Buchempfehlung:
Johannes Wisching:
Ich trete aus der Kirche aus
Aus einem theologischen Briefwechsel
Verlag Hartmut Spenner
ISBN 3-933688-41-8
"In diesem Buch wird die Tatsache der vielen Kirchenaustritte
aufgegriffen, werden die Gründe dafür benannt und die dahinterstehenden Entscheidungen
gewürdigt. Diese geschieht in einem längeren Briefwechsel, in den die
Beteiligten gegen ihren Willen hineingezogen werden und der sich schnell zu
einer ernsthaften Auseinandersetzung um den christlichen Glauben auswächst.
Leidenschaftlich und zugespitzt bringen sich die Beteiligten darin zur
Sprache."

Eine ausführlichere Besprechung dieses Büchleins durch Klaus Baschang finden Sie in "Evangelische
Verantwortung" (Heft 11/2002) auf den Seiten 10 -14.
Klaus Baschang war Oberkirchenrat der evangelischen Landeskirche in Baden.
Hier ein Auszug aus dieser Buchbesprechung:
Der Briefwechsel berührt Konfliktfelder, die
für die gegenwärtige Kirche nicht untypisch sind.
Der Kirchentag ist
für Pfarrer Oppenau Zeichen neuen geistlichen Lebens. Frau von Sintersheim
kritisiert seine politische Einseitigkeit und „Theologiearmut". Offen
bleibt dabei, ob sie den Kirchentag aus eigener Teilnahme kennt oder nur aus der
Presse. Einst durchaus diskussionswürdige politische und theologische
Vorbehalte haben sich so verselbständigt, dass das der Öffentlichkeit
vermittelte Bild des Kirchentags ein wenig zutreffendes ist.
Die zur Mitarbeit bereite und theologisch hoch versierte Frau erscheint für das
Lektorenamt geradezu prädestiniert. Aber der Pfarrer teilt mit, dass es in der
Gemeinde gar kein Amt mehr
gibt, also auch nicht das Lektorenamt! „Für uns gibt es kein selbständiges
Amt, das zu besetzen bzw. neu zu besetzen wäre, wobei dann weltliche
Eignungsmaßstäbe greifen müssten. Es verhält sich genau umgekehrt. Nicht vom
Amt aus wird gefolgert, wer es innehaben kann, sondern der jeweilige Amtsinhaber
umreißt und füllt das Amt... Der Pfarrer ist auch hier keine Amtsperson,
sondern nur Freund, Berater." Pfarrer Oppenau bringt mit diesen knappen
Sätzen eine Stimmung zur Sprache, die ziemlich verbreitet ist. Die Verleugnung
des Amtes bedeutet Verleugnung der Amtsaufgaben. Kirchliche Arbeit wird von den
subjektiven Befindlichkeiten der daran Beteiligten abhängig.
Wo Verwirrung in der Amtsfrage herrscht, kann Verwirrung beim
Gottesdienst
nicht ausbleiben. Er ist in dieser
norddeutschen Großstadtgemeinde den einzelnen Gemeindegruppen mit ihren
jeweiligen Neigungen ausgeliefert, hat immer nur Ausschnitte der Gemeinde vor
Augen, lebt von wechselnden Übereinkünften und Absprachen und verfehlt also
programmatisch seine gesamtkirchliche Ausrichtung. Der Leib des Herrn wird
zerteilt! Der Gottesdienst, seiner Mitte beraubt, hat dann auch kein kulturell
anspruchsvolles Niveau mehr. Er lebt nicht mehr von bewährten Regeln, die
dieses Niveau sichern würden, sondern von Ausnahmen, die es kaputt machen.
Besonders heftig erlebt Alexandra von Sintersheim den Widerspruch zwischen dem
Pfarrer und ihren Erwartungen beim Gottesdienst
am Heiligen Abend. „Ich habe fast nur
Klagen gehört – und Anklagen. Dabei war die Kirche brechend voll – eine
jäh und gedrängt erscheinende Kasualgemeinde. Und die ist nur gekommen, um
sich lauter Klagen anzuhören? Oder Vorwürfe entgegenzunehmen? Ich habe uns
alle ein bisschen bedauert. Die Menschen, die aus einem – vielleicht unklaren
– Sehnsuchtsempfinden, einem allgemeinen Glücksbedürfnis oder auch nur in
aufwallender Unmittelbarkeit weihnachtliches Wohlstandsverhalten mitvollziehen,
sind nun nicht mehr das Volk, das im Finstern sitzt und ein großes Licht zu
sehen beginnt (Mt 4,16), sondern gelten mit einem Mal als Gegner des
Evangeliums, die die Schuld am Niedergang des echten Weihnachtsfestes tragen.
Nichts von der großen Freude, die allem Volk widerfahren soll (Lk 2,10), aber
viel Klagen (über die weltweit ungerechten Sozialtatbestände) und Anklagen
(gegen die dafür verantwortlichen Wohlstandsbürger)!" Kirche, die das
Evangelium verrät, weil sie die Chancen für das Evangelium nicht nutzt.
Es wäre verwunderlich, würde nicht auch das so genannte
Kirchenasyl
zum Gegenstand der Auseinandersetzungen.
Alexandra von Sintersheim sieht darin eine Fortsetzung des Kirchenkampfes
der NS-Zeit. „Endlich hat man sie wieder, die
Großkonfrontation mit dem Staat! Das Besondere der Kirche Jesu Christi kann nun
wieder gegen den ‘faschistoiden’ Staat und seine Übergriffe verteidigt
werden. Wir werden alles besser machen als unsere Väter und Mütter. Wir werden
es auch besser machen, denn wir haben
nicht nur die bessere Einsicht, wir sind auch
besser!"
Der älteste Sohn von Frau von Sintersheim steht zur Musterung an und nimmt die
Beratung seines Gemeindepfarrers in Anspruch. Er erfährt, dass die
Wehrdienstverweigerung, besser noch: die Totalverweigerung die dem Christen
gebotene Entscheidung sei. Der Pfarrer und seine Gemeinde stützen ihren
radikalen
Pazifismus inzwischen auch auf das
Soldaten-Mörder-Urteil des BVG. Alexandra von Sintersheim nennt es in sprachlicher
und logischer Hinsicht unsäglich dürftig und weist den
Pfarrer auf den Selbstwiderspruch hin, wenn Christen dieses Urteil für
sich gelten lassen: „Sehen Sie, mit einem Male, ausgerechnet an dieser Stelle,
gebärdet sich die christliche Gemeinde geradezu überwältigend
verfassungstreu. Ich kenne jedenfalls keinen einzigen kirchenamtlichen
Widerspruch gegen das Karlsruher Urteil. Wenn aber der Schutz von Ehe und
Familie zur Debatte steht, der ja auch Verfassungsrang hat und ein Staatsziel
darstellt, dann, so meinen Sie, müsse man Gott mehr gehorchen als den Menschen
(der Verfassung) – damit ja nicht etwa Lesben und Schwule aus der Gemeinde
ausgegrenzt würden ...". Die kluge und engagierte Frau schreibt nicht nur
Briefe. Sie hat ihre Position in dieser Sache auch in einer Gemeindeversammlung
vertreten. Sie hat – zumindest durch ihren Argumentationsstil – die
Jugendlichen beeindruckt. Der Pfarrer ist aber nicht in der Lage, sich für die
ihr widerfahrenen Aggressionen zu entschuldigen; er rechtfertigt sie vielmehr
auch noch in einem seiner Briefe. Der
besonders aggressiv aufgetretene Jugenddiakon erhält aber einen
landeskirchlichen Auftrag zur Entwicklung friedenspolitischer Neuansätze!
Welche Möglichkeiten bleiben da dem Gemeindeglied, seine in der Taufe
begründeten Christenrechte geltend zu machen?
Die Tochter geht zum Konfirmandenunterricht,
den eine Vikarin mit jugendlichen Helfern zusammen
durchführt. Nach nur vier Zusammenkünften der Konfirmandengruppe tritt sie mit
Zustimmung ihrer Mutter wieder aus. Sie will sich nicht gegen ihre Mutter
ideologisch indoktrinieren lassen. Das war zu erwarten. Bei dem
vorangegangenen Treffen der Konfirmanden-Eltern hatte die Vikarin diese schon
auf ihr emanzipatives Programm so eingeschworen, dass ein Gespräch gar nicht
möglich war. „Was dann noch folgte, waren hingenuschelte Schlachtrufe einer
geradezu steinzeitlichen Links-Pädagogik –
Kenner erlebten eine Lachnummer! –,
wobei die Vikarin würdevoll tat wie ein Emeritus
der Weltrevolution." Können Eltern wollen, dass ihnen die Kirche ihre
Kinder absichtlich entfremdet?
Die vielen Zitate sollen zunächst Interesse an eigener Lektüre des Buches
wecken. Sie sollen aber auch zeigen, dass die harte Kritik an der Gemeinde und
ihrem Pfarrer keineswegs oberflächlich daher kommt. Frau von Sintersheim spürt
sehr genau die hintergründigen theologischen Fehlhaltungen auf, die für die
praktischen Mängel des Gemeindelebens verursachend sind. Sie
betreibt
nicht Praxisschelte, sondern Theologiekritik. Darum
ist das Buch auch für Menschen wichtig, die ganz andere kirchliche Praxis als
die in ihm geschilderte kennen.
...
Können Getaufte aus der Kirche austreten?
Frau
von Sintersheim tut es. Sie schreibt ihrem Pfarrer in
ihrem
letzten Brief: „Ja,
wenn ich ausländische ‘Mitbürgerin’ wäre! Oder Asylbewerberin! Oder
Flüchtling aus dem Iran! Oder eine Alleinerziehende, die ihre Kinder
irgendwoher aus dem Rinnstein hat – ein Opfer der patriarchalen Männerwelt jedenfalls.
Dann ist
alles ganz anders, nicht wahr? Dann geraten ChristInnen förmlich aus dem
Häuschen. Kindersegen auf afrikanisch? Wie süß! ...".
Sie aber muss auch noch üble Nachrede hinter ihrem Rücken darüber aushalten, dass sie
vier Kinder hat. In allen Auseinandersetzungen, die hinter ihr liegen, und in
allen Abgrenzungen, die sie direkt und indirekt erfahren muss, spielt in dieser
Gemeinde die Tatsache keine Rolle, dass sie getauft ist. Aber Frau von
Sintersheim nimmt ihre Taufe ernst und beruft sich wiederholt auf sie. Wie soll
ein Gemeindeglied seinen Glauben bewahren und sich gegen die persönlich
bedrängenden fatalen Folgen einer falschen Theologie letztendlich anders wehren
können, als durch die Absage an eine Kirche, die sich zu Unrecht Kirche Christi
nennt? Der Pfarrer schreibt auf die Austrittsmitteilung: „Sie trennen sich vom
Herrn der Kirche, wenn Sie sich von der
Kirche trennen." Ihm wäre wohl zu antworten: Ein
Mensch bekennt sich zum Herrn der Kirche, wenn er sich von der Kirche trennt,
die sich von ihrem Herrn getrennt hat."
Klaus Baschang: "Evangelische
Verantwortung" 11/2002

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