebung zu verweigern, "entschuldigt" er den Sünder. Infolge dessen kann er schnell in Versuchung kommen, die gebeichteten Sünden selbst zu tun. Jede Beichte ist zudem eine schwere Anfechtung für denjenigen, dem schwere Sünden bekannt wird. Der im Amt Stehende ist vor der größten Gefahr geschützt, der Laie ist es nicht. Diese seelsorgerliche Erfahrung ergänzt
aber nur den biblischen Befund, der an und für sich gesehen schon zwingend genug
ist:
4. Andere Möglichkeiten, Vergebung zu erhaltenDie Privatbeichte ist nicht die einzige Möglichkeit, Sündenvergebung zu erhalten, aber – wie wir noch sehen werden – die sicherste. 4.1. TaufeUnbestreitbar werden durch die Taufe Sünden vergeben:
Es ist die beständige Lehre der christlichen Kirche, daß die Wassertaufe die Reinigung von allen Sünden und die Wiedergeburt im Heiligen Geist[24] bewirkt. Der Kirchenvater Ambrosius von Mailand[25] „sagte von den zwei Arten der Umkehr, in der Kirche gebe es ‚das Wasser und die Tränen: das Wasser der Taufe und die Tränen der Buße“[26] 4.2. GebetSelbstverständlich kann man auch Vergebung erlangen, wenn man Gott quasi „direkt“ darum bittet. Jedes Vaterunser zum Beispiel enthält eine solche Bitte: Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern. Freilich gibt es dort eine unerläßliche Voraussetzung: man bekommt durch diese Bitte in dem Maße seine Sünden vergeben, in dem man selbst vergibt. Wenn man also nicht völlig vergibt, bittet man Gott darum, daß er einem selbst auch nicht völlig vergeben soll. So kann man sich selbst geradewegs in die Hölle beten. Die Verknüpfung von Gebetsbitte um Vergebung und eigener Vergebungsbereitschaft ist kein einmaliger Ausrutscher Jesu. Nur einige andere seine Worte seien hier genannt. Ein volles, gedrücktes, gerütteltes und überfließendes Maß wird man in euren Schoß geben; denn eben mit dem Maß, mit dem ihr meßt, wird man euch wieder messen.[27]
Erinnert sei auch an das Gleichnis vom Schalksknecht, der nicht vergeben wollte und deswegen die bereits erhaltene Vergebung seiner Schuld wieder verlor:
Wer weiß aber schon, ob er tatsächlich von Herzen und allen seinen Schuldigern alles vergeben hat. Oft versucht man es und stellt dann später erschreckt fest: Ich habe diesem und jenem die Schuld nicht vergeben, sondern nur zu den Akten gelegt – auf Wiedervorlage. Bei irgendeiner Gelegenheit kochte alles in mir wieder hoch. Wenn das aber so ist, steht zu befürchten, daß mir Gott auch nicht wirklich vergeben hat, sondern meine Sünden bis zur Wiedervorlage im Jüngsten Gericht ins Archiv legte. Man sollte also vorsichtig sein mit der Annahme, daß Gott einem allein auf Grund seiner Gebete um Vergebung von aller Schuld befreit. Einen weiteren Grund, sich hier vor zu großer Sicherheit zu hüten, nennt Bonhoeffer in seinem sehr lesenswerten Büchlein „Gemeinsames Leben“:
Wenn, wie im Kleinen Katechismus gelehrt wird, die Beichte aus zwei Stücken besteht: dem Sündenbekenntnis und dem persönlichen Empfang der Vergebung, kann die Herzensbeichte auch deswegen nur eingeschränkt als Beichte gesehen werden, weil in ihr wohl das Bekenntnis der Sünden geschieht, aber der persönliche Zuspruch der Vergebung fehlt. Zwar kann man nach dem gebeten Sündenbekenntnis verschiedene Bibelstellen lesen und sie auf sich beziehen. Aber auch hier ist die Gefahr der Selbsttäuschung, von der Bonhoeffer schrieb, nicht gebannt. Mancher horcht nach der Herzensbeichte ängstlich in sich hinein, ob er denn auch Herzensfrieden verspürt. Wer aber seinen Glauben auf seine Gefühle baut, baut immer auf Sand - mit den bekannten Folgen. Wir fassen also zusammen: Vergebung der Sünden ist auch möglich durch das Gebet. Der sicherere Weg freilich ist die Beichte. Sie schafft eindeutige Klarheit. Wer seine Sünden bekannt hat, ohne eine schwere Sünde absichtlich zu verschweigen oder diplomatisch nur ganz kurz anzudeuten, dem sind alle Sünden vergeben. Ist diese Absolution aus irgendeinem Grund leichtfertig erteilt worden, ist das nicht das Problem des Beichtkindes, sondern des Beichtvaters.[31] In den Zusammenhang der „Herzensbeichte“ gehört auch die vorhin kurz angerissene Frage nach seelsorgerlichen Notfällen. Was ist in einer Zwangslage zu tun, wenn absolut kein Träger des kirchlichen Amtes erreichbar ist, aber jemand dringend beichten möchte? Einen solchen möglichen Notfall erwähnt Philipp Melanchthon in der lutherischen Bekenntnisschrift „Über die Gewalt und den Primat des Papstes“. Er weist auf eine Geschichte hin, die der Kirchenvater Augustin berichtet. „[Er spricht] von zwei Christen in einem Schiff, von denen der eine den andern, der Taufanwärter war, getauft hat, und der Getaufte hierauf den andern [von seinen Sünden] absolviert hat.“[32] Ein Christ, dem die ausdrückliche Vollmacht, im Namen Gottes Sünden zu vergeben oder zu behalten nicht gegeben ist, kann zwar Sünden nicht im Namen Gottes vergeben, aber er kann Zeuge sein. Der Beichtende legt Gott in Gegenwart eines Zeugen seine Beichte ab und kann sich mit der Vergebung trösten, von der der Psalm 32 spricht:
Diese Form der Beichte, bei der der Seelsorger sich lediglich als Zeuge einer vor Gott abgelegten Beichte versteht, dürfte der Regelfall im Protestantismus sein. Der Wortlaut der durch Jesus erteilten Beichtvollmacht geht über das Zeuge-sein allerdings hinaus. Hier steht jemand an Christi Statt. Da ist der Beichtiger nicht allein Zeuge eines Geschehens, das sich nur zwischen dem Beichtenden und Gott abspielt. 4.3. Die Allgemeine (= Gemeinsame) BeichteWie ist das nun mit der sogenannten Allgemeinen oder Gemeinsamen Beichte, also dem allgemein gehaltenen Sündenbekenntnis der versammelten Gemeinde und der ihr durch den Pastor zugesprochenen Absolution? Auch hier soll nicht bestritten werden, daß man auf diese Art und Weise Vergebung der Sünden empfangen kann. Ob es freilich richtig ist, die Absolution solcherart quasi zum Spottpreis zu verramschen, sei hier dahingestellt. Auf eine große Gefahr weist wieder Dietrich Bonhoeffer hin:
Ist die „Allgemeine Beichte“ nicht oft nur eine Möglichkeit, die als demütigend empfundene Privatbeichte bequem zu umgehen? Mehr ist über die „Demütigung“ des Sünders in der sakramentalen Beichte, die Notwendigkeit dieser „Demütigung“ und den Segen der daraus fließt unter dem Punkt 6. zu lesen. Selbst die "schlechteste" Privatbeichte ist immer noch besser als die "beste" Allgemeine Beichte! 4.4. KommunionKann man der unbequemen Beichte vielleicht dadurch entgehen, daß man zur Eucharistie geht und sich dort alle Sünden vergeben läßt? Wie steht es um die Sündenvergebung durch die Kommunion? Die Kommunion vereinigt uns ja mit Christus. Das kann sie aber nicht, ohne uns gleichzeitig von der Sünde zu trennen. Was sagt die Bibel? Da hören wir zuerst das Wort, das Jesus zur Einsetzung des Kelches sprach:
Der Sinn scheint klar zu sein: die Apostel sollen aus dem Kelch trinken zur Vergebung ihrer Sünden. Einschränkungen scheint es hier nicht zu geben. Eine ähnlich uneingeschränkte Aussage finden wir in der Brotrede Jesu:
Auch hier ist es eigentlich klar: Wer das ewige Leben hat, der hat es nur, weil ihm vorher vergeben wurde. Gibt es Bedingungen? Im Zusammenhang seine Brotrede sagt Jesus:
Dem „Hungern und Dürsten“ entspricht das „Kommen und Glauben“. Hier ist sicher kein „vollkommener“ Glauben gemeint, der keine Anfechtung kennt, sondern der Gehorsam, der einen Christen aufgrund des Befehles Jesu Christi an der Eucharistie teilnehmen läßt. Sehr nachdrücklich wird auch im folgenden Wort Jesu der begleitende Glauben gefordert, der durch den Geist gewirkt wird und auf dem Wort Gottes gründet[38]:
Ein rein mechanisches Essen des Leibes und
Blutes Christi allein nützen nichts, sondern schaden eher. Weiterhin scheint als Voraussetzung zur Sündenvergebung durch die Kommunion die Bußbereitschaft vorausgesetzt:
Johannes schreibt in der Gegenwartsform vom Blut Christi. In der Gegenwart haben wir das Blut Christi real nur sakramental im Kelch auf dem Altar[41]. Dieses Blut reinigt uns, „wenn wir unsre Sünden bekennen“. Demnach ist zur Vergebung durch die Kommunion ein ehrliches Sündenbekenntnis nötig. Auch bei der Kommunion ist Vergebungsbereitschaft vonnöten.
Eine Weissagung des alttestamentlichen Propheten Maleachi (Mal 1,10f.) über das reine Opfer der Heiden wurde schon von der Alten Kirche mit einer solchen Übereinstimmung auf die Eucharistie bezogen, die man nur erklären kann, wenn diese Deutung aus der apostolischen Überlieferung stammt. Bei Maleachi ist übrigens nicht von einem blutigen Opfer, sondern von Speis- bzw. Räucheropfern die Rede. Redet also Jesus in Mt 5,23f. von der Eucharistie – und ich zweifle nicht daran – dann darf ich (soviel an mir liegt) nicht unversöhnt zur Kommunion gehen. Gehe ich trotzdem, habe ich dann dennoch keine Vergebung durch das Sakrament. Insgesamt gesehen kann man also durch die Kommunion Vergebung der Sünden erhalten, wenn man glaubt, kommt und bereut. In der Alten Kirche durfte - und in zeitgenössischen Kirchen, die noch groß von der Eucharistie denken, darf - man nicht an der Kommunion teilnehmen, wenn man schwere Sünden begangen hatte. Die „zweite [Rettungs]planke nach dem Schiffbruch des Verlusts der Gnade“[43] war nicht die Kommunion, sondern die Beichte. Mit schwerer Sünde beladen an der Kommunion teilzunehmen galt damals und heute noch in der katholischen und den orthodoxen Kirchen als schweres Sakrileg. Erinnert sei hier kurz an das Gleichnis Jesu von der königlichen Hochzeit.[44] Das Gewand ist hier wie oft in der Hl. Schrift ein Bild für Gerechtigkeit. Jener Gast, der kein hochzeitliches Gewand[45] anhatte, wurde streng bestraft. Er beleidigte den, vor dem er erschien, weil er dachte: „Ich bin in Ordnung genauso, wie ich bin und komme und kann bleiben, wie ich bin. Der König soll froh sein, wenn ich überhaupt erscheine." Fazit: Auch durch Gebet, Allgemeine Beichte und die Kommunion kann man Sündenvergebung erlangen. Die radikalste und vollkommenste Medizin aber ist die sakramentale Beichte. Wäre sie überflüssig und zur Sündenvergebung Gebet, allgemeines Sündenbekenntnis oder Kommunion ausreichend, dann hätte Jesus die Beichtvollmacht nicht gegeben. 5. Die Abschaffung der Privatbeichte durch Pietismus und AufklärungEs gehört zu den betrüblichen Erscheinungen der protestantischen Kirchengeschichte, daß die Privatbeichte, die Luther noch hoch schätzte, vom Pietismus im Verein mit der Aufklärung im Luthertum der Garaus gemacht wurde. Gelegentlich werden Aufklärung und Pietismus als Widersacher gesehen. Das stimmt jedoch nicht. Der Pietismus entstand nicht ohne Grund zur selben Zeit wie die Aufklärung. Aufklärung und Pietismus sind Geschwister. Gelegentlich feindliche Geschwister, aber dennoch einem Schoße entsprungen. Beider Mutterschoß heißt: Individualismus. Bei der Aufklärung steht im Mittelpunkt das denkende Individuum, beim Pietismus das gläubige Individuum. Denken und Glauben sind ja an sich nicht verkehrt. Schlimm wurde es erst, als die Aufklärer an ihre Vernunft und die Pietisten an ihren Glauben glaubten. Aufklärung heißt nach Immanuel Kant, sich seines Verstandes ohne Leitung durch andere zu bedienen. Pietismus heißt, sich seines Glaubens ohne Leitung durch andere zu bedienen. Ein Beichtvater wäre eine solche Leitung und wurde darum oft von Pietismus und Aufklärung abgelehnt. Nun soll aber auch nicht verschwiegen werden, daß manche Kritik des Pietismus am Beichtwesen seiner Zeit durchaus berechtigt war. Man zählte Sünden nicht mehr einzeln auf, sondern sagte nur noch eine Formel auf, wohl analog zur „Allgemeinen Beichte“. Dieser gewohnheitsmäßige Mißbrauch, bei dem dennoch jedem bedingungslos die Absolution erteilt wurde, rief Protest hervor. Das Schlagwort „Beichtstuhl, Höllenpfuhl“ kam auf. Spener (gest. 1705), der Vater des Pietismus, beklagte zu Recht, daß von den Schlüsseln immer nur der Löseschlüssel benutzt würde. Die Kritik des Pietismus bereitete den Boden für die Kritik der Aufklärung an der Privatbeichte, durch die diese dann abgeschafft wurde. Der Braunschweiger Pfarrer Diestelmann resümiert am Schluß seiner sehr empfehlenswerten „Studien zur Auflösung der Privatbeichte in der lutherischen Kirche“[46]:
Wer mehr zu diesen Vorgängen erfahren möchte, sei auf Pfr. Diestelmanns Buch hingewiesen. 6. Schluß6.1. „Schwierigkeiten“Es sei noch einmal Bonhoeffer zitiert:
6.2. Gefahren und ChancenEs muß auf eine Gefahr hingewiesen werden: In der Beichte gibt es zwei Möglichkeiten, durch die die in ihr erhaltene Vergebung wenigstens teilweise ungültig sein kann. 1. wenn die Beichte absichtlich unvollständig war und 2., wenn man aus unnötiger Scham nur „kleine“ und „mittlere“ Sünden beichtet, die „ganz große“ Sünde aber nur diplomatisch andeutet. Beide Fälle sind gar nicht so selten. Wer wissentlich und willentlich in der Beichte etwas zurückhält, legt der göttlichen Güte nichts zur Vergebung vor. Der Kirchenvater Hieronymus sagt:
Erhält man eine unvollkommene Absolution, weil man wissentlich und willentlich nur unvollkommen bekannt hat, wird man mit zwiespältigen Gefühlen und vielleicht mit einem schlechten Gewissen aus der Beichte herauskommen und wohl nicht wieder beichten, weil man keine guten Erfahrungen gemacht hat. Die Schlichen und Listen des Teufels, uns von der vollkommenen Vergebung durch die Beichte fernzuhalten sind mannigfaltig. Ein guter Seelsorger wird darum gegebenenfalls gezielt nachfragen. Nicht, weil er neugierig ist, sondern um dem Beichtkind zu helfen wie ein Arzt, der auch gewissenhaft fragen muß. Wenn man als Beichtender die „Prozedur“ überstanden hat und dafür die volle Vergebung alle seiner Sünden empfangen hat, wird man dem Hirten so dankbar sein wie ein Todkranker der durch eine unangenehme ärztliche Behandlung hindurch gerettet wurde. Wer zur Beichte geht, muß zwar erst all seinen Mut zusammennehmen, aber er kommt dafür mit der großen Freude zurück: Es ist mir alles vergeben.
Matthias Niche
[1]
Luther: Vom Amt der Schlüssel und der Beichte (Kleiner
Katechismus) [2] DH 812 [3] Großer Katechismus [4] Luther: Tischreden W2 Band XXII, Sp. 1022, Nr.23 [5] Mk 2 [6] 1 Kön 17 [7] 2 Kön 5 [8] 2 Sam 2,13 [9] Mk 2,10 [10] Mk 2,10 [11] Joh 20,21ff. Elberfelder Übersetzung [12] Wuppertaler Studienbibel JohB Abs. 920 ff. [13] Großer Katechismus [14] Wuppertaler Studienbibel: a.a.O. [15] Mt 28,7+16f.; Lk 6,17; 8,2; 10,1; Joh 6,66; 19,38; Apg 1,13-15 [16] z. Bsp. Mk 3,14-19 [17] Mt 28,18 [18] Jud 11. Siehe auch die sehr modern anmutenden Parolen der Rotte Korach: 4 Mose 16,3 [19] Apg 6,6; 14,23 [20] 1 Tim 5,22; Tit 1,5 [21] Mt 16,19 [22] Apg 2,38 [23] Apg 22,16 [24] Joh 3,5; Eph 5,26; Tit 3,5 [25] gest. 397 [26] "Katechismus der katholischen Kirche" 1429 [27] Lk 6,38 [28] Mk 11,25f. [29] Mt 18,35 [30] Bonhoeffer: Gemeinsames Leben. Chr. Kaiser Verlag München. Achte, unveränderte Auflage 1955. Seite 80 f. [31] Auch dies ist ein Grund, warum man vor der sogenannten „Laienbeichte“ warnen muß. [32] Über die Gewalt den und den Primat des Papstes, 68 [33] Ps 32, 5 [34] a.a.O. S. 82 [35] Mt 26,27f. [36] Joh 6,54 [37] Joh 6,35 [38] siehe auch Augsburger Bekenntnis V: Um den Glauben zu erlangen, hat Gott das Amt eingesetzt, das Evangelium und die Sakramente gegeben, durch die er als durch Mittel den eiligen Geist gibt, der den Glauben, wann und wo er will, in denen, die das Evangelium hören, wirkt. [39] Joh 6,63 [40] 1 Joh 1,7ff. [41] Eventuell redet Joh hier auch im übertragenen Sinne vom „Blut“ und meint „den Tod“. [42] Mt 5,23f. [43] Tertullian, paen. 4,2. Zitiert nach "Katechismus der katholischen Kirche" 1446 [44] Mt 22,1ff. [45] Oft bekam man das Festgewand vom Gastgeber geschenkt. Jener Gast wollte das königliche Geschenk (Gewand = Gerechtigkeit) nicht. [46] Diestelmann, Jürgen: Über die Lutherische Messe. Verlag der Lutherischen Buchhandlung Heinrich Harms – Groß Oesingen 1998, Seite 112 [47] a.a.O., Seite 78f. [48] Eccl. 10,11. Zitiert nach "Katechismus der katholischen Kirche" 1456 [49] Großer Katechismus |