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"Weniger an, aber mehr drauf"
Über das aktuelle Übersetzungsprojekt "Bibel in gerechter Sprache"
Von Felix Grigat
Mit einer neuen Bibelübersetzung in "gerechter Sprache" entfernen sich einige
Protestanten zusehends vom reformatorischen Schriftprinzip (sola scriptura),
wonach die Bibel allein Richtschnur für kirchliche Lehre und Tradition ist. Bei
einer von vielen evangelischen Gruppen getragenen und von den Bischöfinnen
Margot Käßmann und Bärbel Wartenberg-Potter, Bischof Ulrich Fischer, den
Kirchenpräsidenten Eberhard Cherdron und Peter Steinacker sowie der
Kirchenleitung der Evangelischen Kirche im Rheinland geförderten
Bibelübersetzung "Die Bibel in gerechter Sprache" werden neben dem griechischen
und hebräischen Urtext ("sola scriptura") zusätzliche Kriterien und Traditionen
anerkannt.
So haben sich die 52 Übersetzer der "Bibel in gerechter Sprache" darauf
verpflichtet, neben der historisch-kritischen und literaturwissenschaftlichen
Exegese Einsichten der feministischen Theologie und der Befreiungstheologie, des
christlich- jüdischen Dialogs sowie "Wahrnehmungen aus der Sicht von
gesellschaftlichen Minderheiten" zu berücksichtigen. Ein Hauptanliegen sei, die
in den biblischen Texten genannten oder "mitgemeinten" Frauen "sichtbar" und
Frauen als "heute angesprochen" erkennbar zu machen. Die Bibel in gerechter
Sprache sei die "erste christliche Übersetzung, die die jüdische Abfolge der
alttestamentlichen Bücher" respektiere. Damit werde schon äußerlich sichtbar,
daß der erste Teil der christlichen Bibel kein "pseudochristliches Buch" sei,
sondern die Geschichte Gottes mit Israel, wie sie in Israel selbst, also in der
jüdischen Bibel bezeugt sei.
Seine Wurzeln hat das Projekt in amerikanischen Bibelübersetzungen der
politisch-korrekten "inclusive language" und deren Aufnahme beim Deutschen
Evangelischen Kirchentag. Finanziert wurde die Übersetzung durch private
Spenden.
Peter Steinacker, Präsident der hessen-nassauischen Landeskirche und
Vorsitzender des Beirates, begründet die Neuübersetzung in gerechte Sprache
damit, daß es "in Christus keine Diskriminierung nach Geschlecht, ethnischer
Zugehörigkeit oder sozialer Schicht" gebe. Diese "Überwindung der
Diskriminierung" müsse sich auch in der Übersetzung der Bibel widerspiegeln und
deshalb die in der Bibel gebrauchte Sprache "kritisch" überprüft werden. Die
Sprache der Bibelübersetzungen sei "nicht gottgegeben". Die heutige Aufgabe
bestehe in der "sachgemäßen Übersetzung in die heutige Sprach- und Denkform".
Vor dem geplanten Erscheinen der "Bibel in gerechter Sprache" zum
Reformationstag in diesem Jahr haben Exegeten auf der Grundlage
bekanntgewordener Texte der Übersetzung kritisiert, daß Grundsätze der
klassischen Philologie hermeneutischen Interessen untergeordnet würden.
Der Präsident der Cansteinschen Bibelanstalt und Professor für Neues Testament,
Andreas Lindemann, sagte, einige der bisher bekanntgewordenen Übersetzungen
verfälschten den biblischen Text. Es würden Auslegungen vorweggenommen, die in
dieser Form nicht in den Texten selbst zu finden seien. Es sei ein Unterschied,
ob Diskriminierungen durch die Übersetzung zustande kämen oder ob sie bereits im
Text enthalten seien. Es dürfe nicht versucht werden, einen nicht als "korrekt"
eingeschätzten Text durch die Übersetzung inhaltlich zu korrigieren. Wenn im
Matthäusevangelium gegen Pharisäer polemisiert werde, dann sei es unzulässig,
dies mittels einer "gerechten Übersetzung" richtigstellen zu wollen. Es sei
nicht angemessen, den Matthäustext durch die Übersetzung so umzuformen, daß er
den heutigen Ansprüchen und Einsichten genüge. So werde der Evangelienvers in
Matthäus 23, 2, die Luther mit "Auf dem Stuhl des Mose sitzen die
Schriftgelehrten und Pharisäer" wiedergibt, in der "Bibel in gerechter Sprache"
übersetzt mit: "Auf dem Stuhl des Moses sitzen Toragelehrte und pharisäische
Männer und Frauen." Pharisäische Frauen auf dem Lehrstuhl des Mose habe es aber
"sicherlich nicht" gegeben, wie es bis heute auch keine orthodoxen Rabbinerinnen
gebe.
Der Tübinger Alttestamentler Bernd Janowski sagte, die Neuübersetzung liefere
sich an den Zeitgeist aus und sei ein "Dokument des sich selbst aushöhlenden
Protestantismus". Es sei "beschämend", daß es überhaupt von kirchenleitender
Stelle aus protegiert werde. Problematisch sei insbesondere der Anschluß an
jüdische Auslegungstraditionen. So sei die derzeit vorliegende Übersetzung der
Antithesen der Bergpredigt mit "Ich lege euch das heute so aus . . ." statt "Ich
aber sage euch . . ." eine "schlichte Verbiegung des griechischen Originals" und
nicht "textgerecht". Denn im griechischen Text steht zwar das nichtübersetzte
Wort "aber", nicht aber das übersetzte Wort "heute". Die Neuübersetzer
versuchten, dem Judentum "Gerechtigkeit" widerfahren zu lassen und sich gegen
die Möglichkeit einer "antijüdischen Deutung Jesus, der etwas ,Neues'" bringe,
zu wenden. Nach den Worten der Übersetzerin des Matthäusevangeliums gehe es "um
eine aktuelle Auslegung durch den Toralehrer Jesus", der "Gottes Wort in der
Schrift hört und in seine Zeit übersetzt - ohne den Anspruch auf überzeitliche
Gültigkeit seiner Auslegung".
Dem Anliegen der Übersetzer, das Neue Testament "neu auch als jüdisches Buch"
erkennbar zu machen, soll auch die Vielfalt von Übersetzungen des Gottesnamens
dienen. Anstelle des von Luther für das von Juden nicht ausgesprochene
Tetragramm gewählte "der HERR" sollen in Kopfzeilen für die ersten beiden
Kapitel der Bibel angeboten werden: "die Ewige/Schechina/GOTT/Adonaj/ha-Schem/der
Lebendige". Diese Zeile wechselt auf jeder zweiten Seite und enthält aus der
begrenzten Zahl von Übersetzungsmöglichkeiten des Tetragramms eine "zufällige
Auswahl". Dies soll auch auf das Neue Testament übertragen werden, wo etwa für
Kapitel im Römerbrief des Paulus vorgesehen ist: "der Name/der Lebendige/SIE
ER/der Heilige". An diesen Stellen steht allerdings im griechischen Urtext des
Römerbriefes durchweg "kyrios", was aber in deutscher Übersetzung nur "Herr"
zuläßt.
Ein Beispiel für eine umgangssprachliche Übersetzung ist Genesis 3, 1. Luther
übersetzt den Beginn der Sündenfallgeschichte mit "Aber die Schlange war
listiger als alle Tiere auf dem Felde . . ." In der Bibel in gerechter Sprache
steht: "Die Schlange hatte weniger an, aber mehr drauf als alle anderen Tiere
des Feldes . . ." Damit solle das hebräische Wortspiel zwischen "nackt" (Gen. 2,
25) und "klug" (Gen. 3, 1) wiedergegeben werden.
Der Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, Klaus Reichert,
sagte, es gehe nicht an, den Text mit seinen für Leser aller Jahrhunderte
schwierigen und dunklen Stellen in ein "Alltagsdeutsch" zu übersetzen. Der Text
müsse auch sein Geheimnis und seinen Zauber wahren - eben alles, was nicht
gewöhnlich sei. Auch sei es mehr als problematisch, das "angeblich Mitgemeinte"
auch mitzuübersetzen. Die Sprache der Neuübersetzung sei nicht angemessen. Die
Herausgeber der Bibel in gerechter Sprache streben nach eigener Aussage "keinen
liturgischen Gebrauch dieser Übersetzung" an. Gleichwohl liegt bereits ein
mehrbändiges Gottesdienstbuch in gerechter Sprache vor.
Quelle:
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.02.2006, Nr. 42, S. 10
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