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Europas drei Nein zum Leben und zur eigenen Zukunft

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"Dies ist ... eine Frage der Gegebenheiten, der Fakten: Europa ist im Begriff zu sterben, da es Nein zum Leben gesagt hat."

 

Liebe Brüder im Bischofsamt, Nachfolger der Apostel!

Liebe Brüder und Schwestern! 

Viele Dinge gibt es in unserem Herzen an diesem Ort, in diesen Tagen von Ostern, in diesen Tagen der Auferstehung Christi. Es gibt diese außergewöhnliche Lesung aus der Apostelgeschichte, die wir stundenlang meditieren könnten, da sie eine der stärksten Texte über das Mysterium Israels ist, das wir in diesen Tagen erleben, gerade an diesem Nachmittag. Vielleicht komme ich am Ende noch darauf zu sprechen, sofern ihr in der Zwischenzeit nicht eingeschlafen seid.

Aber es gibt eine andere Sache: Das, was wir in diesen Tagen erleben und wovon wir Zeugen sein müssen, gerade an diesem Ort, wo Jesus zu seinen Aposteln sagte: "Dafür seid ihr Zeugen." Wovon sind wir Zeugen? Was sind wir gerufen zu bezeugen im Europa von heute? Darüber, was die Jünger auf ihrem Weg erlebt haben als sie zurückgekehrt sind - der griechische Ausdruck ist anastrophe, die Umkehr; sie haben sich in Emmaus bekehrt und sind zurückgekehrt nach Jerusalem, sie haben Jesus beim Brechen des Brotes wieder erkannt. Was ist auf diesem Weg geschehen? 

Ich möchte euch eine Sache sagen, die ich im Herzen trage. Ich denke, es ist ein Wort des Heiligen Geistes, das ich sagen muss. Welche ist die Schuld Europas? Die Schuld Europas, die Hauptschuld, ist das Nein zum Leben. Vor einigen Tagen habe ich im österreichischen Fernsehen auf die Frage eines Journalisten geantwortet: "Europa hat dreimal Nein zu seiner eigenen Zukunft gesagt". Das erste Mal im Jahre 1968, wir feiern jetzt 40 Jahre, durch das Ablehnen von Humanae Vitae. Das zweite Mal im Jahre 1975, als die Abtreibungsgesetze Europa überschwemmt haben. Das dritte Mal zur Zukunft und zum Leben. Gerade gestern habe ich aus Österreich die Nachricht bekommen, dass die Regierung der homosexuellen Ehe zugestimmt hat, auch in Österreich: das ist das dritte Nein. Und dies ist nicht zuerst eine moralische Sache, sondern eine Frage der Gegebenheiten, der Fakten: Europa ist im Begriff zu sterben, da es Nein zum Leben gesagt hat.

Es gibt in meinem Herzen folgendes zu sagen: gerade dies ist der Ort, wo Jesus uns gesagt hat, dass wir die Vergebung unserer Sünden empfangen, denn ich denke, dass dies auch eine Sünde von uns Bischöfen ist, auch wenn niemand von uns im Jahre 1968 Bischof war. Heute haben in Deutschland bei Hundert Eltern 64 Kinder und 44 Enkelkinder: das bedeutet, dass in einer Generation die deutsche Bevölkerung - ohne Einwanderung - sich halbiert. Wir haben "Nein" gesagt zu Humanae Vitae. Wir waren nicht Bischöfe, aber es waren unsere Mitbrüder. Wir haben nicht den Mut gehabt, ein klares "Ja" zu Humanae Vitae zu sagen. Es gibt Ausnahmen: der damalige Kardinal von Berlin, Kardinal Bengsch (an Kardinal Meissner gerichtet: "Nicht du, aber Dein Vorgänger; Du hast es dann im Jahre 1968 gesagt"). Er hatte einen Text für die deutsche Bischofskonferenz vorbereitet, einen Text, der ein prophetischer Text war. Dieser Text ist verschwunden, und erschienen ist: "Die Königsteiner Erklärung", die die katholische Kirche in Deutschland geschwächt hat, das Ja zum Leben zu sagen.

Es gab noch eine andere Ausnahme in Krakau: eine Gruppe von Theologen unter der Leitung des Erzbischofs und Kardinals von Krakau, des vielgeliebten Papstes Johannes Paul II., hat ein "Memorandum" geschrieben und diesen Text Papst Paul VI. geschickt. Ich denke, dass dieses Zeugnis eines Bischofs der Märtyrerkirche, der schweigenden Kirche, mehr Gewicht hatte, als all die Expertisen (Gutachten), die Papst Paul VI. erstellen hat lassen über dieses Thema, und das ihn diese mutige Entscheidung hat treffen lassen, wegen der er dann in einer schlimmen Einsamkeit geblieben ist. Dieser Text aus Krakau - auch wenn ich keinen historischen Beweis habe, bin ich mir innerlich sicher - hat geholfen, Paul VI. den Mut zu geben, Humanae Vitae zu schreiben.

Dann hat es einen "Verrückten" in Spanien gegeben, in den Baracken mit einer "Verrückten", die den Mut hatten, "Ja" zum Leben zu sagen, "Ja" zu Humanae Vitae, gegen den Strom, und wie stark war dieser Strom! Ich erinnere mich an die Veröffentlichung des Spiegel in Deutschland: auf der Titelseite Papst Paul VI. mit der Pille in der Hand und mit dem "Nein", lächerlich gemacht! Aber von diesen Verrückten in Christus her entstand eine Wirklichkeit, die genau so wenig zu negieren ist wie die Wirklichkeit des demographischen Zusammenbruchs Europas: Es sind die Familien des Weges, die uns in diesem Europa das Zeugnis geben, dass Paul VI. recht hatte, dass das Leben das große Geschenk Gottes ist und das "Ja" zum Leben eine Bedingung für ein wirkliches Leben ist, eine Bedingung für ein lebendiges Europa ist. 

Aber wir Bischöfe, verschlossen hinter den Türen wegen der Angst, nicht wegen der Angst vor den Hebräern, sondern wegen der Presse, und auch wegen des Unverständnisses unserer Gläubigen. Wir hatten nicht den Mut! In Österreich hatten wir "Die Mariatroster Erklärung" - wie in Deutschland "Die Königsteiner Erklärung". Das hat den Sinn des Lebens im Volke Gottes geschwächt, dies hat entmutigt, sich für das Leben zu öffnen. Wie dann die Welle der Abtreibung gekommen ist, war die Kirche geschwächt, da sie nicht gelernt hatte, diesen Mut des Widerstands, den wir in Krakau gesehen haben, den Papst Johannes Paul II. während seines ganzen Pontifikates gezeigt hat, diesen Mut, JA zu sagen zu Gott, zu Jesus, auch um den Preis der Verachtung. Wir waren hinter den verschlossenen Türen, aus Angst. Ich denke, auch wenn wir damals nicht Bischöfe waren, so müssen wir diese Sünde des europäischen Episkopats bereuen, des Episkopats, der nicht den Mut hatte, Paul VI. mit Kraft zu unterstützen, denn heute tragen wir alle in unseren Kirchen und in unseren Diözesen die Last der Konsequenzen dieser Sünde.

"Brüder, ich weiß, dass ihr aus Unwissenheit gehandelt habt", sagt Petrus zu den Hebräern, seinen Brüdern. "Ihr habt aus Unwissenheit gehandelt". Wenn wir die Konsequenzen dieses "Nein" zum Leben gekannt hätten, hätten wir niemals "Nein" zu Humanae Vitae gesagt, hätten wir den Mut gehabt unseren Brüdern zu sagen: "Habt Vertrauen, glaubt an das Leben", aber wir haben nicht den Mut gehabt. "Ich weiß, dass ihr aus Unwissenheit gehandelt habt, wie eure Anführer". "Gott aber hat so erfüllt, was er durch den Mund aller Propheten verkündet hat": dieses Leiden, für das wir mitverantwortlich sind, die Leiden des "Nein" zum Leben. Wir wissen alle aus der Beichte, welch großen Schmerz es gibt, wenn die Sünde der Abtreibung gebeichtet wird, und dann die Traurigkeit eines Lebens, gemacht aus dem "Nein" zum Leben. Wir sind mitverantwortlich für diese Traurigkeit Europas.

"Bereut also und ändert euer Leben", sagt Paulus zu den Hebräern, nicht zu uns Bischöfen. Er sagt zu den Hebräern: "Kehrt um und ändert das Leben, damit eure Sünden vergeben werden und so der Herr Zeiten des Aufatmens kommen lässt".

Welchen Trost haben wir für Europa? Ich sage Euch meine Erfahrung als Bischof, als armer Sünder. Ich sehe die Familien des Weges, der Gemeinschaften: Personen, die durch eine Katechese, eine Umkehr, den Mut hatten, "Ja" zum Leben zu sagen und heute, dank eines Charismas, das zwei "Verrückte" vom Herrn bekommen und angenommen haben, so wie sie sind, mit ihren Gaben und ihren Schwächen. Aber sie haben dieses Charisma angenommen, sie haben den Mut gehabt, die Leiden eines solchen Charismas zu tragen. Wie vieler Leiden! Heute haben wir in der Kirche das Privileg, das Geschenk, Gemeinschaften zu haben mit Familien, aber mit wahren Familien, großen Familien, wie viele von euch und von uns in ihrer Jugend kennen gelernt haben, in ihrer eigenen Familie, sechs, zehn, zwölf Kinder. Es war normal. 

Heute befinden wir uns in der europäischen Wüste, und hier sehen wir Gemeinschaften mit Familien! Aber ich sehe die Früchte. Ich sehe unser "Redemptoris Mater": wenn wir nicht dieses Seminar hätten, welche Armut in unseren Diözesen wegen des Fehlens an Berufungen - sicherlich könnt ihr uns noch weitere Berufungen schicken! Hier haben wir diese Berufungen, und ich sehe, wie diese Berufungen begleitet werden. Mit Demut, mit Ehrlichkeit muss ich sagen, dass trotz all der Anstrengungen im diözesanen Seminar wir es nicht schaffen, menschlich gesehen unsere Seminaristen zu formen, zu bilden, wie sie in den Gemeinschaften des Weges geformt werden. Warum? Weil sie hier die Familien haben, weil sie die Erfahrung darüber haben, was Vaterschaft ist. Ich komme aus einer geschiedenen Familie, meine Eltern waren geschieden, mein Großvater war geschieden, meine zwei Brüder sind geschieden. Ich kenne die Wirklichkeit der Scheidung. Aber wo soll man die priesterliche Vaterschaft lernen, wenn es keine Beispiele der Vaterschaft in den Familien gibt? Hier lernen es diese Seminaristen. Jetzt hatte ich den Fall eines jungen Priesters, der aus dem Seminar Redemptoris Mater gekommen ist, der mit einer Frau gesündigt hat. Wir Bischöfe kennen alle die Situation, wenn dies geschieht: einer geht weg, weil er ein Verhältnis hatte, er verlässt das Priesteramt. Die Familien dieser Pfarre und des Weges haben ihn mit Wahrheit und Güte aufgenommen und so seine Berufung gerettet. Er ist vor Ostern zu mir gekommen voller Freude: "Ja, ich habe gesündigt, aber ich habe den Mut gehabt, diese Beziehung zu verlassen, und zurückzukehren." Es sind die Familien, die diese Berufung und diesen Priester gerettet haben!

Ich bin überzeugt, dass der Herr uns in der Kirche dieses Charisma gegeben hat, es ist nicht das einzige, es gibt viele Charismen; aber es ist ein Charisma, das uns zeigt, dass es ohne die Familien, ohne das "Ja" zum Leben keine Zukunft in der Kirche gibt. Deshalb möchte ich unseren Familien des Weges danken, ihrem Zeugnis, diesem Mut, sich überall hin senden zu lassen. Eine Familie aus Wien mit 9 Kindern ist in Mission nach Istanbul gegangen, in die Türkei! Diese Familien zeigen uns, was Auferstehung ist.

Brüder, ich will Euch nicht zu sehr aufhalten. Aber an diesem Ort möchte ich Papst Paul VI., Papst Johannes Paul II. und Papst Benedikt dafür danken, dass sie das getan haben, was die Arbeit des Bischofs ist, wie der Heilige Paulus im 14. Kapitel des 1. Briefes an die Korinther sagt, nämlich die Charismen zu unterscheiden und zu sagen: "Das ist von Gott." Das heißt nicht, dass die Begründer heilig sind, vielleicht werden sie es, denn der Heilige Thomas von Aquin hat uns erklärt, dass die Charismen Gnaden sind, kostenlos gegeben, für die Kirche und zum Aufbau der Kirche. Sie bedeuten nicht automatisch eine Heiligung des Trägers des Charismas, es ist eine Einladung auch an die Träger des Charismas sich zu heiligen, aber es ist vor allem ein Geschenk an die Kirche. Und ich sehe, hier gibt es ein Geschenk an die Kirche.

Abschließend möchte ich von einer Wirklichkeit sprechen, die wir in all unseren Diözesen kennen, wo es den Weg gibt: Er ist nicht immer gut angenommen, es gibt Spannungen, man sagt, er spalte die Pfarren. Ich bin nicht sehr mutig, um immer die Schwachen, die Verfolgten zu stützen, aber eine Sache kann ich sagen: in einem Körper gibt es Spannungen, nur in einem toten Körper gibt es keine Spannungen. Und diese Spannungen sind auch ein Teil der notwendigen Umkehr. Das entschuldigt nicht die menschlichen Fehler, die immer wieder geschehen, aber wenn das Evangelium für die Umkehr verkündet wird, werden Spannungen geschaffen, die unvermeidbar sind! Wir Bischöfe müssen uns fragen, ob nicht diese Spannungen auch heilsam sein können! Weil sie uns wachrütteln, weil sie uns erlauben, uns zu fragen: Was will Gott von uns?

An diesem heiligen Ort möchte ich bitten, dass der Herr eintrete, auch durch verschlossene Türen, und dass er uns den Mut gebe, auch wenn uns in den letzten 40 Jahren der Mut zum "Ja zu Leben" gefehlt hat. Wir haben es gesagt, aber wir müssen es mit dieser Kraft sagen. Dass er uns das Fehlen des Mutes verzeihen möge und uns die Kraft gebe, die er den Aposteln gegeben hat, als er sie von diesem Ort ausgesandt hat.

Danke für Eure Geduld. Brüder.

 

Diese Predigt hat der Wiener Erzbischof Christoph Kardinal Schönborn am 27. März 2008 im Abendmahlssaal in Jerusalem bei der Gemeinschaftstagung "Domus Galilaeae" gehalten. Die deutschsprachige Übersetzung der auf Italienisch gehaltenen Predigt wurde von der Erzdiözese Wien veröffentlicht.

 


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