Daß wir den Katechismus sehr betreiben und zu betreiben ebenso fordern wie
erbitten, dazu haben wir nicht geringe Ursache. Denn leider sind, wie wir sehen,
viele Prediger und Pfarrer hierin sehr säumig; sie verachten sowohl ihr Amt als
auch diese Lehre, einige wegen ihrer großen, hohen Gelehrsamkeit, einige aber
aus lauter Faulheit und Bauchsorge. Sie verhalten sich nicht anders zur
Sache, als wären sie um ihres Bauches willen Pfarrer oder Prediger und als
hätten sie, solange sie leben, nichts weiter zu tun als ihre Güter zu
verbrauchen; wie sie es unter dem Papsttum gewohnt waren. Zwar haben sie alles,
was sie lehren und predigen sollen, jetzt so reichlich, klar und
leichtverständlich vor sich in so viel heilsamen Büchern und rechten "Sermones
per se loquentes", "Dormi secure", und "Paratos et Thesauros",
wie man sie früher nannte. Aber sind nicht so fromm und redlich,
daß sie sich solche Bücher kauften; oder wollen sie, selbst wenn sie solche
besitzen, sie doch nicht ansehen noch lesen. Ach, das sind allzumal schändliche
Fresser und Bauchdiener, die mit mehr Recht Sauhirten oder Hundeknechte sein
sollten als Seelsorger und Pfarrherren!
Und wenn sie doch, nachdem sie das unnütze, beschwerliche Geschwätz der sieben
Gebetszeiten nun los sind, wenigstens soviel täten, daß sie an deren Stelle
morgens, mittags und abends etwa eine Seite oder zwei aus dem Katechismus, dem
Gebetbüchlein, dem Neuen Testament oder sonst aus der Bibel läsen und ein
Vaterunser für sich und ihre Pfarrkinder beteten! Damit würden sie doch auch dem
Evangelium eine Ehre und einen Dank erzeigen, nachdem sie durch dieses ja von so
mancherlei Lasten und Beschwerden befreit worden sind. Und wenn sie sich doch
ein wenig darüber schämten, daß sie gleich den Säuen und Hunden nicht mehr aus
dem Evangelium behalten als eine solche faule, schädliche, schändliche
fleischliche Freiheit! Denn der Pöbel achtet ja leider ohnehin schon das
Evangelium allzu gering, und wir richten nicht viel aus, auch wenn wir gleichwohl allen Fleiß darauf verwenden. Was würde es
vollends geben, wenn wir lässig und faul sein wollen, wie wir es unter dem
Papsttum gewesen sind?
Dazu kommt das schändliche Laster und die heimliche böse Seuche der
Sicherheit und des Überdrusses. Viele meinen daher, der Katechismus sei
eine schlichte, geringe Lehre; sie lesen nur ein einziges Mal darüber hin, um
sogleich alles zu können, werfen das Buch in den Winkel und schämen sich
gleichsam, weiter darin zu lesen. Ja, man findet wohl auch unter dem Adel
etliche grobe Menschen und Geizhälse, die behaupten, man brauche in Zukunft
keine Pfarrer noch Prediger. Man habe es in Büchern und könne es gut
selber lernen; und so lassen sie auch die Pfarreien getrost verfallen und
verwüsten, dazu beide, Pfarrer und Prediger, weidlich Not und Hunger leiden. So
zu tun gebührt es sich denn auch für die tollen Deutschen. Denn wir Deutschen
haben solch schändliches Volk und müssen's uns gefallen lassen
Das sage ich aber für mich: Ich bin auch ein Doktor und Prediger, ebenso
gelehrt und erfahren wie alle die sein mögen, die eine derartige Vermessenheit
und Sicherheit haben; dennoch mache ich's wie ein Kind, das man den Katechismus
lehrt: am Morgen und wann ich sonst Zeit habe, lese und spreche ich auch Wort
für Wort das Vaterunser, die zehn Gebote, das Glaubensbekenntnis, Psalmen usw.
und ich muß noch täglich mehr lesen und studieren, und kann dennoch nicht
bestehen, wie ich gerne wollte, und muß ein Kind und Schüler des Katechismus
bleiben, und bleib es auch gerne. Und diese feinen, wählerischen Gesellen wollen
mit einem einzigen Drüberhinlesen flugs Doktoren über alle Doktoren sein, wollen
alles können und nichts mehr brauchen. Wohlan, das ist auch ein
gewisses Zeichen dafür, daß sie sowohl ihr Amt als auch des Volkes Seelen,
ja obendrein Gott und sein Wort verachten. Sie brauch nicht zu fallen,
sondern sind schon allzu greulich gefallen; sie hätten es wohl nötig, daß sie zu
Kindern würden und das ABC zu lernen anfingen, das sie längst an den Schuhsohlen
abgelaufen zu haben meinen.
Deshalb bitte ich diese faulen Wänste oder vermessenen Heiligen, sie möchten
sich um Gottes willen bereden lassen und glauben, daß sie wahrlich, wahrlich
nicht so gelehrt und so hohe Doktoren sind, als sie sich es einbilden. Und sie
sollen nie mehr auf den Gedanken kommen, daß sie diese Stücke ausgelernt haben
könnten, was doch in diesem Leben nicht möglich ist, so steckt doch mancherlei
Nutzen und Frucht dahinter, wenn man's täglich liest und durch Nachdenken und
Hersagen einübt. Bei einem solchen Lesen, Hersagen und Nachdenken ist nämlich
der Heilige Geist gegenwärtig und gibt immer neu und mehr Licht und Andacht
dazu, so daß es immer besser und besser schmeckt und eingeht. So verheißt es
auch Christus Matthäus 18: "Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da
bin ich in ihrer Mitte."
Dazu hilft es über die Maßen gewaltig gegen den Teufel, gegen Welt, Fleisch und
alle bösen Gedanken, wenn man mit Gottes Wort umgeht, davon redet und darüber
nachdenkt. Daher preist auch der erste Psalm die selig, die Tag und Nacht mit
dem Gesetzte Gottes zu tun haben. Ohne Zweifel wirst du mit keinem Weihrauch
oder anderem Räucherwerk etwas Wirksameres gegen den Teufel ausrichten können,
als wenn du mit Gottes Geboten und Worten umgehst, über sie redest, singst oder
nachdenkst. Das ist sicherlich das wahre Weihwasser und [Kreuzes]zeichen, vor
dem er flieht und damit er sich verjagen läßt. Nun solltest du doch wahrlich
allein deswegen diese Stücke gerne lesen, hersagen überdenken
und mit ihnen umgehen, wenn du sonst keinen anderen Gewinn und Nutzen
davon hättest, als daß du den Teufel und böse Gedanken damit verjagen kannst.
Denn Gottes Wort kann der Teufel nicht hören und ertragen. Und Gottes Wort ist
nicht wie ein anderes loses Geschwätz, wie z.B. die Geschichten von Dietrich von
Bern, vielmehr ist es, wie der hl. Paulus Röm 1 sagt, "eine Kraft Gottes"; ja
gewiß eine Kraft Gottes, die dem Teufel das gebrannte Leid antut
und uns über die Maßen stärkt, tröstet und hilft.
Und was soll ich viel sagen? Wenn ich allen Nutzen und alle Frucht aufzählen
sollte, die Gottes Wort schafft, wo wollte ich genug Papier und Zeit
hernehmen? Den Teufel heißt man einen Tausendkünstler; wie will man aber Gottes
Wort heißen, das einen solchen Tausendkünstler mit all seiner Kunst und Macht
verjagt und zunichte macht? Es muß gewiß mehr als ein Hunderttausendkünstler
sein; und wir sollten eine solche Macht, Hilfe, Kraft und Frucht so leichtfertig
verachten, zumal wir, die wir Pfarrer und Prediger sein wollen? Dann sollte man
uns doch lieber nicht bloß nichts zu fressen geben, sondern sollte uns auch
mit Hunden hinaushetzen und mit Pferdeäpfeln hinaustreiben. Denn nicht nur
brauchen wir das alles täglich wie das tägliche Brot sondern wir müssen es auch
täglich haben gegen das tägliche und ruhelose Anfechten des tausend Künste
treibenden Teufels.
Und wenn das nicht genug wäre zur Mahnung, den Katechismus täglich zu lesen,
so sollte doch allein Gottes Gebot genügen, um uns zu zwingen, der uns Deutero. 6
ernstlich gebietet, man solle sein Gebot beim Sitzen,
Gehen, Stehen, Liegen, Aufstehen immer bedenken und es gleichsam als ein stetes
Mal- und Denkzeichen vor Augen und in Händen haben. Zweifellos wird er das nicht
umsonst so ernstlich gebieten und fordern; vielmehr kennt er unsere Bedrängnis
und Not, dazu das ständige und wütende Anstürmen und die Anfechtung der Teufel.
Drum will er uns davor warnen, ausrüsten und bewahren, wie mit einem guten
Harnisch gegen ihre feurigen Pfeile und wie mit einer guten Arznei gegen ihr
giftiges, böses Geschmeiß und Eingebung. O was für tolle, unsinnige Narren sind
wir: wir müssen unter solch mächtigen Feinden, wie die Teufel es sind, wohnen
oder doch wenigstens herbergen. Und dabei wollen wir unsere Waffen uns Wehr
verachten und zu faul sein, um nach ihnen zu sehen oder an sie zu denken!
Und was tun diese überdrüssigen, vermessenen Heiligen, die den Katechismus nicht
täglich lesen und lernen wollen oder können? Nichts anderes, als daß sie sich
selbst für viel gelehrter halten als Gott selber ist mit all seinen heiligen
Engeln, Propheten, Aposteln und Christen! Denn Gott selber schämt sich
nicht, dies täglich zu lehren, weil er nichts Besseres zu lehren weiß; und zwar
lehrt er immer ein und dasselbe und nimmt nichts Neues und nichts anderes vor,
und alle Heiligen wissen nichts Besseres und anderes zu lehren und können es
nicht auslernen. Sind dann wir nicht die allerfeinsten Gesellen, wenn wir uns
einbilden, wir könnten es alles, wenn wir es einmal gelesen und gehört
haben, und brauchten es nicht mehr zu lesen noch zu lernen. Und wir
könnten das in einer Stunde auslernen, was Gott selbst nicht auslehren kann? Wo
er doch von Anfang der Welt bis zum Ende dran lehrt, und wo doch alle
Propheten samt allen Heiligen dran zu lernen gehabt haben und noch immer Schüler
geblieben sind und noch bleiben müssen!
Denn das muß ja sein: wer die zehn Gebote recht und ganz kann,
der muß die ganze Schrift können, damit er in allen Sachen und
Fällen raten, helfen, trösten, urteilen, richten kann, sowohl im geistlichen als
auch im weltlichen Bereich, und ein Richter zu sein vermag
über alle Lehre, Stände, Geister, Recht und was in der Welt sein mag.
Und was ist der ganze Psalter anderes als eine durchgehende Betrachtung und
Einübung des ersten Gebotes? Nun weiß ich ja gewiß, daß diese faulen Bäuche
oder vermessenen Geister nicht einen einzigen Psalm verstehen, geschweige denn
die ganze Heilige Schrift; und dabei wollen sie den Katechismus wissen
und verachten, der doch ein kurzer Auszug aus der ganzen Heiligen Schrift ist!
Darum bitte ich nochmals alle Christen, besonders die Pfarrer und Prediger,
sie sollen nicht zu früh Doktoren sein wollen und sich nicht einbilden, alles zu
wissen; es geht an der Einbildung wie an gespanntem Tuch viel ein.
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