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Bibel und "apostolische Sukzession"-2

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Ist die Lehre von der „apostolischen Sukzession“ aus der Bibel begründbar? 
Eine Antwort für nachdenkliche Christen

 

3. Sukzession

3.1. Empfang und Weitergabe

Wir sehen in der Apg und den Briefen des NT die Apostel (und andere Bevollmächtigte) immer als solche, die sowohl Teil der Gemeinde sind, als auch dieser mit Autorität gegenüberstehen. Diese Gesandten sind im Rahmen ihres Auftrags bevollmächtigte Stellvertreters des Herrn und dürfen  verbindlich an seiner Statt handeln. Daß sie oft das Schicksal ihres Herrn teilten, gehört wohl mit dazu. Man vergleiche nur Joh 1,11 mit 3 Joh 9; 1 Kor 4,9ff.; 2 Kor 11,23ff..

Die Apostel sind als einzige direkt von Jesus bevollmächtigt worden.[37] Sie haben eine fundamentale Bedeutung und Autorität[38] für Lehre und Praxis der Kirche. Darum konnte der Apostel Paulus sich und seine Lehre mehrmals in seinen Briefen den Gläubigen als normatives Vorbild darstellen: 1 Kor 4,15; 11,1; 15,1ff.; Phil 3,17; 2 Thess 2,15.

Die Apostel haben aber unmittelbar vom Herrn Jesus Christus empfangen, um weiterzugeben. Andere empfangen seitdem das Evangelium nicht unmittelbar vom Herrn, sondern mittelbar durch menschliche Mittler. (Auch eine Bibel, in der jemand liest, hat er aus Menschenhand empfangen und sei es auch nur die des Druckers.)
Vom Empfang, um Weiterzugeben sprechen zum Beispiel folgende Bibelstellen:

Denn ich habe von dem Herrn empfangen, was ich euch weitergegeben habe: Der Herr Jesus, in der Nacht, da er verraten ward, nahm er das Brot ...
(1 Kor 11,23)

Denn ich tue euch kund, liebe Brüder, daß das Evangelium, das von mir gepredigt ist, nicht von menschlicher Art ist. Denn ich habe es nicht von einem Menschen empfangen oder gelernt, sondern durch eine Offenbarung Jesu Christi.
(Gal 1,11f.)

Bei aller fundamentalen, ewig gültigen Autorität war es aber selbst einem Apostel nicht freigestellt, was er normativ zu weiterzugeben hatte:

Aber auch wenn wir oder ein Engel vom Himmel euch ein Evangelium predigen würden, das anders ist, als wir es euch gepredigt haben, der sei verflucht. Wie wir eben gesagt haben, so sage ich abermals: Wenn jemand euch ein Evangelium predigt, anders als ihr es empfangen habt, der sei verflucht.“ Wie wir eben gesagt haben, so sage ich abermals: Wenn jemand euch ein Evangelium predigt, anders als ihr es empfangen habt, der sei verflucht.
(Gal 1, 8f.)

Das Schema von „Empfangen und Weitergeben“ ist bekannter unter dem Namen „Überlieferung“. Es handelt sich hier um nichts anderes als um "Tradition", denn "traditio" heißt nichts anderes als "Übergabe". Oft wird Tradition geschmäht. Immer wieder gilt dieses Wort als Schimpfwort. Wir müssen begreifen, daß wir aus und wegen der so verstandenen „Tradition“ leben oder durch und wegen der Neuerungen sterben.

Die Bewahrung und Weitergabe erscheint als besondere Aufgabe der Apostel[39]. Wie aber sollte es nach dem Tod der Apostel weitergehen? Sollte das „Schaliach-Prinzip“, also das Prinzip, daß Glieder der Gemeinde bevollmächtigte Stellvertreters des Herrn sind, mit den Aposteln sterben? Wir fragen:

 

3.2. Hat Jesus Nachfolger Seiner Gesandten vorgesehen?

Das ist mit Sicherheit anzunehmen. Nehmen wir als Beispiel wieder die Vergebung der Sünden: Vollmacht, an Gottes Statt Sünden zu vergeben bzw. Sündenvergebung zu verweigern, muß erhalten bleiben, solange es Kirche auf Erden gibt. Das ergibt sich aus der Natur der Sache. Es ist ja undenkbar, daß diese Befugnis, die Jesus Christus am Abend des Auferstehungstages seinen Aposteln gab, mit dem Tode der Apostel in der Kirche erloschen ist. Christus, der wegen unserer Sünden gestorben ist, will gewiß, daß in seiner Kirche jedem, der sich von der Sünde abwendet, die Pforten der Vergebung immer offen stehen. Auch dann, wenn die, denen Er direkt diese Vollmacht gab, für die Gläubigen nicht mehr „greifbar“ waren.

Schauen wir zur weiteren Beantwortung dieser Frage in den Missionsbefehl:

Die elf Jünger aber gingen nach Galiläa, an den Berg, wohin Jesus sie bestellt hatte. Und als sie ihn sahen, warfen sie sich <vor ihm> nieder; einige aber zweifelten. Und Jesus trat zu ihnen und redete mit ihnen und sprach: Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf Erden. Geht nun hin[40] und macht alle Nationen zu Jüngern, und tauft[41] sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt[42] sie alles zu bewahren, was ich euch geboten habe! Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis zur Vollendung des Zeitalters.

Hier ist nicht nur ein klarer Auftrag, sondern da sind auch zwei Zusagen: die der all-umfassenden Vollmacht Jesu und des all-umfassenden Beistandes Jesu.

Liest man genauer nach, stellt man verblüfft fest, daß der Missionsbefehl[43] eigentlich nur den noch verbliebenen elf Aposteln erteilt wurde, obwohl es auch nach Kreuzigung und Auferstehung mehr als nur elf Anhänger Jesu gab.[44] Mt 28,19f. ist laut Vers 16 und 18 eindeutig an die „Elf“ gerichtet.

Es ist hier im Missionsbefehl gewiß nicht die Rede von der Verpflichtung jedes Jüngers des Herrn, Ihn vor jedermann zu bezeugen. Zeugnis ist nicht Lehre! Zeugnis geben ist ganz etwas anderes, als Autorität auszuüben. Denn "lehren" heißt, "Autorität auszuüben", wie ein Vergleich mit 1 Tim 2,11-12 zeigt. Zwei Dinge werden in 1 Tim 2,11f. Frauen untersagt: zu lehren und Autorität über einen Mann auszuüben. Wie sind diese beiden Tätigkeiten einander zugeordnet? Sie gehören zusammen. Folgendes mag das verdeutlichen: Erinnern wir uns an die Einleitung der Bergpredigt: „Als Jesus aber die Volksmengen sah, stieg er auf den Berg; und als er sich gesetzt hatte, traten seine Jünger zu ihm. Und er tat seinen Mund auf, lehrte sie und sprach.“ Hier eröffnete Jesus nicht eine Diskussionsrunde. Jesus setzte sich, die Jünger standen![45] Das muß sorgfältig vor dem Hintergrund antiker Gebräuche gehört werden. Wer etwas zu sagen hatte, saß. Wer zu hören und zu gehorchen hatte, stand.[46] Jesus, der etwas zu sagen hatte, gab im folgenden nicht unverbindliche Ratschläge, sondern verbindliche Weisungen, indem sagte: „Ich aber sage euch: ...“ Man darf beim Begriff „Lehren“ nicht neuzeitliche Vorstellungen anbringen. Mit „Lehre“ gemeint ist nicht Smalltalk oder die Weitergabe von Informationen, mit denen die Empfänger je nach Belieben umgehen können. „Lehre“ im NT ist verbindliche Rede. Der christliche Lehrer sagt in der Vollmacht Jesu Christi definitiv: „So und so ist es und so und so ist es nicht. Dies sollst du tun und dies sollst du nicht tun.“
Das gilt auch das Lehramt in der Kirche. Hier gilt das Wort Christi an die Apostel: ,,Wer euch hört, der hört mich.“[47] Das christliche Lehramt trifft in der Autorität Christi verbindliche Entscheidungen auf dogmatischen und ethischen Gebiet. Wenn das nicht „Autorität ausüben“ heißt, muß man sich fragen, was es sonst heißen soll.

„Lehren“ heißt also nicht, einen unverbindlichen Diskussionsbeitrag einzubringen, sondern ist die autoritative Weitergabe der christlichen Lehre und authentische Auslegung des Wortes Gottes in der Vollmacht Jesu Christi. Hempelmann nennt Lehren: „Autoritative Traditionsweitergabe in autorisierten Positionen“.[48]
Dieses Lehren in Vollmacht und Autorität Jesu Christi geschieht vor allem im öffentlichen und amtlichen Gottesdienst der Kirche[49] und ist die Aufgabe der Bischöfe und Priester.[50] Einer Frau ist es nach 1 Tim 2,11f. nicht gestattet, solcherart Autorität auszuüben, indem sie lehrt.
Natürlich finden wir im NT auch noch andere Formen der Weitergabe christlicher Botschaft. Sogar solche, die einem wie eben beschriebenen Lehren sehr nahe kommen. Man denke hier nur an die Episode in Apg 18,26. „Als aber Priszilla und Aquila Apollos hörten, nahmen sie ihn zu sich und legten ihm den Weg Gottes genauer aus.“ Lukas vermeidet hier übrigens ausdrücklich das Wort „lehren“. Dieses „den Weg Gottes genauer auseinandersetzen bzw. erklären“ geschah nicht im „öffentlichen“ Gottesdienst der Kirche, sondern im „privaten“ Rahmen einer Unterweisung. Genau das trifft auch auf Bibelstellen zu, die im Zusammenhang mit dem Lehren von Frauen immer wieder genannt werden: 2 Tim 1,5 (Mutter und Großmutter des Timotheus) und Tit 2,4 (die älteren Frauen sollen die jüngeren anleiten). Paulus gebraucht auch hier beide Male nicht das Wort „lehren“. Dann soll es nach Kol 3,16 noch das gegenseitige Lehren und Ermahnen unter den Gemeindegliedern geben, von dem Paulus im Kol die Frauen nicht ausnimmt. Diese private Unterweisung ist jedoch unterschieden vom Lehre, von der offiziellen und autoritativen Weitergabe der christlichen Lehre und authentische Auslegung des Wortes Gottes in der Vollmacht Jesu Christi im Rahen eines „öffentlichen“ Gottesdienstes.

Der Missionsbefehl  aus Mt 28,19f. ist laut Vers 16 und 18 eindeutig an die „Elf“ gerichtet. Aber sollten diese Elf wirklich zu allen Völkern (inklusive etwa Amerika und Australien) hingehen können? Hat Jesus hier diesen elf Aposteln verheißen, daß sie bis ans Ende des Zeitalters leben werden? Oder hat Jesus sich gar geirrt?
Offensichtlich hat Jesus hier nicht nur die Elf im Blick, die da vor ihm stehen. Jesu Blick geht weiter, er sieht in den Aposteln auch deren Nachfolger. Das Prinzip ist etwa vergleichbar dem Denken, das hinter Hebr 7,9 steht: In Abraham hat dessen Nachkomme Levi dem Priesterkönig Melchisedek den Zehnten gegeben.

Auftrag, Vollmacht und Verheißung sollen augenscheinlich nicht auf hier direkt angesprochenen Apostel beschränkt bleiben und seine Erfüllung nicht mit ihrem Tode enden. Darum gaben die Apostel nicht nur an alle das Evangelium weiter, sondern auch an einzelne den Auftrag zur vollmächtigen Verkündigung. Diese sollten wiederum das Evangelium an alle und den Auftrag zur vollmächtigen Verkündigung an einzelne weitergeben.

Diese Aufeinanderfolge der Sendung und Beauftragung kann man sehr schön beim Apostel Paulus und Timotheus beobachten. Timotheus wurde unter Handauflegung in ein Amt eingesetzt (2 Tim 1,6f.), das Autorität in der Verkündigung (1 Tim 4,11) und auch in disziplinarischen Obliegenheiten (1 Tim 5,19) einschloß. Weil Timotheus sein Amt über den Apostel von Christus bekommen hatte, war er Christus verantwortlich und nicht gezwungen, der etwa Gemeinde oder einigen dort Maßgeblichen nach dem Munde zu reden. Interessanterweise schreibt Paulus dann:

Und was du von mir gehört hast vor vielen Zeugen, das befiehl treuen Menschen an, die tüchtig sind, auch andere zu lehren.“
(2 Tim 2,2)

Die griechische Konstruktion dieses Satzes ist so, daß er den bestimmten Sinn erhält, daß auch die „treuen Menschen“ wieder das, was ihnen anvertraut wurde, andern treuen Menschen, die zum Lehren tauglich sind, weitergeben sollen.[51]

Hieraus kann man schlußfolgern, daß sowohl der Auftrag zur Verkündigung als auch ihr Inhalt sozusagen wie ein Depositum (Verwahrgut, hinterlegter Betrag) an Personen weitergegeben wurde, um bewahrt und weitergegeben zu werden – bis zu uns. Selbstverständlich muß die apostolische Lehre aktualisiert werden - doch so, daß ihre Kontinuität gewahrt bleibt.

Das, was die Apostel weitergaben, sollte nun weiter durch die Zeiten gereicht werden - durch Autoritäten in der Gemeinde. Das Bestreben war es dabei, die Kontinuität des von den Aposteln verbindlich bezeugten Evangeliums und der diesem dienenden Autorität durch die Völker und Zeiten hindurch zu wahren.[52]

 

3.3. Personensukzession

Ist es aber rechtens, von einer Personennachfolge zu reden? Darf man nicht nur – wenn man es schon muß – nur von einer Sukzession der Lehre reden?

Denken in Alternativen schadet hier. Natürlich geht es um den Auftrag und um die Vollmacht, diesen Auftrag „an Christi Statt“ auszuführen. Aber es sind doch immer Menschen, denen Auftrag und Vollmacht gegeben werden. Freilich nicht, damit sie sich mit Titeln schmücken können. Ein Gesandter Christi teilt in dieser Welt dessen Geschick: Joh 15,20.

3.3.1. Im Alten Bund am Beispiel Moses – Josua

Schon im Alten Bund gibt es die Weitergabe von Autorität an Menschen: Mose empfing das Gesetz, gab es weiter, führte das Volk - und starb. Er gab aber nicht nur das Gesetz weiter, das er empfangen hatte. Sein Diener Josua wurde durch Handauflegung des Mose Nachfolger - mit einer von Mose abgeleiteten Autorität. Gott sprach nämlich:

Nimm Josua zu dir, den Sohn Nuns, einen Mann, in dem der Geist ist, und lege deine Hände auf ihn; und laß ihn treten vor den Priester Eleasar und vor die ganze Gemeinde und bestelle ihn vor ihren Augen und lege von deiner Hoheit auf ihn, damit ihm gehorche die ganze Gemeinde der Israeliten. ... Mose tat, wie ihm der HERR geboten hatte, und nahm Josua und ließ ihn treten vor den Priester Eleasar und vor die ganze Gemeinde und legte seine Hand auf ihn und bestellte ihn, wie der HERR durch Mose geredet hatte.[53]

Josua aber, der Sohn Nuns, wurde erfüllt mit dem Geist der Weisheit; denn Mose hatte seine Hände auf ihn gelegt. Und die Israeliten gehorchten ihm und taten, wie der HERR es Mose geboten hatte.[54]

Josua sollte nicht mehr das Gesetz empfangen, aber für seine Einhaltung sorgen. Auch Josua war unter der Autorität dessen, was Mose empfangen und weitergegeben hatte. Josua war Diener des Gesetzes – nicht sein Herr.

3.3.2. Im Neuen Bund

In Mt 10,40 und Lk 10,16 wird etwas deutlich, das für die Frage nach einer möglichen Personensukzession nicht unbedeutend ist:

Wer euch hört, hört mich; und wer euch verwirft, verwirft mich; wer aber mich verwirft, verwirft den, der mich gesandt hat.

Aus diesen Worten des Herrn ergibt sich folgender Tatbestand:

  1. Der Vater sandte den Sohn als bevollmächtigten Stellvertreter.
  2. Der Sohn sandte wiederum die Apostel als bevollmächtigte Stellvertreter.

Hier liegt eine klare Personen-Sukzession vor: Die Weitergabe von Autorität vom Vater auf den Sohn und vom Sohn auf die Apostel. Wer die aufnimmt, nimmt den auf, der sie sandte (Jesus) und wer Jesus aufnimmt, den, der Jesus sandte (Vater). Offensichtlich hat der Schaliach Gottes, Jesus, die Vollmacht, die er vom Vater erhielt, selbst weitergegeben. Vielleicht könnte man es so sagen: Jesus als bevollmächtigter Stellvertreter Gottes erteilte einigen seiner Jünger eine Untervollmacht.[55] Die Gesandten Jesu handeln nicht nur an Jesu Statt, sondern (auch und eigentlich) an der des Vaters.

Die Bevollmächtigung der Apostel wird nach der Auferstehung Jesu erneuert:

Als es nun Abend war an jenem Tag, dem ersten der Woche, und die Türen, wo die Jünger waren, aus Furcht vor den Juden verschlossen waren, kam Jesus und trat in die Mitte und spricht zu ihnen: Friede euch! Und als er dies gesagt hatte, zeigte er ihnen die Hände und die Seite. Da freuten sich die Jünger, als sie den Herrn sahen. Jesus sprach nun wieder zu ihnen: Friede euch! Wie der Vater mich ausgesandt hat, sende ich auch euch. [56]

Aber auch der von Jesus direkt berufene Paulus war solcher bevollmächtigter Stellvertreter Jesu. Darum konnte er schreiben:

So sind wir nun Gesandte an Christi Statt, indem Gott gleichsam durch uns ermahnt.[57]

Bedenkt man in diesem Zusammenhang, was wir vorhin über das Amt und die Bedeutung eines Schaliach gehört haben, bekommt dieser Satz des Apostels einen ganz neuen Klang: Paulus hat es wirklich so gemeint, wie er es geschrieben hat! Er steht als Apostel an Christi Statt. Wer den Apostel hört, hört Christus. Diese Vollmacht kann man sich nicht selbst nehmen.

3.3.2. Apostelnachfolger?

Die den Aposteln von Jesus im Missionsbefehl gegebene Verheißung Seines Beistandes bis zum Ende der Welt setzt voraus, daß das apostolische Amt fortbesteht.

Wie steht es nun um die Nachfolge der "Apostel"? Was wird im NT über "Apostelnachfolger" berichtet?
Daß für einen toten Apostel Ersatz gesucht und gefunden  wurde, wird ausdrücklich nur in Apg 1,15ff. berichtet, wo an die Stelle des Verräters Judas ein anderer, nämlich Matthias, tritt. Nachdem allerdings der Apostel Jakobus, der Bruder des Johannes, Märtyrer geworden war (Apg 12,2), berichtet die Hl. Schrift keineswegs davon, daß nun wieder einen Nachwahl stattgefunden hätte und ein neuer Apostel gesucht worden wäre.

Interessant ist allerdings dennoch die Geschichte von der Wahl des Matthias Apg 1,15ff.:
Erstens darum, weil hier deutlich wird, daß das NT überhaupt ein überindividuelles Amt kennt, das über den Tod des jeweiligen des einzelnen Trägers hinaus fortbesteht und nicht nur vorübergehende Dienste, die jemand aufgrund eines individuellen Charismas tut.
Drittens wegen der unterschiedlichen Bezeichnungen, mit denen das das Amt bezeichnet wird, das hier weitergegeben werden soll:
Einmal Apostelamt, griechisch: apostolé. Die Gemeinde bittet Gott, zu zeigen, welchen von den beiden Kandidaten Er erwählt hat, damit er „diesen Dienst und das Apostelamt empfange“.
Die andere Bezeichnung, auf die dieses Gemeindegebet Bezug nimmt, findet sich in dem alttestamentlichen Zitat, das Petrus anbringt. Die alttestamentliche Stelle, die Petrus hier zitiert, spricht nämlich nicht allgemein von einem Amt, sondern genauer vom „Aufseheramt“. Es heißt: „Sein Aufseheramt empfange ein anderer!“ Das griechische Wort für Aufseheramt, das wir im Urtext finden, lautet: episkopé. Wir finden die gleiche Bezeichnung auch in 1 Tim 3,1, wo es heißt: "Wenn jemand nach einem Aufseherdienst trachtet, so begehrt er ein schönes Werk." Im Begriff episkopé steckt das Wort Epískopos, aus dem im Deutschen das Wort „Bischof“ wurde.
Es ist ein erstaunlicher Befund, daß das auf Nachfolge angelegte Apostelamt in Apg 1,15ff. auch als Aufseheramt (bzw. als Bischofsamt) bezeichnet wird.

Nun könnte man einwenden: Das kann ja gar nicht sein, denn es geht ja hier bei der Nachwahl des Matthias ausdrücklich um Augenzeugenschaft? Das ist ja für einen Menschen, der damals nicht dabei war, gar nicht mehr möglich!
Dazu ist zu sagen: „Zeuge der Auferstehung“ (Apg 1,22) im strengen Sinn des Wortes war nicht einmal Petrus, denn auch Petrus war nicht im Grab, als Jesus auferstand. Auch die Grabwächter des Hohen Rates, die sozusagen am dichtesten "dran" waren, haben den Vorgang der Auferstehung selbst nicht gesehen. „Zeugen der Auferstehung“ gibt es eigentlich gar keine. Es gab und es gibt aber viele Zeugen des Auferstandenen. „Zeuge der Auferstehung“ konnte sowohl Petrus als auch Matthias nur sein als Zeuge des Auferstandenen. Um Zeuge des Auferstandenen zu sein, muß man aber nicht im Jahre 33 n. Chr. in Jerusalem gewesen sein. Es geht bei dem, was Petrus hier sagt, wohl mehr um eine Aufgabenbeschreibung: der ins Amt gestellte soll als Zeuge der Auferstehung (das heißt: als Zeuge des Auferstandenen) den ganzen Jesus und Sein ganzes Werk „angefangen von der Taufe des Johannes bis zu dem Tag, an dem er von uns hinweg aufgenommen wurde“, verkündigen.

Wir finden aber darüber hinaus im NT immer wieder Hinweise darauf, daß die Apostel Vollmacht weitergegeben haben: Timotheus und Titus haben die Vollmacht, zu "gebieten", sollen Älteste und Bischöfe ordinieren und sind deren Disziplinarvorgesetzte, entscheiden über die Aufnahme in Witwenverzeichnisse, sind verantwortlich für die Weitergabe der Botschaft: 1 Tim 1,3; 4,11; 5,7; 5,9-11; 5,19-22 (zu Vers 22 vgl. 2 Tim 1,6); 2 Tim 2,2; Tit 1,5.
In Apg 6,1-6 wird berichtet, daß sieben Gliedern der Gemeinde durch Handauflegung ein Teil apostolischer Vollmacht übergeben wird. Offensichtlich gehörte der "Tischdienst" bzw. die Aufsicht über die Verteilung eingegangener Spenden ebenfalls zur Vollmacht der Apostel. Als die Zahl der Jünger zunahm, wurde sozusagen das Amt der Diakone "ausgegliedert". Sieben Männer der Gemeinde bekamen quasi eine apostolische "Unter- bzw. Teilvollmacht".

Das eigentliche Apostelamt der Zwölf als solches ist natürlich nicht weitergebbar. Kein Mensch kann einen anderen zum "Apostel" machen, denn ein "Apostel" zeichnet sich ja dadurch aus, daß er es „nicht von Menschen, auch nicht durch einen Menschen, sondern durch Jesus Christus und Gott, den Vater“[58]  ist.
Es gibt schon noch Unterschiede zwischen einem Apostel und einem Bischof. Ein nicht unerheblicher  Unterschied ist zum Beispiel, daß ein Apostel für die ganze Kirche zuständig war, während ein Bischof nur für einen bestimmten Bereich der Kirche zuständig ist.

In der Hl. Schrift finden wir also folgende Sukzession:
1. Der Vater sandte den Sohn.
2. Der Sohn sandte die Apostel.
3. Die Apostel sandten wiederum andere mit abgeleiteter Autorität für einmalige und dauerhafte Dienste, denn die Autorität des Sohnes sollte aber nicht bei den Aposteln stehenbleiben:

-       So zum Beispiel in Apg 15, wo die Apostel einige schickten, welche die bindenden Beschlüsse des Apostelkonzils den Gemeinden mündlich mit apostolischer Autorität überbringen sollten. Sie grenzten sich gleichzeitig von solchen ab, die sich Autorität angemaßt hatten: Apg 15,24

-       Es sei erinnert an die Sendungen des Titus oder Timotheus in einzelnen Gemeinden zu konkreten Anlässen bzw. dauerhaften Diensten:

-     um Ordnung zu schaffen: 1Thess 3,1ff.; 2Kor 7,5ff oder

-     um Presbyter bzw. Bischöfe einzusetzen (Tit 1,5)

-     Diese Bischöfe bzw. Presbyter sollten dann wiederum die Autoritäten in den ihnen anvertrauten Gemeinden sein (Tit 1,9; Apg 20,28; 1Petr 5,1ff. u.v.a.).

Man kann durchaus von der Weitergabe von Vollmacht, aber auch von Untervollmachten und Teilvollmachten reden. Die Apostel hatten alle Vollmachten. Die Diakone waren offensichtlich „nur“ bevollmächtigt zu predigen und zu taufen, aber nicht, den Hl. Geist zu spenden.[59] So ist Unterschied zwischen Bischof,  Priester und Diakon zu erklären. Es ist ein Unterschied der Vollmacht, also der Berechtigung, in jemand anderes Namen und an seiner Stelle zu handeln.

Sie alle aber konnten ihre Autorität nicht mit materieller Gewalt durchsetzen. Sie baten und ermahnten[60]. Sie waren allesamt „nicht Herren über den Glauben, sondern Gehilfen der Freude“[61]. Dennoch erging es ihnen oft so wie ihrem Herrn, den sie repräsentierten: „Er kam in das Seine, und die Seinen nahmen ihn nicht an.“[62]

Es sei im Zusammenhang der Frage nach dem sukzessionalen Denken in der Bibel nachdrücklich auch auf das 14. Kapitel des Buches „Segen, Amt und Abendmahl“ hingewiesen!

 

4. Einwände

Im folgenden soll auf einige Einwände eingegangen werden. Uns ist bewußt, daß auch hier aus Raumgründen nur ein Fragment vorgelegt werden kann.

 

4.1.  Ist der Kanon der Hl. Schrift Nachfolger der Apostel?

Kann man nicht die Schlußfolgerung ziehen, daß an die Stelle der Apostel und ihrer fundamentalen Vollmacht in der Kirche der Kanon der Hl. Schrift getreten sei?

Sollte jegliche Autorität ausschließlich bei den Aposteln bleiben und mit ihnen sterben, um dann mehr als 250 Jahre später als Autorität des neutestamentlichen Kanons wieder aufzuerstehen?
Wenn der Kanon der Heiligen Schrift der Apostelnachfolger ist: Was war dann in der Zeit zwischen dem Tod des letzten Apostels und der Feststellung dieses Kanons im vierten Jahrhundert? Wer war dann eigentlich befugt, den Umfang des neutestamentlichen Kanons festzulegen?

Man darf nicht Lehrsukzession gegen Personensukzession ausspielen!
Jesus hat Menschen beauftragt und gesandt, aber nicht ein Buch geschrieben! Der Missionsbefehl in Mt 28 ist sehr aufschlußreich. Wie soll es danach geschehen, daß „alle Nationen zu Jüngern werden können“?  Die grammatische Konstruktion des Missionsbefehles  im Urtext sagt es sehr deutlich: hingehend, taufend, lehrend. Die Völker werden zu Jüngern, indem Menschen zu ihnen hingehen, sie taufen und lehren. Nicht, indem ein Buch an sie geschickt wird!
Die Lehre hat der Herr gemäß der Hl. Schrift Menschen anvertraut! Auch Jesus hat kein Buch geschrieben, sondern Menschen um sich gesammelt. Aus dieser Schar erwählte Er Seine Gesandten[63], bevollmächtigte sie[64] und verhieß ihnen Seinen Beistand und den des Hl. Geistes[65].

Wäre die Bibel an die Stelle der Apostel nach deren Tod getreten, hätten die ersten Christen bis zur endgültigen Feststellung des Kanons im 4. Jh. gar kein Fundament gehabt. Das glaube wer will.

Wohin die prinzipielle protestantische Unmittelbarkeit des Einzelnen zu Gott und die Lehre von der Hl. Schrift als dem Nachfolger der Apostel führt, lehrt exemplarisch ein Blick ins Telefonbuch unter die Rubrik „Kirchen, relig. Gemeinschaften: Evangelisch“. Warum finden nicht alle dieselben Antworten, wenn sie die Hl. Schrift befragen?

Wie gesagt: Man darf nicht Lehrsukzession gegen Personensukzession ausspielen. Die Hl. Schrift ist sozusagen Teil der apostolischen Überlieferung: Frucht und Ausdruck dessen, was die Apostel den Gemeinden weitergegeben haben. Die apostolische Sukzession erschöpft sich aber nicht darin, ein Buch weiterzugeben. So wichtig die Heilige Schrift ist: Gott sendet nicht Bücher, sondern Menschen! Wenn Gott wirklich so wäre, wie ihn manche sich denken, dann hätte Er nicht seinen Sohn gesandt, sondern eine Bibel vom Himmel geworfen ...

Als die Kirche im 2. Jh. durch den Gnostizismus tödlich bedroht war, konnte sie diese Krisis dadurch überwinden, daß sie sich auf die apostolische Überlieferung besann: Diese fand sie

  1. im Kanon der hl. Schriften, die
  2. gemäß der apostolischen Glaubensregel (Regula fidei)[66]
  3. vom in apostolischer Nachfolge (= Sukzession) stehenden Amt ausgelegt wird.

Apostolische Schrift, Tradition und Amt gehören zusammen In ihrem gegenseitigen Aufeinander-Bezogen-Sein sind sie auch heute das einzige Heilmittel in der gegenwärtigen Krise der Kirche.

 

4.2. Ist die christliche Gemeinde Trägerin der apostolischen Vollmachten?

4.2.1. Das „demokratische“ Gemeindeprinzip

Ist nicht vielleicht nach dem Tode der Apostel die ganze Gemeinde und alle ihre Glieder Träger der apostolischen Vollmachten? Gibt es nicht eigentlich „Ämter“ in der Kirche, sondern „Funktionäre“, die nach gewissen Kriterien von der Gemeinde gewählt und abgewählt werden und der Gemeinde verantwortlich?

Auch das wird oft behauptet und selten begründet. Und wenn es begründet wird, dann nicht aus der Hl. Schrift oder mit Argumenten aus ihr, die dem biblischen Gesamtzeugnis widersprechen.

Was ist von diesem Einwand halten?

Das demokratische Prinzip ist das Prinzip, daß jegliche Gewalt (= Vollmacht) in Staat und Gemeinde vom Volke ausgeht. Dieses Prinzip findet sich nicht (positiv) in der Bibel. Sie ist von außerhalb in die christliche Gemeinde hineingetragen worden.

Biblisch ist, daß Auffassung, daß Vollmacht und Amt nicht von unten, aus der Gemeinde, wachsen und gegeben werden, sondern von oben, von Gott nämlich, geschenkt werden werden.

In Luk 12,42 sagt Jesus:

Wer ist denn der treue und kluge Verwalter, den der Herr über seine Leute setzt, damit er ihnen zur rechten Zeit gibt, was ihnen zusteht?

Seinen Vertreter setzt der Herr über seine Leute! Er wird keinesfalls von der Dienerschaft "demokratisch" gewählt.

Gleichwohl ist die Lehre von der „Vollmacht der Gemeinde“ uralt:
Die folgenden Forderungen und Vorwürfe der von der Gemeindeversammlung (demokratisch) Gewählten an die vom Herrn "über seine Leute" gesetzten Autoritäten klingen auch uns ziemlich auch heute vertraut:

Und Korach, der Sohn Jizhars, des Sohnes Kehats, des Sohnes Levis, dazu Datan und Abiram, die Söhne Eliabs, und On, der Sohn Pelets, die Söhne Rubens, die empörten sich gegen Mose, dazu zweihundertundfünfzig Männer unter den Israeliten, Vorsteher der Gemeinde, von der Versammlung berufen, namhafte Leute. Und sie versammelten sich gegen Mose und Aaron und sprachen zu ihnen: Ihr geht zu weit! Denn die ganze Gemeinde, sie alle sind heilig, und der HERR ist unter ihnen. Warum erhebt ihr euch über die Gemeinde des HERRN?[67]

Mose wies Korach und seine Anhänger aber auf etwas Wichtiges hin:

Du und deine ganze Rotte, ihr macht einen Aufruhr wider den HERRN! Es ist nicht Aaron, gegen den ihr murrt.

Es mag hier der Einwand kommen, daß das doch im Neuen Testament abgetan sei. Darauf ist zu erwidern: Auch noch im Neuen Testament wird die Empörung Korachs als Gefahr ernst genommen:

Weh ihnen! Denn sie gehen den Weg Kains und fallen in den Irrtum des Bileam um Gewinnes willen und kommen um in dem Aufruhr Korachs.[68]

Von einem anderen Aufruhr Korachs als dem im Namen eines „demokratischen Prinzips“ ist im AT nichts zu lesen. Welchen anderen Aufruhr Korachs sollte Judas also meinen, als den im Namen der Gemeindedemokratie? Also scheint es auf der Hand zu liegen, daß sich auch das „demokratische Prinzip“ nicht auf das NT berufen kann. Auch im NT findet man solche Christen, die sowohl Teil der Gemeinde sind, als auch dieser mit Autorität gegenüberstehen. Damit ist freilich nicht gesagt, daß anstelle einer Basisdemokratiedemokratie eine Klerikerdiktatur treten solle.

Auffällig ist im 14. Kapitel der Apg die Gruppen von Gläubigen auf der ersten Missionsreise des Paulus erst dann „Gemeinde“ bzw. „Kirche“ genannt wurden, als dort durch die Apostel Presbyter (= Amtsträger) eingesetzt werden.[69] Zufall? Oder Ausdruck dessen, daß aus und mit dem Amt „die Kirche“ gegeben ist, weil Christus das Amt trägt und in ihm wirkt?

4.2.2. Autorität in der Gemeinde

Kirche ist keine menschliche Organisation, sondern ein Organismus. Sie ist der Leib Christi, Christus ist das Haupt. (1 Kor 12,12.27; Eph 1,22f.; 4,15; 5,23; Kol 1,18; 2,19). Somit ist klar, daß Autorität im eigentlichen Sinn Jesus Christus als das Haupt des Leibes ist und hat. Wir reden freilich hier im Grunde von der Autorität des dreieinigen Gottes: des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Jesus Christus hat die Autorität und ist die Autorität in der Kirche.[70] In der Geschichte Gottes mit den Menschen wird jedoch ein Grundsatz deutlich: Gott übt Seine Autorität (zumeist) mittelbar aus. Gott führt Sein Volk mittels Menschen, die Er autorisiert hat! Durchgängig beobachten wir in der Bibel folgendes: Autorität eines Amtes wurde immer von einer höheren Instanz her abgeleitet, nie „von unten nach oben“ delegiert. Nicht das Volk Gottes bringt verschiedene Dienste hervor und autorisiert sie, sondern der lebendige Gott schenkt sie seinem Volk und autorisiert sie. Diese Beobachtung nötigt uns zu der Schlußfolgerung: Jede andere mögliche Autorität in der Kirche ist und hat nur eine von Jesus Christus abgeleitete Autorität. Zweck des „Amtsträgers“ ist es, als Glied des Leibes das Haupt vor den anderen Gliedern des Leibes zu repräsentieren.[71] Da andere Autoritäten in der Kirche aber gewiß nicht die grundlegende Autorität des Hauptes der Kirche in Frage stellen können und dürfen, ziehen wir sofort die Schlußfolgerung: Die Daseinsberechtigung, die Befugnisse und die Grenze anderer Autoritäten in der Kirche ergeben sich aus ihrer Verpflichtung, die Autorität Gottes in der Kirche aufzurichten und zur Geltung bringen.[72]

 

4.3. Ist es nicht der Hl. Geist, der Jesus vertritt?

Es wurde des weiteren eingewandt, daß es der Hl. Geist sei, der in der Zeit zwischen der Himmelfahrt und der Wiederkunft Jesu Jesus Christus vertreten würde. Hier nur ein Beispiel eines solchen Einwandes:

Nur im Unglauben an den heiligen Geist kann es sich die Kirche anmaßen, das kirchliche Amt an die Stelle des Geistes zu setzen und so sich selbst zuzutrauen, was allein Gott tut: Jesus Christus zu vergegenwärtigen und zu vertreten.[73]

Dieses Argument leidet an der Grundkrankheit des Protestantismus: daß nämlich schroffe Antithesen und unangemessen Alternativen aufgestellt werden.[74]
Es gibt natürlich auch in der Hl. Schrift schroffe Alternativen[75], aber die Alternative „Geist oder Amt“ ist schlichtweg falsch. Sich „Amt“ und „Geist“ nur im krassen „Entweder-Oder“ denken zu können, offenbart vielmehr Unverständnis betreffs der biblischen Sicht des Amtes und der Wirkungsweise des Hl. Geistes. Wer allerdings tatsächlich das kirchliche Amt anstelle des Hl. Geistes setzt, verrät in der Tat „Unglauben an den Hl. Geist“ und kann sich damit nicht auf die apostolisch-biblische Lehre berufen. 

Tatsächlich lassen sich jedoch eine Reihe von Bibelstellen vor allen aus den Abschiedsreden Jesu aufführen, die diese von der Vertretung Jesu durch den Hl. Geist reden: Joh 14,16.18.23; 15,26, 16,7. Daß die Apostel bevollmächtigte Vertreter Jesu waren, sollte jedoch offensichtlich nicht auf die Tage des Erdenlebens Jesu beschränkt bleiben. Denn nachdem Er den Hl. Geist als Seinen „Stellvertreter“ angekündigt hatte, nach Seiner Kreuzigung und Auferstehung, Jesus zu den Aposteln:

Friede euch! Wie der Vater mich ausgesandt hat, sende ich auch euch. Und als er dies gesagt hatte, hauchte er sie an und spricht zu ihnen: Empfangt Heiligen Geist! Wenn ihr jemandem die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben, wenn ihr sie jemandem behaltet, sind sie <ihm> behalten.[76]

Es scheint nicht so zu sein, daß Jesus Seine Verheißungen von Mt 10,40 und Lk 10,16 auf die drei Jahre vor Seiner Kreuzigung beschränkt haben wollte und danach den Hl. Geist anstelle autorisierter Menschen setzen wollte. Oder mit anderen Worten: Das Apostelsein der Apostel hörte zu Pfingsten nicht auf und ist keine Konkurrenz zur Repräsentation des Herrn Jesus Christus durch den Geist. Es wäre lohnenswert, die Beziehung von Amt und Geist und den Zusammenhang zwischen beiden bei der Repräsentation des Herrn hier detailliert darzulegen. Das soll jedoch nicht geschehen, um den Umfang dieser Arbeit nicht zu sehr anschwellen zu lassen.

 

5. Fazit

Voraussetzung für das „biblische“ Verständnis „apostolischer Sukzession“ ist das Wissen um die große Bedeutung, die ein Gesandter (Schaliach, Apostel) in der Bibel und ihrer Umwelt hat: Gesandter zu sein heißt in der Bibel gerade nicht, daß man eben so mal geschickt wurde. Ein Gesandter ist vielmehr im Rahmen seines Auftrags der bevollmächtigte Stellvertreters des Sendenden und handelt vollgültig und verbindlich an seiner Statt.

Der Vater sandte den Sohn. Dieser sandte die Apostel. Die Apostel sandten wiederum andere für einmalige und dauerhafte Dienste. Aus der Hl. Schrift geht nicht hervor, daß solche Sendung von Menschen mit dem Tod der gemeinhin als „Apostel“ bezeichneten enden sollte. Diese Apostel haben vielmehr Sendung und Vollmacht an ihre Nachfolger weitergegeben. Diese Nachfolger haben Sendung und Vollmacht, das apostolische Zeugnis weiterzugeben und zu aktualisieren. Hierhin besteht die Weite und die Grenze ihrer Vollmacht. Der vom Herrn gesandte spricht und handelt nicht in eigener Autorität, sondern kraft der Autorität Christi; er spricht zu der Gemeinde nicht als eins ihrer Glieder, sondern in Person Christi, des Hauptes.

Aus der Hl. Schrift läßt sich also durchaus eine Lehre von der „Apostolischen Sukzession“ ableiten in dem Sinne, daß seit den Tagen der Apostel Glieder des Leibes in besonderer Weise bevollmächtigt worden sind, vor den anderen Gliedern des Leibes Christus, das Haupt des Leibes, zu repräsentieren. Durch diese wird sichtbar gemacht, daß Christus als Haupt der Kirche inmitten der Gläubigen gegenwärtig ist.

Durch Ihn bitten wir Gott, den ewigen Hirten: „Du wollest Deine Herde nicht verlassen, sondern sie bewahren auf dem Grunde der Apostel und Propheten; und sie weiden durch den Dienst Deiner Hirten und Lehrer, auf daß wir erhalten werden in der Gemeinde der heiligen auf Erden wie im Himmel.[77]

Matthias Niche

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[37] Gal 1,1.1f.

[38] siehe auch Eph 2,19-22

[39] (vgl. Lk 1,2 u. Apg 6,4; Gal 1,8f; 2 Thess2,15; 3,6)

[40] wörtlich: hingehend

[41] wörtlich: sie taufend

[42] wörtlich: sie lehrend

[43] Mt 28,16-20; Mk 16,15-20; Apg 26,17

[44] 1 Kor 15,6; Apg 1,15

[45] auch Mt 13,2

[46] z. Bsp. 1 Sam 22,6; Dan 7,10;

[47] Lk 10,16

[48] Hempelmann, Heinzpeter: Gottes Ordnungen zum Leben. S. 77

[49] 1 Tim 4,13.16; 6,2; 2 Tim 4,2; Tit 2,7

[50] 1 Tim 3,2 und 5,17

[51] „befiehl“: eigentlich: etwas bei jemand zur Aufbewahrung oder zum Pfand niederlegen, anvertrauen. Fritz Rienecker schreibt in seinem „Sprachlichen Schlüssel zum NT“ zur Stelle sinngemäß: das Lehren der „treuen Menschen“ steht in Parallele zum Anvertrauen des Timotheus, „so daß es den bestimmten Sinn erhält, daß auch sie wieder (das ihnen anvertraute) andern (treuen Menschen), welche zum Lehren tauglich sind, überantworten sollen.

[52] 2 Thess 3,6; 2 Tim 3,14; Jud 3 u.a.m.

[53] Num 27,18ff.

[54] Dtn 34,9

[55] Joh 17,18

[56] Joh 20,19-21

[57] 2 Kor 5,20

[58] Gal 1,1

[59] Apg 8

[60] z. Bsp. 1 Thess 5,12

[61] 2 Kor 1,24

[62] Joh 1,11. auch 1 Kor 4,9ff. und andere

[63] Lk 6,13

[64] indem er sie nicht nur Apostel (Schaliach) nannte, sondern dazu machte

[65] Joh 14,18.26

[66] Verständnis dessen, wie die Hl. Schrift zu verstehen ist.

[67] Num 16

[68] Jud 11

[69] Apg 14,23. „Presbyter“ waren damals freilich etwas völlig anderes als die heutigen Mitglieder von Gemeinde-Räten, die oft leider nach dem Motto „Alle Macht den Räten!“ verfahren.

[70] Unbeschadet der Tatsache, daß man den dreieinigen Gott nicht „auseinanderreißen“ kann und ER sie auch darüber hinaus hat und ist. (z. B. Kol 2,10)

[71] Der zweite Zweck ist die Vertretung der anderen Glieder vor dem Haupt, zum Beispiel beim gottesdienstlichen Gebet. 

[72] Mt 10,24 u.a.

[73] Hanfried Müller in: Evangelische Dogmatik im Überblick. EVA Berlin 1. Auflage 1978, Seite 117

[74] so zum Beispiel die Schein-Alternative „Glaube oder Werke“: Natürlich werden wir durch den Glauben gerechtfertigt. Aber dieser rechtfertigende Glauben ist inhaltlich konkret bestimmbar. Wir werden nicht durch eine irgendwie geartete und diffuse "Gläubigkeit" gerechtfertigt, sondern „wenn wir glauben, daß Christus für uns gelitten habe, und daß uns um seinetwillen die Sünde vergeben, Gerechtigkeit und ewiges Leben geschenkt wird. Denn diesen Glauben will Gott als Gerechtigkeit vor ihm halten und zurechnen, wie St. Paulus sagt zu den Römern Kap. 3 und 4.“ (Augsburger Bekenntnis Art. IV). Die Antwort auf die Frage, ob wir durch Glauben oder Werke gerechtfertigt werden, kann von der Heiligen Schrift her nur lauten: Es ist der durch die Liebe tätige Glaube, durch den wir gerechtfertigt werden. Gal 5,6; Jak 2,14ff. 

[75] 2 Kor 6,14ff.

[76] Joh 20,21ff.

[77] Präfation aus der Lutherischen Agende für die Evangelische Messe an Apostelfesten.

 


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